FC Bayern nach dem verlorenen Finale:Attacken auf das Mia-san-mia-Gefühl

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Selbst mit einer Woche Abstand treibt den FC Bayern das Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea noch um. Das verlorene Elfmeterschießen hat vieles in Frage gestellt, was diesem Verein heilig ist: das geheimnisvolle Bayern-Gen, selbst den Bayern-Dusel. Nun wird viel geraunt - im Team und ums Team herum.

Andreas Burkert und Christof Kneer

In manchen Lebenslagen kann es ein unschätzbarer Vorteil sein, dass Uli Hoeneß die modernen Medien ablehnt. Die Gefahr, dass Hoeneß, 60, in den Untiefen des weltweiten Netzes auf dieses Video stößt, ist einigermaßen gering, was ein Glück ist für den FC Bayern und natürlich für die Berge rund um den schönen Tegernsee, die ansonsten noch massiver ins Wackeln gerieten als sowieso schon. Nicht auszudenken, wenn dem Präsidenten des FC Bayern dieses Video von Fernando Torres in die Hände fiele.

Nachhaltige Enttäuschung: Jupp Heynckes (links) und Bastian Schweinsteiger. (Foto: dpa)

Im Netz sind ein paar Bilder von jenen Momenten im Umlauf, die den FC Bayern jetzt umtreiben. Man sieht, wie ein Assistent von Chelsea-Coach Roberto Di Matteo vor dem Elfmeterschießen die Reihen seiner Spieler abschreitet, und man sieht die große Bestimmtheit in den Augen der Profis. Dann sieht man, wie Di Matteo auf den stolzen Spanier Torres zugeht und ihm eine offenbar üble Nachricht überbringt. Torres dreht erkennbar grimmig ab, und von diesem Moment an lassen die Bilder den Betrachter allein. Man sieht nicht, was Torres denkt, aber man kann es sich vorstellen:

Mist, ich darf keinen Elfer schießen!

Es ist jetzt eine Woche her, dass der FC Chelsea die kostbarste Trophäe des Vereinsfußballs aus München entführte; im Grunde sollte man meinen, es sei nun alles gesagt zu diesem Spiel, das sie in München nicht mehr vergessen werden, und nicht nur dort. Am Tag nach dem Drama, "am Sonntag", so hat es Thomas Müller zwar diese Woche erzählt, habe er noch "jede Stunde an dieses Spiel gedacht, am Montag dann noch alle drei Stunden".

Doch verschwinden wird dieses Spiel so rasch nicht mehr aus den Köpfen, denn das 3:4 im Elfmeterschießen erschütterte die Bayern wie selten etwas zuvor, weil ja inzwischen so etwas wie das Selbstverständnis der Bayern zur Disposition steht. Und so wird ihnen in Wahrheit mit jedem Tag unbegreiflicher, was da am 19. Mai 2012 geschah in der Stunde vor Mitternacht. Es ist nicht die ungerechte Niederlage als solche, die sie umtreibt. Es ist die Art und Weise.

Was den Münchner Verantwortlichen zu schaffen macht, ist zum Beispiel die Kleinmütigkeit ihrer Spieler. Für diese Bilder braucht man ja kein World Wide Web: Der Wutanfall, der den ausgewechselten 1:0-Schützen Thomas Müller, 22, befiel, war mit bloßem Auge zu erkennen. Er konnte einfach nicht begreifen, dass der Ukrainer Anatoli Timoschtschuk, 33 Jahre alt und ein hochdekorierter Held seines Landes, den Elfmeterschuss verweigerte (er wäre erst in der Verlängerung des Roulette-Spiels angetreten). Auch Toni Kroos ließ sich entschuldigen, einer jener Spieler, um die herum die Bayern ihre Zukunft bauen.

Es ist das Elfmeterschießen, das den FC Bayern tief in seiner Seele verletzte, denn es war eine Attacke auf den Markenkern dieses Vereins. Das Elfmeterschießen hat, obwohl es immer auch ein Glücksspiel ist, vieles in Frage gestellt, was diesem Verein heilig ist: das sogenannte Mia-san-mia, den Führungsspieler, das geheimnisvolle Bayern-Gen, selbst den Bayern-Dusel - es hat das über Jahrzehnte funktionierende Weltbild der Bosse erschüttert, dass ein Spanier, der für Engländer spielt, unbedingt schießen will, während Bayerns Trainerstab bei seiner Kandidatenkür nur auf die Haarwurzeln der gesenkten Köpfe blickte.

