Europa League:Aua, Madrid!

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Eine abstruse Transferpolitik, ein schlechter Trainer, Finanzprobleme und Katsche Schwarzenbeck. Auf Atlético Madrid wartet der Schmerz stets an der nächsten Ecke.

Javier Cáceres

Eine Frage aus dem Fond eines Autos ist bis heute die unübertreffliche Definition dessen, was Atlético Madrid bedeutet. In einem Werbespot wurde sie von Kindermund gestellt: "Papaaaa?" - "Ja, Sohn!" - "Wieso sind wir eigentlich für Atlético?" Was als Antwort folgte, sprach Bände: die hilflose Stille eines Mannes, dem nicht eine einzige Antwort einfällt. Und sei sie noch so irrational.

José Antonio Reyes, einer der feinsten, aber auch launischsten Fußballer, die Spanien je hervorgebracht hat. (Foto: Foto: AP)

An diesem Mittwoch wird Atlético Madrid versuchen, gegen den FC Fulham im Europa-League-Finale die erste Trophäe seit 14 Jahren zu gewinnen. Für den Beweis, dass Atlético eine Allegorie auf die absurde Unvorhersehbarkeit des Lebens an sich darstellt, auf das stets unvollkommene Glück, sorgte in diesem Jahr: ein isländischer Vulkan. Tausende Atlético-Fans, von denen nicht wenige in den Banken Kredite aufgenommen haben (und sie trotz Kreditklemme gewährt bekamen), bangten am Dienstag um die Reise nach Hamburg. Pech? I wo! Teil des Atlético-Wesens.

Ein einziges Mal hatte Atlético das Finale im Landesmeister-Cup erreicht; seither ist Madrid einer der raren nicht-deutschen Orte, wo man einen Namen, der in spanischen Ohren wie ein Niesanfall klingt, korrekt buchstabieren kann: Schwarzenbeck. Der Verteidiger des FC Bayern hatte 1974 in der letzten Minute der Nachspielzeit ein Tor aus gefühlt 7566 Metern geschossen - und damit ein Wiederholungsspiel erzwungen, das die Münchner 4:0 gewannen. "Wir sind halt el Pupas", sagte der damalige Klubchef Vicente Calderón. "Pupas", das ist eine unübersetzbare Schöpfung, die von "pupa" herrührt, sie heißt so viel wie: aua. Der Schmerz lauert immer an der nächsten Ecke. Nur zwei Sommer, nachdem Atlético letztmals Titel gewann (1996: Meisterschaft und Pokal), war der Klub abgestiegen. Ein Tor hätte am letzten Spieltag die Rettung bedeutet, es gab sogar einen Elfmeter. Er wurde verschossen.

"Reyes verrecke!"

Aus "einem Jährchen in der Hölle" der zweiten Liga, wie damals eine Werbekampagne lautete, wurden schließlich zwei Jahre. Mittlerweile ist der neunmalige Meister "Atleti" wieder in der Primera División etabliert. Zu Beginn dieser Saison jedoch musste der Klub um den Klassenerhalt bangen, eine abstruse Transferpolitik, ein schlechter Trainer und Finanzprobleme brachten das Team in Not. Die Abwehr war eine derart zirkusreife Attraktion, dass ein Radioreporter sie "die bärtige Frau" taufte. Vorne verzweifelten Klassestürmer wie Simao, Diego Forlán oder Sergio Agüero. Zugang José Antonio Reyes, einer der feinsten, aber auch launischsten Fußballer, die Spanien je hervorgebracht hat, kämpfte mit den Anhängern. "Reyes, muérete", schrien sie, "Reyes verrecke!", weil er früher beim verhassten, erfolgreichen Stadtrivalen Real gespielt hatte. Mittlerweile spielt Reyes so dermaßen gut, dass ihm das Publikum Ovationen spendiert, wenn er ausgewechselt wird.

Überhaupt, das Stadion: Der kleinere Teil, die Ultras also, ist nicht bloß philofaschistisch wie der frühere Klubchef Jesús Gil, sie sind echte Nazi-Schläger. Aber: die Stimmung im Calderón-Stadion ist spanienweit unübertroffen. Leidenschaftlich, fast argentinisch. Es war nicht überraschend, dass die Anwohner des Neptuno-Brunnens nach dem Einzug ins Europa-League-Finale kein Auge zubekamen. Dort, wo traditionell die Erfolge Atléticos gefeiert werden, ließen Tausende mit Fahnen, Tröten und Böllern ihrer Freude freien Lauf, darunter Industrieminister Miguel Sebastián.

Unter Berücksichtigung der melodramatischen Ader Atléticos ist eine herzzerreißende Pleite wahrscheinlicher als ein Triumph. So wie 1996 hat Atlético wieder zwei Titel zum Greifen nahe, kommende Woche spielt der Klub in Barcelona gegen den FC Sevilla um den Königspokal. Ob das ein gutes Omen ist? Der Bürgermeister hat vorsorglich den Neptuno-Brunnen umzäunen lassen, das historische Bauwerk soll nicht leiden, wenn es Tausende Atlético-Fans stürmen. Sollte dies geschehen, dürfte Minister Sebastián wieder vorbeischauen - allein schon um Leibwächter und Chauffeur zu quälen. Sie sind, so verriet er, Real-Madrid-Fans.

© SZ vom 12.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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