Erkrankter Torwart bei Hannover 96:Mehr Mut zur menschlichen Schwäche

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Knapp zwei Jahre nach Robert Enkes Freitod wegen Depressionen bekennt sich Hannovers Ersatz-Torhüter Markus Miller öffentlich zu seiner mentalen Erschöpfung. Sein Verein lobt ihn für diesen Schritt und es zeigt sich, dass die Bundesliga langsam psychische Probleme bei ihren Profis akzeptiert - dabei hat der Druck auf die Spieler eher zugenommen.

Jörg Marwedel

"Man sollte", sagt Jörg Schmadtke, "die Dinge nicht miteinander vermengen." Dieser Hinweis ist dem Geschäftsführer Sport von Hannover 96 wichtig. Denn natürlich weiß er, wie schnell die Verbindung gezogen wird zwischen Robert Enke und Markus Miller - dem einstigen Stammtorwart, der wegen Depressionen seinem Leben am 10. November 2009 ein Ende setzte, und dem Ersatzkeeper von 96, der am Montag mitteilte, er lasse sich wegen "mentaler Erschöpfung" und einem beginnenden Burnout-Syndrom stationär behandeln.

Hat bewusst den Weg in die Öffentlichkeit gewählt: Markus Miller. (Foto: dapd)

Abgesehen davon, dass Miller im Gegensatz zu Enke seine Erkrankung publik gemacht hat und der mit ihm arbeitende Psychologe Martin Braun von einer "deutlich positiven Behandlungs-Prognose" ausgeht, stellt sich die Frage: Gehen Bundesliga und Medien seit Enkes Tod anders um mit solchen menschlichen Schwächen?

Glaubt man Jörg Neblung, dann "hat Roberts Tod etwas bewirkt". Es gebe "inzwischen eine höhere, leider nicht messbare Sensibilität im Umgang mit diesen Problemen", sagt der frühere Berater und Freund von Enke. Dazu komme eine bessere Kenntnis über Maßnahmen und eine größere Akzeptanz dieses Leidens. Teresa Enke, die Witwe des Nationalkeepers, bot der Familie von Miller Hilfe an, denn es sei ja nicht nur eine Sache des Erkrankten, sondern auch ein Problem der Angehörigen, die nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen.

Tatsächlich gebe es, so Schmadtke, in Hannover seit dem Fall Enke eine "größere Sensibilität". Von Präsident Martin Kind bis zu Trainer Mirko Slomka bewundern alle Millers "Mut", so offensiv mit dem Problem umzugehen. Doch dem Sportchef fällt es schwer, außerhalb Hannovers große Fortschritte beim Umgang mit Tabu-Themen wahrzunehmen. Sonst, sagt Schmadtke, gäbe es kaum jene neuen Statistiken, in denen den Profis nach jedem Spieltag öffentlich vorgehalten wird, wer "der langsamste oder lauffaulste" gewesen sei. So werde der Druck auf die Spieler zusätzlich erhöht.

Miller, von Schmadtke als "sehr aufgeschlossener und intelligenter Vertreter seiner Zunft" und vom Therapeuten Braun "oberflächlich betrachtet als vorbildlicher Fußballprofi" beschrieben, ist zunächst vor allem am wichtigsten Merkmal eines Profis gescheitert: seinem Ehrgeiz. Beim Karlsruher SC zählte er zu den Spitzentorhütern der Bundesliga; zu Hannover kam er 2010, um mit Florian Fromlowitz um den Stammplatz zu streiten.

Dann zog an beiden der junge, inzwischen zur Nationalelf aufgestiegene Ron-Robert Zieler vorbei. Fromlowitz ging, Miller blieb. Und nun leidet er zunehmend unter dem Gefühl, der Mannschaft "nicht mehr wirklich zu helfen oder etwas Wesentliches zu bewirken".

Schmadtke, früher Profitorwart, weiß um den besonderen Druck der Rolle. Ein Feldspieler könne nach Fehlern "mehr laufen oder anders in Zweikämpfe gehen", um Frust abzubauen. Ein Torwart könne das nicht, ein Ersatztorwart noch weniger. Psychologe Braun sagt, es gehe um "eine positivere Umgehensweise" mit dem Problem. Es gehe darum, "eigene Stärken, Kompetenzen, Ressourcen" herauszufiltern, um mit den "einschränkenden gefühlten Anforderungen" gesünder umzugehen.

Oft reiche ein spezielles Sportcoaching mit Elementen aus dem Mentaltraining, um Blockaden zu lösen. Manchmal sei aber eine psychotherapeutische Behandlung nötig, um Ursachen und Symptome aufzubrechen. Der Sportpsychologe Ralf Brand glaubt, dass die Zahl der Sportler, die sich "frühzeitig und auch präventiv" an seinen Berufsstand wenden, "erheblich gestiegen ist".

Auch Schmadtke fällt noch ein positives Beispiel ein, aus der zweiten Liga. Er erinnert sich, dass der FSV Frankfurt im Sommer den Spielmacher Mike Wunderlich für ein Jahr an den Fünftligisten Viktoria Köln abgegeben habe. Wunderlich soll in seiner Heimat im alten Umfeld wieder zu sich selbst finden. Auch bei ihm hatten Ärzte ein Burnout-Syndrom festgestellt. Wie der FSV bei Wunderlich, so hofft auch Hannovers Trainer Slomka, dass Miller "gestärkt aus der Situation hervorgeht". Vielleicht hilft Miller, dass sein Vertrag noch zwei Jahre läuft. Eine lange Zeit im Fußball.

© SZ vom 07.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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