DFB-Team:Löws mögliche Lösung mit Kimmich

Lesezeit: 3 min

Rückt Joshua Kimmich schon gegen die Ukraine in die Startformation? (Foto: Bongarts/Getty Images)

Das 2:0 im Test gegen Ungarn verrät vieles über die deutsche Startformation für die EM. Das Spiel zeigt aber auch, wo die Schwachpunkte im Kader liegen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Niemand sei unersetzlich, und wenn ein Spieler ausfiele, dann trete eben ein anderer an seine Stelle, hat der Bundestrainer neulich im Trainingslager in Ascona gesagt und dabei so knallhart geklungen wie der Kommandant eines Fähnleins, das zur Rettung des Vaterlands einen Auftrag hinter der Feindeslinie erfüllen muss. Militärische Strenge liegt zwar nicht in der Natur von Joachim Löw, aber er hat mit dieser Aussage eine programmatische Äußerung getätigt: Die Architektur seines EM-Kaders definiert sich unter anderem dadurch, dass jeder Spieler der Schatten eines anderen Spielers sein soll, so dass jeder jederzeit an die Stelle des Anderen treten kann. Dennoch zeigte Löw Zeichen einer gewissen Beunruhigung, als nach einer halben Stunde des Testspiels gegen Ungarn in Gelsenkirchen Sami Khedira nach einem Zusammenstoß mit dem Verteidiger Adam Lang zu Boden ging und dort, offensichtlich leidend, liegenblieb.

Die Mediziner eilten zur Soforthilfe herbei, und ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein hielt nach eigener Aussage vor lauter Schreck den Atem an, was ihr einige Luftnot beschert haben dürfte, da Khedira wenigstens eine Minute lang am Unfallort behandelt wurde. Er spielte schließlich weiter, kam nach der Pause aber nicht mehr wieder: "Eine reine Vorsichtsmaßnahme", wie Löw später versicherte.

Nationalelf
:Löw zu Schweinsteiger: "Er muss schon noch was tun"

Bastian Schweinsteiger bekommt gegen Ungarn 22 Minuten Spielzeit, zu viel mehr reicht es derzeit auch noch nicht. Der Bundestrainer gibt ihm Hausaufgaben mit auf den Heimweg.

Von Jörg Strohschein

In den 45 Minuten seines Mitwirkens beim allenfalls geringfügig funkelnden 2:0-Sieg gegen den mäßig bemittelten EM-Teilnehmer Ungarn hat sich Khedira nicht wie ein Unersetzlicher hervorgetan. Aber es ist keine Kühnheit zu behaupten, dass ihn Löw zu der Handvoll Spieler rechnet, die den harten Kern des 23 Köpfe zählenden Fähnleins bilden. Wie ja überhaupt die Startaufstellung, die er am Samstag wählte, einen gewissen Widerspruch bildete zu seiner leidenschaftlich vorgebrachten Aussage zur Personalpolitik im Turnier: "Ich will nicht festgenagelt werden", rief Löw zuvor aus: "Wie sieht die Wunschelf aus? Ich lasse manches offen."

Dennoch hatte der Auftritt unverkennbar den Charakter der amtlichen Generalprobe: Antonio Rüdiger als Partner des vielleicht nicht unersetzlichen, aber auf jeden Fall unentbehrlichen Jérôme Boateng in der Innenverteidigung, das scheint bis zur Genesung von Mats Hummels die präferierte EM-Variante zu sein. Jonas Hector als linker Außenposten der Viererkette, dazu die ständigen Hauptdarsteller Khedira, Toni Kroos, Thomas Müller und Mesut Özil sowie Julian Draxler am linken Flügel und Mario Götze in der Angriffsspitze - so könnte sie aussehen, die gedachte Idealformation. Spieler wie Emre Can und André Schürrle fungieren als Stellvertreter in Not- und Ermüdungsfällen (für Hector und Draxler), die echte Neun Mario Gomez als Alternative zur falschen Neun Götze.

Benedikt Höwedes, im heimischen Schalker Stadion als Rechtsverteidiger aufgeboten, muss einstweilen damit leben, dass er in der Generalproben-Elf den unsichersten Platz hatte. Jenseits der Mittellinie, jenseits seines Einsatzgebietes als Verteidiger, liefert Höwedes naturgemäß nicht die Zutaten, die man für das variable Spiel gegen einen defensiven Gegner benötigt. Mangels Höwedes' Eignung zum Flügelläufer ergab sich gegen die konzertiert verteidigenden Ungarn eine ausgeprägte Linkslastigkeit im deutschen Spiel.

Während Hector und Draxler ein fideles, trickreiches Duo bildeten und dadurch unter anderem zum 1:0 durch das von Götze erzwungene Eigentor beitrugen, lag die rechte Angriffsseite oft brach wie ein Sperrgebiet. Streckenweise wurde diese Zone gemieden, als ob sie mit einem Verbotsschild versehen wäre: "Zum Dani Alves werde ich nicht mehr", räumte Höwedes mit ironischem Verweis auf den offensivstarken Rechtsverteidiger aus Barcelona ein.

Ausgebildet wurde der Schalker Kapitän als Innenverteidiger, aber in dieser Rolle ist er nicht mehr vorgesehen in Löws generalstabsmäßigen Planungen. Die mikrospezifische Festlegung eröffnet dem Münchner Neuling Joshua Kimmich die Aussicht auf unverhoffte Einsatzchancen beim EM-Turnier. Löw sieht in dem 21-Jährigen, der als Mittelfeldspieler bei RB Leipzig den Bayern so gut gefiel, dass sie 8,5 Millionen Euro ausgaben, die alternative (Offensiv-)Lösung auf der rechten Abwehrseite: "Jo Kimmich hat im Spiel nach vorn seine Möglichkeiten", meint er. Manche wollen erfahren haben, dass er sie schon beim Turnierstart gegen die Ukraine kommenden Sonntag in Lille nachweisen darf.

Am kommenden Sonntag? Darauf sollte Löw den einen oder anderen Weltmeister seines Teams noch mal hinweisen, ein paar kräftige Motivationsschübe würden La Mannschaft nach dem Eindruck der Ungarn-Partie gut tun. Immer noch sieht es so aus, als müsste Wettkampfspannung aufgebaut werden, zwei Jahre nach dem WM-Titel ist dieser pädagogisch schwer greifbare Makel nicht behoben. Interessanterweise bot just der für seine Einstellung oft gescholtene Götze ein gegenteiliges Beispiel. Das Thema ist der Stabsleitung bekannt: Beim Turnier werde die Mannschaft "mit einer anderen Mentalität" zur Stelle sein, versprach Manager Bierhoff.

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Termine der Fußball-EM in Frankreich
:EM 2016 Spielplan

Vom Eröffnungsspiel am 10. Juni bis zum Finale am 10. Juli 2016: Der Spielplan mit allen Begegnungen, Spielorten und Anstoßzeiten der Europameisterschaft in Frankreich.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: