FC Bayern im DFB-Pokal-Finale:Wiederauferstehung nach fünf Watschn

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Das 2:5 im vergangenen Pokal-Finale gegen Dortmund (im Bild 1:4 von Robert Lewandowski) traf den stolzen FC Bayern ins Mark. (Foto: dpa)

Das 2:5 im Pokalfinale gegen Dortmund vor einem Jahr war die ultimative Demütigung für den FC Bayern. Es folgte ein betriebsamer Sommer: Die Spieler entwickelten eine ganz besondere Gier, die Verantwortlichen trafen richtige Entscheidungen. Nun können die Münchner gegen den VfB Stuttgart das historische Triple gewinnen. Die Geschichte eines spektakulären Comebacks.

Von Andreas Burkert und Claudio Catuogno

Der FC Bayern ist am Freitagmittag wieder in Berlin angekommen, und man kann sagen: In der Hauptstadt schließt sich für die Münchner an diesem Samstagabend (20 Uhr/ARD) ein Kreis mit der Teilnahme am 70. DFB-Pokalfinale, Gegner: der VfB Stuttgart. Vor einem Jahr sind die Bayern ebenfalls hier gewesen, Borussia Dortmund hieß damals der Endspielpartner. Die Partie endete mit einem unwirklichen Ergebnis: 2:5.

Zweizufünf. Wie ein Orkan fegt der BVB nach der Pause über die Bayern hinweg.

Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge sprach nachts beim Bankett von "einer Blamage, die wir erlebt haben", jedes Tor habe er als "Watschn" empfunden. Unanhängig vom eine Woche später stattfindenden Heimfinale in der Champions League gegen den FC Chelsea müsse man sich jetzt "kritisch hinterfragen".

385 Tage später? Haben die Bayern die Champions-League-Trophäe, die Meisterschale und jede Menge Rekorde im Gepäck, und in Berlin streben sie nun das Triple an - nie zuvor hat eine deutsche Fußballmannschaft die drei wichtigsten Titel in einer Saison gewonnen. Die Geschichte eines spektakulären Comebacks.

  • Drama dahoam

Im europäischen Endspiel in der eigenen Arena, eine Woche nach dem 2:5, wird der FC Chelsea klar beherrscht, Thomas Müller trifft in der 83. Minute zum 1:0. Drei Minuten später kommt für ihn Daniel van Buyten. Ein wenig Zeit schinden, ganz viel Kopfballstärke, klar. Dummerweise sind die Bayern aber nicht auf den einzigen Trick aus dem überschaubaren Repertoire der Londoner vorbereitet: Ecke, Tor.

"And now goal!", sagt David Luiz noch zu Bastian Schweinsteiger vor der Ecke in der 88. Minute. Er übertreibt nicht: Ecke, Kopfball Drogba, Tor - Verlängerung!

In ebendieser verschießt Arjen Robben einen Strafstoß, ehe vor dem Elfmeterschießen endgültig das Chaos ausbricht: Trainer Jupp Heynckes bekommt kaum fünf Schützen zusammen. Elfmeter hat er unter der Woche auch gar nicht üben lassen. Ein vermeintlicher Kerl wie der ukrainische Nationalelfkapitän Timoschtschuk kneift. Olic verschießt, Keeper Neuer trifft - aber Schweinsteigers finalen Ball lenkt Chelseas Torwart Cech an den Posten.

Bayern-Trainer Jupp Heynckes
:"Selten Spieler gesehen, die so um Fassung ringen"

Auch Bayern-Trainer Jupp Heynckes greift Brasiliens Fußballverband an, weil dieser Dante und Luiz Gustavo bereits vor dem Pokalfinale zur Seleção beorderte. Für die Vorgehensweise habe er "überhaupt kein Verständnis". Den Spielern habe er allerdings geraten, sofort in die Heimat zu reisen.

Die Bayern ziehen mit Bayer 04 Vizekusen gleich: dreimal Zweiter. Die Bayern! Sie werden darauf umgehend vom nächsten Orkan durchgeschüttelt, am Regler sitzen diesmal: Präsident Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge.

  • Pfostenshopping

Die Bayern-Granden kommen zu Erkenntnissen. Erstens: Der Kader muss tiefer werden, hochwertiger. Shaqiri ist bereits akquiriert, ebenso das Schnäppchen Dante, es folgen noch: Mandzukic, Pizarro und - nach kurzer Rücksprache mit der Festgeldabteilung - der 40-Millionen-Mann Martínez. Auch über Heynckes wird intern kurz debattiert. Aber er darf bleiben. Denn Klopp bleibt ein Pöhler, und für Kandidaten, die Mannschaften aus Hannover oder Mainz trainieren, fehlt den Bayern dann doch die Überzeugung.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Erst verstört, dann verzückt

Manuel Neuer bekommt so viel zu tun wie zuletzt in 34 Bundesligaspielen nicht, Javi Martínez bringt seine ganze Wucht auf den Platz und agiert vortrefflich nach vorne und Bastian Schweinsteiger erkämpft sich trotz Verletzung beim Aufwärmen endlich diesen verdammten Titel. Die Bayern beim 2:1 gegen Dortmund in der Einzelkritik.

