FC Bayern in der Champions League:"Ohne Fans kommen wir nicht ins Finale"

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Weil ein taktisches Experiment von Trainer Pep Guardiola missglückt, entdeckt der FC Bayern im Champions-League-Viertelfinale gegen Manchester United eine alte Qualität wieder: die emotionale Kehrtwende. Guardiola höchstselbst appelliert an die recht stille Anhängerschaft.

Aus dem Stadion von Johannes Knuth

Nach etwa einer Stunde ergriff Pep Guardiola selbst das Kommando. Der Trainer des FC Bayern ist berühmt für seine Handzeichen an der Seitenlinie, mit denen er seinen Spielern taktische Aufträge erteilt - wobei noch nicht mit letzter Sicherheit geklärt ist, ob es sich dabei nicht doch um einen katalanischen Ausdruckstanz handelt.

Jedenfalls fuchtelte Guardiola nach den ersten 60 Minuten des Champions-League-Viertelfinals gegen Manchester United aufgeregt mit seinen Händen durch die Luft. Aber ausnahmsweise befehligte er nicht seine Spieler. Guardiola animierte tatsächlich das Publikum. Später sollte er sagen: "Das war heute eine Situation, in der wir die Zuschauer gebraucht haben."

Der FC Bayern in der Einzelkritik
:Pingpong mit den Zuschauern

Arjen Robben versöhnt sich mit dem Publikum. Franck Ribéry erkennt, dass er Gegenspieler Phil Jones im Ringkampf nicht schlagen kann. Und Philipp Lahm erschafft den abkippenden Außenverteidiger. Der FC Bayern beim 3:1 gegen Manchester in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Johannes Knuth

Es war der bis dato wohl kribbeligste Moment der aktuellen Bayern-Saison, beim 3:1 (0:0) gegen Manchester United, mit dem sich die Münchner für das Halbfinale der Champions League qualifizierten: Nach 57 Minuten hatte Manchesters Patrice Evra eine Flanke von Antonio Valencia aus vollem Lauf angenommen, der Ball sauste unhaltbar in den Torwinkel. Manchester führte, Bayern war in diesem Moment ausgeschieden. Für ein paar Sekunden schwieg die Arena, Fans englischer Gesinnung ausgenommen. Dann sang die Südkurve wieder. Kurz darauf erhob sich der Rest des Publikums.

Die Bayern leiteten umgehend den trotzigen Gegenangriff ein. 69 Sekunden nach dem Führungstreffer wuchtete Mandzukic den Ball ins Netz. Hatte jemand auf Seiten von Manchester in der Zwischenzeit Mut geschöpft, war der sofort wieder erloschen. Hatte jemand aus den Reihen der Bayern-Spieler Zweifel am Fortkommen gehegt, waren diese sofort wieder beseitigt.

"Das 1:1 war ganz wichtig, damit überhaupt keine Unsicherheiten aufkommen", sagte Thomas Müller später. "Wenn wir nicht sofort zurückschlagen, fangen die Spieler an zu überlegen. Dazu hatten wir zum Glück keine Zeit", bestätigte Kapitän Philipp Lahm.

Stimmen zur Champions League
:"Dafür lebst du, dafür trainierst du"

Arjen Robben erklärt seine gute Leistung, Pep Guardiola lobt die Geduld seines Teams. Und Franz Beckenbauer findet, dass die Auswechslung von Mario Götze entscheidend war für den Halbfinal-Einzug des FC Bayern. Die Stimmen zur Champions League.

Tatsächlich war es eine zuletzt selten gezeigte, weil selten benötigte Qualität, die den Bayern den Weg ins Halbfinale ebnete: Der emotionale Umkehrschub, unterstützt durch ein gegnerisches Führungstor. "Es war ein überragender Abend, sehr intensiv, gefühlsmäßig war einiges geboten", befand Müller.

Dabei hatte der Abend für die Bayern gefühlsmäßig eher lauwarm begonnen. Mit einem weitgehend missglückten Taktik-Experiment in Hälfte eins. Guardiola hatte, in Ermangelung seiner Lieblingsspezies (Mittelfeldspieler, Anm. d. Red.), seinen intelligentesten Aushilfs-Mittelfeldspieler geklont: Philipp Lahm. Hatte Manchester den Ball (selten), bemannte Lahm seinen Posten in der rechten Außenverteidigung. Kontrollierten die Bayern den Ball (fast immer), rückte Lahm ins Mittelfeld ein.

Theoretisch war Lahms Doppelschicht eine clevere Maßnahme. Manchester parkte das Zentrum am Mittwochabend wieder mit allen verfügbaren Kräften zu - ein Lahm im Mittelfeld, so die Theorie, würde diese Überzahl neutralisieren. Praktisch neutralisierte sich Guardiola mit diesem Kniff weitgehend selbst. Franck Ribéry und Arjen Robben mussten wegen Überfüllung im Zentrum ihre Diagonal-Dribblings meist unterlassen.

Also schlugen Ribéry und Robben unpräzise Flanken in den Strafraum, die entweder zu Nemanja Vidic, Chris Smalling, Phil Jones oder ins Toraus segelten. "Ich bin noch nicht lange hier, aber in der ersten Hälfte war es sehr still im Publikum", erinnerte sich Guardiola später, dann sah er ein: "Vielleicht müssen wir besser spielen."

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Tatsächlich musste Manchester die Bayern per Führungstor reizen, ehe die Stimmung kippte. Nach der emotionalen Wende lenkte Guardiola den Spielverlauf auch taktisch wieder in geordnete Bahnen. Aus einem 2-3-2-3 formte er ein 4-2-3-1. Der eingewechselte Rafinha spielte einen echten Rechtsverteidiger, Lahm und Kroos gaben zwei echte Sechser, Müller, Ribéry und Robben genossen in der Offensive größere Beinfreiheit, vor allem Ribéry und Robben tobten sich nun aus.

Vor Müllers 2:1 (68.) zogen sie die gegnerische Defensive per Flanke (Ribéry) und Dribbling (Robben) auseinander. Und beim 3:1 (76.) führte Robben sein allseits bekanntes Dressurkunststück vor: die Arjen-Robben-Diagonale. "Für solche Spiele spielst du Fußball, dafür gibst du alles. Das macht einfach Spaß", sagte der Torschütze.

Sein Trainer hielt derweil einen ungewöhnlichen Vortrag. Guardiola referiert ja gerne über die Wichtigkeit des Ballbesitzes (und die Unwichtigkeit aller anderen Faktoren), diesmal betonte er die mentalen Aspekte seines Schaffens. "In diesem Verein ist das Triple nicht genug", sagte er: "Alle Leute erwarten, dass wir immer gewinnen. Das ist nicht einfach für den Kopf."

Guardiola schloss seine Ausführungen mit einem weiteren Aufruf an den Anhang: "In Situationen wie heute brauchen wir die Fans. Ohne Fans kommen wir nicht ins Finale." Die nächste Gelegenheit zur Unterstützung dürften nicht lange auf sich warten lassen. Im Halbfinale warten Real Madrid, Atlético Madrid oder der FC Chelsea.

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