Dopingfall Lance Armstrong:Gipfel der Verlogenheit

Doping im Spitzensport gab es schon lange vor dem gefallenen Radsport-Idol Lance Armstrong: Vom Urknall um Sprinter Ben Johnson über den systematischen Betrug in der DDR - doch so verlogen wie bei Armstrong war es nie.

Ein Kommentar von René Hofmann

Urteile verdichten sich oft in Adjektiven. Die bleiben in Erinnerung, wenn sie klug gewählt und treffend gesetzt sind. Das "ausgeklügeltste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm, das der Sport je gesehen hat" - so hatte die US-Anti-Doping-Behörde das Treiben von Lance Armstrong genannt, als sie die Akten veröffentlichte, in denen Zeugen auf mehr als 1000 Seiten beschrieben, mit welchen verbotenen Mitteln und perfiden Tricks der Radprofi zu seinen sieben Tour-de-France-Titeln gekommen war.

Bei seinem ersten TV-Auftritt nach den Enthüllungen lag Lance Armstrong viel daran, diesem Urteil etwas entgegenzusetzen. Die Einschätzung stimme nicht, behauptete er bei Oprah Winfrey gleich zum Auftakt. Das DDR-Staatsdoping habe wesentlich größere Dimensionen gehabt.

Größer, höher, weiter - der Dreisatz treibt den Hochleistungssport. Ihn auf die Skandale des Sports zu übertragen, ist aber absurd. Wer war der größte Dopingfall? Was der höchste Heldensturz? Welcher Skandal reichte am weitesten? Das sind müßige Fragen, weil jeder Fall vor einem anderen Hintergrund spielt. Und in einer anderen Zeit. Interessant ist, wofür eine Enthüllung in Erinnerung bleibt. Was sich mit ihr verändert; in den Regelwerken und beim Publikum.

Clevere Vernetzung

Pharmazeutischer Betrug im Sport: Dass es so etwas überhaupt gibt, wurde den meisten, die damals schon zuschauten, im September 1988 bewusst, als Ben Johnson in einer Urinprobe das muskelbildende Steroid Stanozolol nachgewiesen wurde - drei Tage, nachdem er bei den Olympischen Spielen in Seoul den 100-Meter-Sprint in der Rekordzeit von 9,79 Sekunden absolviert und dabei seinen großen Widersacher Carl Lewis hinter sich gelassen hatte. Ben Johnson - das war der Doping-Urknall. Sein Fall weckte das Misstrauen, das bei außergewöhnlichen Leistungen seitdem immer mitschwingt.

Kurz darauf knallte es erneut: In dem Buch "Doping-Dokumente" legten die ehemalige Diskuswerferin und Kugelstoßerin Brigitte Behrendonk und ihr Mann, der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke, 1991 die Details des systematischen Dopings in der DDR offen. Unter dem geheimen Staatsplan 14.25 waren dort zwischen 1974 und 1989 mehr als 10 000 Sportler gedopt worden, zum Teil unter dem Druck, ansonsten Repressionen des Regimes fürchten zu müssen, zum Teil unwissentlich. Auch Minderjährige waren betroffen. Dass die verbotenen Mittel erhebliche Gesundheitsschäden verursachen könnten, war den Verantwortlichen bekannt. Der Fall offenbarte, wie weit manche Staaten bereit sind zu gehen, um sportlichen Glanz zu erheischen.

Ein Skandal, der den Blick auf die zu laxen Regeln lenkte, war die Affäre bei der Tour de France 1998, als ein Betreuer des Festina-Teams mit großen Mengen unerlaubter Mittel erwischt wurde, was zeigte: Hier spielen viele falsch, die noch nie eine positive Doping-Probe abgegeben haben. Das Argument, mit Tests ließe sich die Unschuld eines Athleten belegen, wurde damit klar widerlegt. Seit 2003 auf den Tipp eines eingeweihten Trainers hin aufflog, wie die Bay Area Laboratory Co-Operative - kurz Balco - amerikanische und europäische Sporthelden jahrelang mit Wachstumshormonen und dem selbst entwickelten Designersteroid THG versorgt hatte, lässt sich mehr als ahnen, welche beinahe industriellen Dimensionen das Doping angenommen hat.

In die Reihe dieser wegweisenden Fälle gehört auch Lance Armstrong. Er zeigt, wie weit es einer trotz aller Zweifel und Tests mit Betrug schaffen konnte, weil er zum Äußersten bereit war, sich clever mit Funktionären und Politikern vernetzte, auch vor Drohungen nicht zurückschreckte und selbst unter Eid log, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Dimension der Verlogenheit auf allen Ebenen ist es, die den Fall Armstrong herausstechen lässt.

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