Von Andreas Burkert und Claudio Catuogno, London
  • Heynckes will's wissen (I)

Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge ist im Sommerurlaub. Aber ständig klingelt das Telefon: Heynckes ist dran. Der Trainer hat Gesprächsbedarf. Zusammen mit seinen Co-Trainern Peter Hermann und Hermann Gerland plant der bald 68-Jährige die letzte Qualitätsoffensive seiner Karriere: Anders als im Vorjahr lässt Heynckes Laktattests machen; er setzt im Trainingslager einige Male drei Einheiten pro Tag an - das gab es noch nie. Er stellt alle Abläufe auf den Prüfstand. Die "Gelassenheit" des Alters, auf die sich Heynckes gerne beruft? Die strahlt er nur im Umgang mit Spielern und Medien aus. Aber was die Details der Trainingsarbeit angeht, ist da keine Gelassenheit. Eher: Besessenheit.

  • Hoeneß geht essen

Der Klubchef gönnt sich nicht nur neue Spieler, sondern auch einen Querdenker für die Bank. Sportchef Christian Nerlinger muss gehen, wegen dieses Elfmeterschießens, und überhaupt. Hoeneß geht zweimal mit Matthias Sammer und dessen Gattin essen. Dann sagt der damalige Sportdirektor des DFB zu. Kurz vor Sammers Präsentation im Juli erfährt auch Rummenigge davon. Sammer sagt zur Begrüßung, man dürfe keine Zeit verlieren: "Als Spieler hatte ich nie drei Wochen Urlaub." Der 45-Jährige rückt gleich in den Vorstand auf. Begründung von Hoeneß: Im Gegensatz zu Nerlinger habe der Neue ja schon "etwas geleistet" auf dem Gebiet.

  • Nicht gallig! Lätschert!

Sechs Spiele, sechs Siege in der Liga - ein super Start, nicht wahr? Sammer kommentiert den allerdings nach dem 2:0 in Bremen mit der alten Hoeneß-Masche: antizyklisch nörgelnd. "Der beste Start bedeutet mir nichts. Du kannst ja mal versuchen, heute in München auf einen Balkon zu rennen - da wird dir keiner was überreichen. Wir waren heute nicht gallig. Wir waren teilweise lätschert." Und so weiter. Heynckes distanziert sich öffentlich, und als hätte Sammer sie herbeigeredet, folgt in der Champions League die erste Pleite: 1:3 bei einer Mannschaft aus Borissow! Aber die Lätschert-Geschichte hat auch ihr Gutes. Die Leitwölfe haben ihr Revier markiert. Ab jetzt gehen sie gemeinsam auf Beutezug.

  • Vizekusen siegt

Ende September die erste Niederlage in der Liga: ein unglückliches 1:2 gegen eine Mannschaft aus Leverkusen. Macht aber nix. Es wird darauf wieder souverän gewonnen, bis zum ersten Wiedersehen mit den Dortmundern Anfang Dezember gibt es außer Dreiern nur ein Remis (1:1 gegen Nürnberg). Gegen den BVB spielen die Bayern trotz elf Punkten Vorsprung und der bereits Ende November errungenen Rekordherbstmeisterschaft lange: schüchtern. Als würde es sich bei Dortmund um den Meister der beiden zurückliegenden Jahre handeln . . . Das 1:1 beflügelt die Bayern trotzdem: Sie eilen von Rekord zu Rekord.

Höhepunkte der 50. Bundesliga-Saison
:Verunglückt am Elfmeterpunkt

Szabolcs Huszti von Hannover 96 erzielt das tragischste Tor, Rafael van der Vaart lässt sich zur würdelosesten Aktion hinreißen, im Vertrag von Wolfsburgs Diego Benaglio findet sich die verrückteste Klausel: Die Bundesliga-Saison endet mit erdrückender Dominanz der Bayern, doch sie hatte viele, ganz unterschiedliche Momente.

Die Highlights im Überblick
  • Heynckes will's wissen (II)

Im Januar wird bekannt, worüber in der Branche seit Wochen geraunt wurde: Die Bayern haben für die kommende Saison tatsächlich Pep Guardiola verpflichten können, den Trainer-Popstar, der sich gerade von 14 Titel mit Barça in New York erholt. Also eine überhastete Pressemeldung: "Jupp Heynckes beendet Karriere." Das nimmt Heynckes den Bayern übel, auch ist er trotz aller Vorsätze zum Rentenantritt nach der Saison jetzt ein wenig beleidigt: Funkstille. Heynckes spricht eine Weile nicht mehr mit Sammer, nicht mehr mit Rummenigge. Und denkt sich: Jetzt erst recht! Das Ergebnis ist bekannt: Ende Juni kommt der Star-Architekt Pep nach München. Nur: Das Haus ist schon fertig.

  • Die nationalen Verhältnisse

. . . werden laut Hoeneß Ende Februar geklärt, durch das 1:0 im Pokal-Viertelfinale gegen Dortmund. Torschütze: Arjen Robben. Zweifel? Haben die Bayern nun nicht mehr.

  • Der Trend is your friend

Doch im März verlieren sie 0:2 gegen den FC Arsenal. Zu Hause. Im Champions-League-Viertelfinale. Sie sind aber glücklich weiter, wegen des 3:1-Sieges aus dem Hinspiel in London. Das war knapp - aber Glück gehört auch in einer überragenden Saison dazu. Und Hoeneß kann mal wieder richtig zulangen: "Das war der letzte Warnschuss. Der Trend is your friend - und wir spielen seit drei Wochen schönen Dreck." Im Nachhinein ist es wohl ein Wachrütteln zum richtigen Zeitpunkt. Ab jetzt geht es ohne Konzentrationsschwäche weiter zum Gipfel. Der Trend is a Bayer!

  • Wintermeister

Frankfurt, 6. April. Die Bayern sind Meister. So früh wie noch nie eine Mannschaft in 50 Jahren Bundesliga. "Ich bin ja schon einige Male Meister geworden", sagt Heynckes "aber es war noch nie so kalt wie heute." Gefeiert wird entsprechend der Jahreszeit: vergleichsweise kühl. Frankfurts Trainer findet trotzdem warme Worte: "Ich wünsche dir", sagt Armin Veh zu Jupp Heynckes, "dass du die anderen Titel auch noch gewinnst, und dass du mit dem glücklich wirst, was du danach machen wirst. Und als Mensch sage ich: Ich habe viel von dir gelernt." Der rührselige Epos vom besten FC Bayern der Geschichte steuert jetzt zielsicher auf seine Höhepunkte zu.

  • Die Privatsache Hoeneß

Die Steueraffäre von Uli Hoeneß wird Mitte April bekannt, kurz vor dem Ligaspiel in Hannover. Der Bayern-Präsident: ein Steuerhinterzieher - und nur auf Kaution auf freiem Fuß! Eine moralische Instanz stürzt ins Bodenlose. Den Klub trifft die Geschichte ins Mark. Die Mannschaft? Spielt ohne Anzeichen der geringsten Erschütterung weiter. Die Steuergeschichte? "Ist die Privatsache unseres Präsidenten", sagt Jupp Heynckes. Jetzt zahlt sich auch aus, dass der Coach nach der Guardiola-Nummer seine Spieler noch enger um sich geschart hat. Natürlich spielen sie für den FC Bayern. Sie spielen auch für Hoeneß. Sie spielen aber vor allem: für sich selbst. Und für ihren Trainer.

  • 11:0

Die Gegner im Viertel- und Halbfinale der Champions League werden mit einer Selbstverständlichkeit abgefertigt, als handele es sich um Spiele gegen den HSV: Italiens souveräner Tabellenführer Juventus Turin wird zweimal 2:0 besiegt, die bis hierhin beste Mannschaft des Erdballs wird geradezu gedemütigt: Der FC Barcelona, allerdings nur mit einem halben bis viertel Messi angereist, geht in München 0:4 unter, die Offensiv-Diva Ribéry ist sich nicht zu schade, das Pensum eines Linksverteidigers abzuspulen - es ist der Triumph von Heynckes' Doktrin der kollektiven Abwehrarbeit, seiner entscheidenden taktischen Weiterentwicklung. Auch das Camp Nou stürmen die Bayern: 3:0.

2:0 + 2:0 + 4:0 + 3:0 = 11:0.

Unglaublich.

"Adios Europa! Der Champion kommt aus Deutschland!", schreibt El País.

Die Fußballgötter
:Mehr Respekt, bitte!

Der FC Bayern geht mit einer respektablen Bilanz in das DFB-Pokal-Finale. Doch der VfB Stuttgart hat auch einiges zu bieten.

Von Guido Schröter
  • Tränen in Wembley

Die nationalen Verhältnisse werden nun doch erst in London geklärt: "Fußball is coming home" steht vor dem Eurogipfel im Wembley-Park auf riesigen Bannern. Die Bayern spielen gegen Dortmund lange ratlos. Aber sie befreien sich, dank ihrer Qualität, dank Neuer, dank Martínez, dank ihrer kraftvoll-faszinierenden Gruppendynamik. Robben trifft zum Sieg in der 89. Minute. Hoeneß schluchzt selig auf dem Siegerbalkon, Müller heult vor Glück. Robben und Schweinsteiger drehen dem Schicksal eine Nase. Und nun wollen sie also dieses Triple. Wohl noch nie war der DFB-Pokal für die Bayern so wertvoll wie 2013.

© SZ vom 01.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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