Finale der Champions League:Vorsicht vor den Zeitschindern

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Spieler von Atlético geraten mit Schiedsrichter Nicola Rizzoli aneinander, hier im Champions-League-Achtelfinale gegen Bayer Leverkusen. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Dürfen die Zuschauer im Champions-League-Finale wieder die Zeitspiel-Künste von Atlético Madrid bewundern? Warum Schiedsrichter gegen diesen taktischen Trick oft machtlos sind.

Von Tim Brack

Im Grunde darf Real Madrid im Champions-League-Finale gegen den Stadtrivalen Atlético nur eine Sache nicht passieren: in Rückstand geraten! Denn dann könnte die Mannschaft von Diego Simeone das ausspielen, was sie am besten kann. Spieler, die nach dem Pfiff des Schiedsrichters den Ball wegschießen, Freistöße verzögern und oder sich Zeitlupe auswechseln lassen - Atlético beherrscht die Kunst des Zeitspiels perfekt.

Das haben auch die Bayern im Halbfinal-Rückspiel gemerkt, als die Münchner unbedingt ein Tor, später sogar drei benötigten. Schon nach 25 Minuten ermahnte Schiedsrichter Cüneyt Çakir Atléticos Torhüter Jan Oblak, weil der über seinen Abstoß länger nachdachte als ein Schachgroßmeister über den nächsten Zug.

In engen K.o.-Spielen ist Zeitspiel als taktisches Mittel die Regel - insbesondere in einem großen Finale. Dabei fordert die Fifa-Regel 12 für Spielverzögerung eine gelbe Karte. Die Auflistung der möglichen Vergehen liest sich dabei wie das Drehbuch eines jeden knappen Finals: Einwürfe, Freistöße, Abschläge - das alles kann verzögert werden - was eigentlich bestraft gehört.

Schwere Aufgabe für die Schiedsrichter

Doch oft belassen es die Unparteiischen bei einer Ermahnung wie im Fall Oblak. Würden die Schiedsrichter schnell zu hart richten, könnte ein Spieler für einmal Ballwegstubsen genauso Gelb bekommen wie für eine üble Grätsche - keine verhältnismäßige Lösung. Wie können die Schiedsrichter also das unerwünschte Verhalten unterbinden?

Mit "Autorität und Persönlichkeit", sagt Bernd Heynemann, ehemaliger Schiedsrichter mit der Erfahrung aus 151 Bundesliga-Spielen. Er sagt: "Wenn ich dreimal bei dem Oblak andeute, er solle schneller spielen und gebe keine gelbe Karte, dann macht der das noch weiter." Die Profis verhalten sich wie Kleinkinder, sie testen ihre Grenzen aus, in der Hoffnung einer Strafe zu entgehen.

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Vor übereifriger Bestrafung warnt Heynemann trotzdem: "Da sollte man den Schiedsrichtern den Ermessensspielraum lassen. Beim Freistoß oder Abstoß muss man ihnen auch Spielverständnis zutrauen. Wenn ein Spieler den Anlauf abbricht, kann es sein, dass seine Mitspieler plötzlich gedeckt sind oder im Abseits stehen. Da muss der Schiedsrichter nicht John-Wayne-mäßig die Karte ziehen."

Locker sitzende gelbe Karten könnte aber helfen, wenn der Ball weggetragen oder -gekickt wird. Allerdings ist der Sittenverfall derart groß, dass eine plötzliche Härte bei solchen Vergehen kaum durchzusetzen wäre. Eine Verschärfung der Regeln könnte das ändern. "Da ist der Handball ein Vorbild", sagt Heynemann: "Sobald ein Freistoß gepfiffen wird, muss der Spieler den Ball ablegen. Dazu konnte man sich im Fußball nicht durchringen. Diese Mätzchen würden mit der Anwendung der Handball-Regel sofort gestoppt werden."

Manche Spieler täuschen den Schiedsrichter in den entscheidenden Minuten einer Partie böswillig: Nach leichten Zusammenstößen wälzen sie sich am Boden, halten sich irgendein Körperteil, täuschen eine Verletzung vor. Dann steht der Schiedsrichter vor einem Dilemma. Unterbricht er die Partie nicht und der Spieler ist wirklich verletzt, kann das schlimme gesundheitliche Folgen für diesen haben. Unterbricht er die Partie und der Spieler simuliert, hat der Betrüger sein Ziel erreicht und wird es wieder versuchen.

"Bei einer Verletzung ist es immer schwer. Wir sind keine Ärzte und können nicht beurteilen, ob sich der Spieler wehgetan hat oder nicht. Es ist ein ganz schwierige Situation für den Schiedsrichter, zu sagen: Der simuliert." Gerade zum Ende des Spiels haben viele Spieler Muskelkrämpfe, das ist durchaus drin", sagt Heynemann.

Zeigt ein Spieler eine Verletzung an, muss er den Platz verlassen, das bringt oft wertvolle Sekunden. Allerdings haben die Unparteiischen die Möglichkeit, den Simulanten ihre Vorstellung ein wenig zu verderben, erklärt Heynemann: "Wenn Feldspieler leicht und locker vom Platz gehen, weiß der Schiedsrichter: Hier kann ich noch zehn oder zwanzig Sekunden länger warten, bis ich ihn wieder drauf lasse."

Die Uhr wird gestoppt, die Zeit nachgespielt

Die Torhüter sind eine Ausnahme. Wieder das Beispiel Oblak. Der Torhüter griff sich am Ende der Partie gegen Bayern an den Oberschenkel, winkte wild dem Schiedsrichter zu - ob er nun wirklich verletzt war oder nicht, der Schiedsrichter konnte nur auf eine Art reagieren: "Wenn der Torwart eine Verletzung anzeigt, muss das Spiel unterbrochen werden. Da kann der Schiedsrichter nur auf die Uhr gucken und die effektive Zeit drauflegen, die der Torhüter ausfällt", sagt Heynemann.

Sollte also ein Torhüter auf die Idee kommen, eine Verletzung vorzutäuschen, ergibt sich erst einmal kein offensichtlicher Vorteil. Die Uhr wird gestoppt, die Zeit nachgespielt. Allerdings bringt eine Unterbrechung den Gegner aus dem Konzept. "Es ist eine taktische Variante, wenn tatsächlich simuliert wird. Man kann die angreifende Mannschaft aus dem Rhythmus bringen - das Adrenalin ebbt dann ab", sagt Heynemann. Auch Oblak unterbrach den verzweifelten Sturmlauf der Münchner mit seiner Verletzung.

Im Finale von Mailand sollte sich jeder Zuschauer ein ausgeglichenes Ergebnis in den Schlussminuten wünschen, denn dann ist das Theater des Zeitspiels hinfällig. Die Schüler des Diego Simeone könnten dann zeigen: Andere taktische Mittel beherrschen sie ebenso gut.

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