Presse zum Champions-League-Finale
:"Germans lose on penalties"

Die englische Presse staunt darüber, dass eine deutsche Mannschaft ein Elfmeterschießen verlieren kann. Die gefeierten Helden heißen Didier Drogba, Petr Cech und Trainer Roberto Di Matteo. Internationale Pressestimmen zum Champions-League-Sieg des FC Chelsea gegen den FC Bayern München.

Jenseits aller Mythengläubigkeit erlaubt dieses verpatzte Elfmeterschießen auch einen Einblick in die Organisationsstruktur dieser Elf. Auch dieses Bild war ja ohne technische Hilfsmittel sichtbar: Wie sich weniger Heynckes, sondern vor allem Assistent Peter Herrmann, 60, auf die Suche nach mutigen Männern begibt, gefolgt vom Assistenten Hermann Gerland, 57, mit seinem Notizblock der Schriftführer. Und wie Torwart Manuel Neuer als Schütze aufgerufen wird - obwohl er noch am Strafraumrand herumturnt. Es sei ein Kommunikationsproblem gewesen, ist aus der Mannschaft zu hören, Herrmann habe Neuer den vierten Schuss zugeteilt - den aber auch Ivica Olic für sich als zugeteilt betrachtete.

Presse zum Champions-League-Finale
:"Germans lose on penalties"

Die englische Presse staunt darüber, dass eine deutsche Mannschaft ein Elfmeterschießen verlieren kann. Die gefeierten Helden heißen Didier Drogba, Petr Cech und Trainer Roberto Di Matteo. Internationale Pressestimmen zum Champions-League-Sieg des FC Chelsea gegen den FC Bayern München.

Jener Olic, der dann für die Bayern an Position vier verschoss.

Das kann passieren in der Hektik, und das ist es auch nicht allein, was dem Verein ans Herz geht. Es ist wohl der gesamte Ablauf eines bedeutungsschweren Elfmeterschießens, für das die Bayern, trotz des Halbfinal-Thrillers in Madrid - und im Gegensatz zum FC Chelsea - explizit nicht übten. Weil er, so hatte Heynckes in der Woche vor dem Spiel erklärt, er über "mental so starke Spieler " verfüge.

Offiziell äußert sich keiner der Spieler, aber intern wird die etwas ungeordnete und schlecht vorbereitete Prozedur doch als Mangel an Führungskraft gedeutet. So ist auch zu hören, dass niemand mit dem jungen Kroos dessen Elfmeter-Fehlschuss von Madrid aufgearbeitet und ihn fürs nächste Mal bestärkt habe - weshalb der 22-Jährige die Verantwortung im Finale ablehnte. Dabei ist er ausgestattet mit der vielleicht perfektesten Schusstechnik der Liga.

Die Endzwanziger Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger sind erwachsen und selbständig genug; sie wissen, dass sie nicht um den Elfmeter herumkommen, auch wenn sie in Madrid verschossen haben (Kapitän Lahm) oder ziemlich müde sind (Schweinsteiger). Aber andere Spieler haben Schlupflöcher gefunden, die ein Bayern-Spieler nach Ansicht der Verantwortlichen nicht finden sollte.

Es wird nun also viel geraunt im Team und ums Team herum, es geht dabei auch darum, ob Müller und Franck Ribéry sich mit ihren kleineren Blessuren unbedingt hätten auswechseln lassen müssen. Oder ob sie nicht doch hätten überredet werden müssen, auf dem Feld zu bleiben. Thomas Müller hat übrigens im Training vor dem großen Finale für sich dutzendfach Elfer geübt. Augenzeugen berichten, er habe ausnahmslos getroffen.

Die Bayern haben diese Woche sehr viel getagt. Die Spieler redeten mit dem Vorstand, der Vorstand mit Heynckes' Freund Hoeneß und auch dieser vermutlich mit Spielern. Der Präsident hat die Krisentreffs mit der Wiederholung seines öffentlichen Dekrets flankiert - Heynckes habe Vertrag bis 2013 und bleibe "auf jeden Fall Trainer, ich kenne da derzeit keine andere Meinung", sagt er. Von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge blieb eine ähnliche Äußerung bisher aus. Das ist zwar erstaunlich, aber gegen den öffentlichen Hoeneß wird sich Rummenigge kaum noch stellen.

Das Elfmeterschießen gegen Chelsea mag für immer ein Rätsel bleiben. Aber die diskutierte Trainerfrage hat Uli Hoeneß mit einem recht alten Hausmittel geklärt.

© SZ vom 04.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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