DFB-Torhüter ter Stegen:Aufbauhilfe für die Nummer zwei

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Die Personalie Marc-André ter Stegen ist der Höhepunkt dessen, was die Kritiker in Deutschland als "Jugendwahn" bezeichnen. Doch der Torhüter besitzt die Aura von 200 Bundesliga-Einsätzen, die Ruhe eines Profis nach der dritten Meisterschaft, das Selbstbewusstsein eines Unumstrittenen - zumindest bis zum 3:5 gegen die Schweiz. Nun muss er vom Bundestrainer wieder aufgebaut werden.

Thomas Hummel, Basel

Marc-André ter Stegen ist gerade 20 Jahre alt geworden. In diesem Alter machen andere ihr Abitur, ihren Führerschein, ihre erste weite Reise alleine mit dem Rucksack. Viele wissen noch nicht, welchen Beruf sie einmal ausüben wollen. Sie fühlen sich langsam hinein in die Welt der Erwachsenen. Marc-André ter Stegen hat sich nicht lange aufgehalten mit dem Hineinfühlen. Er steht bereits mittendrin im Leben eines Fußball-Torwarts.

DFB-Torhüter ter Stegen beim 3:5 gegen die Schweiz: "Kein gutes Spiel gemacht" (Foto: REUTERS)

Die Personalie ter Stegen ist der Höhepunkt dessen, was die Kritiker im Fußballland als "Jugendwahn" bezeichnen. In diesem Land war es lange verpönt, einen U20-Feldspieler aufzustellen, stattdessen wurden Ü30-Profis aus Osteuropa geholt. Aber einen 18-Jährigen in ein Bundesliga-Tor stellen? Der Trainer, der dies wagt, muss verrückt geworden sein! So endete die Amtszeit des Fußballlehrers Louis van Gaal beim FC Bayern München praktisch in dem Moment, in dem er den damals 22-jährigen Thomas Kraft für den damals 36-jährigen Jörg Butt im Tor installierte.

Bei Marc-André ter Stegen verlief der Einstieg in den Profifußball unaufgeregt. Plötzlich stand er eben im Tor. Und dass er 18 Jahre alt war, musste man sich schon anlesen. Wäre in Nahaufnahmen nicht sein Bubengesicht zu entdecken, man würde ihn auf Ende Zwanzig schätzen und damit im besten Torwartalter. Sein breites Kreuz, seine erhobene Brust, sein kantiger Schädel.

Ter Stegen besitzt die Aura von 200 Bundesliga-Einsätzen, die Ruhe eines Profis nach der dritten Meisterschaft, das Selbstbewusstsein eines Unumstrittenen. Zumindest bis Samstagabend in Basel. Bis zu diesem 3:5. Marc-André ter Stegen beantwortete ein paar Meter vor dem Mannschaftsbus im St. Jakob Park noch ein paar Fragen zu seinem ersten Einsatz im deutschen Nationaltrikot. Ruhe und Selbstbewusstsein? Er sah eher aus wie ein 20-Jähriger, der gerade zum dritten Mal durch die Führerscheinprüfung gefallen war.

"Das war sicherlich nicht mein bester Tag, wir haben heute fünf Gegentore bekommen", erklärte er. Und als ob die Wörter alles erst fassbar machten, folgte eine Pause, ter Stegen schluckte: "Das tut schon weh." Ter Stegen war beim vierten Gegentor von Stephan Lichtsteiner zu spät rausgelaufen, es war sein Ding. Nur einmal konnte er gegen Eren Derdiyok für seine irrlichternde Abwehr retten, sonst holte er eigentlich nur die Bälle aus dem Tornetz.

Der Torwart hatte noch nie in seiner Bundesliga-Karriere in Mönchengladbach in einem Spiel mehr als zwei Treffer kassiert, überraschend war er als vierter Torwart mit ins DFB-Trainingslager gerufen worden, er kam zu seinem ersten Länderspiel in der Schweiz. Und jetzt fing ter Stegen die meisten Gegentore eines Torwart-Debütanten seit 1954, seit Heinrich Kwiatkowski beim 3:8 gegen Ungarn in der WM-Vorrunde.

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DFB-Medienchef Harald Stenger stand im St. Jakob Park neben ihm und blickte so ernst drein wie es der Situation angemessen war. Ter Stegen sagte: "Ich habe auch meine Fehler gemacht. Ich habs nicht extra gemacht, aber es passiert halt." Er hat es nicht extra gemacht. Das sagen kleine Jungs, wenn sie vom Vater ordentlich ausgeschimpft werden.

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Per Mertesacker wirkt sowohl körperlich als auch geistig zu langsam, Mesut Özil hat scheinbar keine Lust auf die zweite Mannschaft, Lukas Podolski klatscht sich immerhin heftig mit dem Trainer ab. Nur Sami Khedira wehrt sich gegen die Niederlage. Die DFB-Elf beim 3:5 gegen die Schweiz in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Basel

Doch der "Vater", also in diesem Fall der Bundestrainer Joachim Löw, schimpfte überhaupt nicht. Im Gegenteil. Als ihm das ZDF das vierte Gegentor vorspielte, bekam Löw einen finsteren Gesichtsausdruck. Aber nicht wegen ter Stegen. "Mich ärgert, dass die Abwehr auch nicht zurückweicht", schimpfte Löw. So konnte Gökhan Inler diesen Ball in den Strafraum lupfen und ter Stegen sah blöd aus.

Den Torwart nahm er vehement in Schutz: "Ich habe ihm gesagt, dass er den Kopf jetzt nicht hängen lassen muss. Er ist ein sehr junger Spieler, wahnsinnig hoch veranlagt. Marc-André ter Stegen hier jetzt zu kritisieren, wäre völlig falsch." Auch Abwehrspieler Mats Hummels legte verbal seinen Arm auf ter Stegens Schultern. Nicht nur er habe Fehler gemacht in Basel. Das grundsätzliche Urteil wanke deshalb nicht: "Jeder, der ihn ein paar Mal gesehen hat, der weiß, wie gut er ist", lobte Hummels.

Ähnliches war vor der Testpartie auch aus dem Trainerzirkel zu vernehmen. Ter Stegen, so hieß es, habe die Konkurrenten Tim Wiese und Ron-Robert Zieler überholt und sei bereits die gefühlte Nummer zwei. Ob das nach diesem Debüt immer noch der Fall ist? Ob er nun doch noch die EM verpasst, wenn am Dienstag Löw neben drei Feldspielern auch einen Torwart aus dem Kader entlassen wird.

"Damit muss ich mich nicht beschäftigen, ich habe heute kein gutes Spiel gemacht und wir werden sehen, was passieren wird", sagte ter Stegen. Was auch immer passiert: Für eine Rucksackreise durch die Welt wirkt dieser 20-Jährige jedenfalls schon zu alt.

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