DFB-Gegner beim Confed Cup:Chiles Wandel hat Champions produziert

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Will auch gegen Deutschland jubeln: Arturo Vidal. (Foto: REUTERS)
  • Nach den internationalen Titelgewinnen der vergangenen Jahre erhebt Chile Anspruch auf den Sieg beim Confed Cups.
  • Angeführt von Bayerns Vidal sei Chile eine der "weltbesten Mannschaften", wie der Bundestrainer betont.
  • Gegen Deutschland möchte Chile in Bestbesetzung unter Beweis stellen, dass der Erfolg seiner Nationalmannschaft kein Zufall ist.

Von Javier Cáceres

Fußball ist auch Erinnerung, und im Moment haben sie in Chile reichlich davon. Im Fernsehen läuft in diesen Tagen ein Doku-Drama zur Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land, sie fand 1962 statt und wurde nun mit den besten Mimen des Landes nachgestellt: vom Sieg bei der Ausschreibung, der auf einem unvergessenen Satz von Carlos Dittborn gründete, dem Chef des Bewerbungskomitees ("Weil wir nichts haben, wollen wir alles!"), bis zum Sieg im Spiel um Platz drei.

Vor allem aber regnet es Erinnerung an Jahrestage jüngerer Wegmarken des chilenischen Fußballs, die für das Heute wichtiger sind. 2014, 2015, 2016 sind die Jahresziffern, die den Hang der Chilenen zum Pessimismus beerdigten. Sie stehen für den Sieg gegen Titelverteidiger Spanien bei der WM 2014 in Brasilien, vor allem aber für die Siege bei den folgenden Copa-América-Turnieren - es waren die ersten internationalen Titel. An diesem Donnerstag tritt Chile auf Deutschland, beseelt vom Traum, einen weiteren Pokal zu stemmen. "Der Confed Cup ist eine schöne Herausforderung für uns. Chile hat noch nie so ein Turnier gespielt", sagt Mittelfeldspieler Charles Aránguiz von Bayer Leverkusen.

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Bislang hatte Chile, obschon Fußball dort Nationalsport ist, kaum Notiz von der Existenz dieses Turniers genommen. Es schien unerreichbar zu sein. Als Brasilien und Spanien vor vier Jahren das Finale des Confed Cups bestritten, war es den chilenischen Fernsehsendern wichtiger, sich den Ergebnissen einer Urwahl zu widmen, die der Präsidentschaftswahl vorgeschaltet war. Diesmal stellten die drei Stationen, die Chiles Partien im Free-TV anbieten, rasch klar, welche Prioritäten sie setzen. Als hänge die Zukunft der Nation nicht an Politikernamen, sondern an Fußballerwaden. Erst recht, seit diese Waden im ersten Gruppenspiel den Traum von einem weiteren Titel durch ein alles in allem souveränes 2:0 gegen Kamerun nährten.

Auch in jener Partie kamen Charakteristika zum Tragen, die aus Chiles Nationalelf eines der Modeteams der Gegenwart gemacht haben. "Chile ist eine der weltbesten Mannschaften", betont Bundestrainer Joachim Löw. Die Identitätsmerkmale der Chilenen - die extreme Mobilität der Spieler, ihr Spiel über die Außenpositionen, aggressives Pressing bei der Balleroberung - sind nicht verhandelbar.

Arturo Vidal, die Galionsfigur des chilenischen Spiels

Im Gegenteil: Sie sind Wesenskern einer Elf, die zuletzt nicht mehr ganz dem Kamikaze-Stil der WM 2014 frönte, aber seit Jahren personell fast unverändert spielt. Auch deshalb zeigt sie eine Sicherheit, die aus Automatismen erwächst. Und die Titelgewinne ermöglichte, die im langen Land lange als unerreichbar galten.

Den Grund dafür sieht eine Symbolfigur der aktuellen Generation, Arturo Vidal vom FC Bayern, in einer Fügung. In den Achtzigerjahren seien "die besten Spieler der Geschichte des chilenischen Fußballs geboren worden", sagt Vidal unter Verweis auf sich selbst, auf den verletzten Torwart Claudio Bravo (Manchester City), Defensivmann Gary Medel (Inter Mailand), Mittelfeldspieler Charles Aránguiz und Marcelo Díaz (früher HSV, heute Celta de Vigo), sowie die Stürmer Alexis Sánchez (FC Arsenal) und Eduardo Vargas (UANL Tigres/Mexiko). Zudem: "Wir sind auf zwei sehr gute Trainer getroffen: Jorge Sampaoli und Juan Antonio Pizzi."

