Atlético Madrid gegen die Bayern:Heillos unterlegen - na und?

So glücklich wie Atlético überstand selten ein Team ein großes Halbfinale. Das Schicksal meint es gut mit dem Arbeiterklub. Viele sagen: Endlich!

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Von Rache halte er nichts, sagte Diego Simeone. Er glaube nur an neue Gelegenheiten, an neue Optionen im Leben. Der Trainer von Atlético Madrid will nur an die Zukunft denken und nicht an den Ballast der Vergangenheit. Das lehrt die moderne Sportpsychologie. Und deshalb müssen die alten Geschichten nun andere ausgraben.

An denen mangelt es in Spanien nach diesem Champions-League-Halbfinale allerdings nicht. Es ist auch zu schön, wenn man mit dem Gegner kein Mitleid haben muss. Auch wenn dieser viel besser war, viel schöner spielte, den Sieg viel mehr verdient hatte. Alles egal. Endlich kann die Wunde von 1974 verheilen. Als ein Mann mit einem für Spanier unausprechlichen Namen (Schwarzenbeck!) in der 120. Minute per Weitschuss das 1:1 erzielt hatte. Und Atlético Madrid damit den Sieg im Europapokal der Landesmeister verwehrte. Endlich Rache!

In der Rolle des unbeugsamen Außenseiters

Atlético, der Arbeiterverein aus der Hauptstadt, immer im Schatten des königlichen Real, lebt wie nie zuvor die Rolle des unbeugsamen Außenseiters. Der mit geringeren Mitteln, aber mit dem größeren Willen die Prominenz ärgert. Und deshalb macht es in Spanien auch niemandem etwas aus, dass die Mannschaft am Dienstagabend in München eigentlich heillos unterlegen war. Selbst der Spruch von Bayern-Profi Arturo Vidal führt höchstens zu Schulterzucken: "Es war der Sieg des hässlichen Fußballs gegen den schönsten Fußball der Welt", sagte der Chilene.

Doch wen interessiert das noch? Madrid hat nur 1:2 verloren in dieser Fußballhölle von München. Nach dem 1:0 im Hinspiel steht der Verein im Finale der Champions League am 28. Mai in Mailand. Spanien feiert die Helden mit großen Worten. Die Zeitung AS schrieb von "Selbstaufopferung und Leiden", Marca schrie fast: "Danke Atlético! Ihr seid unglaublich!"

Wenn überhaupt, dann war es ein Erfolg der Standhaftigkeit und des Willens. Denn vor allem in der ersten Halbzeit sahen sich die Gäste einem Sturm ausgesetzt, der sie aus der Arena zu wehen drohte. Nie in seiner Laufbahn habe er gegen einen so starken Gegner spielen müssen, erklärte Trainer Simeone, "es war unfassbar, wie sie aufgetreten sind". Er fuchtelte wie immer mit den Armen, er ruderte, er spornte seine Spieler zur Gegenwehr an. Er raufte sich fast mit Bayern-Ko-Trainer Hermann Gerland und schlug einmal seinem eigenen Assistenten rabiat auf die Schulter. Doch es half einfach nichts gegen die famosen Münchner. Allein die ritterlich kämpfenden Abwehrkanten, Torwart Jan Oblak und das Schicksal ließ Madrid in der ersten Halbzeit halbwegs entkommen.

Trainer Simeone ist einfach stolz

Das Schicksal, es muss sich in dieser Saison eindeutig auf die Seite von Atlético geschlagen haben. In Madrid glauben sie jedenfalls fest daran. Es wäre ja auch längst einmal fällig, nach der Trauer 1974, als die Bayern das Wiederholungsfinale 4:0 gewannen. Und nach der Trauer von 2014, als Real Madrid ebenfalls in der Nachspielzeit des Finals ausglich und in der Verlängerung 4:1 siegte. Zweimal hatte Atlético mit voller Wucht einen Schlag versetzt bekommen. Nun soll es endlich klappen mit dem Sieg im Finale.

"Wir haben jetzt zwei der stärksten Mannschaft ausgeschaltet. Darauf bin ich stolz", sagte Simeone. Vor den Bayern war ja schon der FC Barcelona an den Defensivkünsten von Atlético zerschellt. Auch Barça hatte im Viertelfinale mehr als 70 Prozent Ballbesitz und rannte ständig an. Wenngleich nicht einmal halb so schlau und schnell wie die Münchner am Dienstagabend. Dennoch überstand Simeones Truppe den Ansturm, weil sie im Strafraum den letzten Schuss, den letzten Kopfball zu verhinderte, sich in jeden Ball zu warf, oder auf Torwart Oblak vertraute. Und dann den einen, perfekten Konter spielte.

"Jetzt wollen wir Geschichte schreiben", sagt Torres

Das Tor von Antoine Griezmann hat vermutlich selbst Diego Simeone unvorbereitet erwischt. Nichts deutete bis zur 54 Spielminute in München auf einen Treffer seiner Mannschaft hin. Auch wenn er in der Halbzeit mit der Einwechslung des offensiven Yannick Carrasco für mehr Entlastung sorgen wollte. Bis zum Ende mussten sie dann zittern, weil Fernando Torres noch den Elfmeter verschoss und die Bayern immer weiter anstürmten. Teilweise machten die Gäste den Eindruck, als wollten sie jede Spielunterbrechung einfach bis zum Ende ausdehnen. Erst der Schlusspfiff brachte die Erlösung.

"Wir haben uns darauf vorbereitet zu leiden, und das mussten wir heute auch", sagte Griezmann. Doch so froh die Mannschaft auch war, das Finale zu erreichen, die Mission ist noch nicht erfüllt. "Jetzt wollen wir Geschichte schreiben. Wir haben noch nie die Champions League gewonnen", sagte Torres.

Vielleicht bekommt es Atlético dann wie vor zwei Jahren mit dem Nachbarn Real zu tun. Für Diego Simeone sicherlich nur eine neue Gelegenheit, eine neue Option. Rache für all die Demütigungen? Für das verlorene Finale 2014? Aber nicht doch.

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