Ebendieser Pizzi, der das Amt im Januar 2016 von seinem argentinischen Landsmann Sampaoli übernahm, verortet den Urknall des chilenischen Fußballs lange vor seiner Zeit: beim Amtsantritt von Marcelo Bielsa. El Loco Bielsa, der Verrückte, war von 2007 bis 2010 Nationaltrainer - und "der große Revolutionär des chilenischen Fußballs", sagt Pizzi, einst Profi beim FC Barcelona.

Vidal widerspricht Pizzi vehement: "Bielsa hat mit alldem nichts zu tun", sagt er und kratzt damit am Denkmal eines Trainers, der in vielen Teilen der Welt kultisch verehrt wird. "Irgendjemand hat erfunden, dass er den Wandel zu verantworten hat. Ich weiß nicht, wem er geholfen haben soll. Mich hat er in keiner Weise geändert. Er repräsentiert nicht den Wandel Chiles. Diejenigen, die wirklich etwas geändert haben, waren die Trainer, die uns zu Champions gemacht haben", führt Vidal aus.

Aus diesen Worten spricht die Dankbarkeit für eine Erziehung zum Siegen. Schon bei der U 20-WM in Kanada, als Chile im Halbfinale an Argentinien scheiterte und gegen Österreich den dritten Platz holte, machten Sprüche die Runde, die Zeugnisse einer fabelhaften Unersättlichkeit waren. Allen voran Vidal sprach damals davon, dass Chile Weltmeister werden könne - und wurde prompt daheim als Verrückter belächelt. Mittlerweile glauben sie ihm.

Auch deshalb hat sich kein Spieler geziert, zum Confed Cup nach Russland zu reisen. Zwar waren Vidal, Alexis Sánchez, Aránguiz oder Medel ähnlichen Belastungen ausgesetzt wie die von Bundestrainer Löw freigestellten Toni Kroos, Mesut Özil oder Thomas Müller. Doch die Chilenen wollten bei der WM-Generalprobe unbedingt dabei sein. Weil ein Titel so viel Durst auf den nächsten macht wie ein Pisco auf den anderen. Und weil die WM in Russland zumindest für diese Generation die letzte Chance ist, Weltmeister zu werden: Vidal ist 30 Jahre alt, Sánchez 28, Medel 29, Bravo 34. Vorausgesetzt, die Chilenen qualifizieren sich. In der Südamerikagruppe ist Chile bei vier ausstehenden Spielen (Paraguay, Ecuador, Bolivien, Brasilien) Gruppenvierter. Damit belegt Pizzis Team den letzten der vier Plätze, die eine Direktqualifikation für Russland 2018 versprechen.

Gegen Deutschland im Schaufenster

Die Partie gegen Deutschland ist für die Chilenen auch deshalb wichtig, weil sie nie einen Turniersieg gegen eine deutsche Elf erringen konnten - und sie sich nun Moral und Energie für die WM beschaffen wollen. Beim vorerst letzten WM-Duell mit einem DFB-Team, 1982 in Spanien, setzte es eine 1:4-Niederlage.

Für den einen oder anderen bietet die Partie auch die Chance, einem deutschen Publikum zu zeigen, dass er doch auf hohem Niveau agieren kann. Weniger für Alexis Sánchez, an dessen Verpflichtung der FC Bayern interessiert war, ehe sich der Stürmer als zu teuer entpuppte. Eher für einen Verteidiger wie Gonzalo Jara, der bei Mainz 05 ebenso floppte wie Mittelstürmer Eduardo Vargas in Hoffenheim. Vargas scheiterte zuvor bereits in Brasilien, Italien, England, Spanien, sein neuer Boss in Mexiko hat erklärtermaßen eine Kerze aufgestellt, auf dass er bei Tigres trifft wie für Chiles Nationalelf. Für diese hat er mittlerweile fast so viele Tore (34) erzielt wie für alle seine Klubs seit 2011 (35). Für Vargas gilt mehr als für andere: Irgendetwas scheint das rote Leibchen der Chilenen zu haben, das ihn verwandelt.

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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