WM-Qualifikation:Löw sucht die Panzerknacker

Lesezeit: 3 min

Zwischen all den hochbegabten Samtfüßen fehlt dem DFB ein Torjäger. Vor der WM-Quali in Norwegen sehnt sich die Nationalelf nach Mario Gomez.

Von Jonas Beckenkamp, Oslo

Wenn es stimmt, was sich die Leute so erzählen, dann hat Mario Gomez am Freitag ein Tor in einem Testspiel erzielt. Bewegtbilder existieren zwar keine, denn der Sommerkick zwischen dem VfL Wolfsburg und Dynamo Dresden (1:0) fand unter Ausschluss öffentlicher Betrachter statt - aber Insider berichten von einem feinen Kopfballtreffer in der 29. Minute. Gomez tastet sich nach seinem Muskelfaserriss im Oberschenkel also wieder ran ans Fußballspielen, das ist per se eine gute Nachricht.

Das Dumme ist nur, dass er nicht mit der Nationalelf nach Oslo zur WM-Qualifikation gereist ist. Der norwegische Spätsommer hat die Stadt in ein sonniges Glitzermeer verwandelt, die Cafés locken mit Eiskaffee für 41 Kronen (etwa 4,40 Euro), es hätte Gomez sicherlich gefallen. Dass er nicht da ist und beim DFB nun schmerzlich vermisst wird, ist die andere Nachricht zu Beginn dieses neuen Zyklus von Joachim Löws Mannschaft.

"Wir hatten zuletzt Defizite in der Effizienz", sagt Löw

Der Zyklus Schweini/Poldi, die WM und auch die EM in Frankreich sind Geschichte, vieles ist nun anders, doch ein Problem hat sich die Nationalelf bewahrt: Sie hat nur einen Gomez, einen sogenannten "Strafraumstürmer", und der ist leider oft verletzt. Und weil der Bundestrainer sich noch immer keine Fußballer nach seinem Gusto schnitzen kann (das klappte schon im Fachbereich Linksverteidiger nicht), sagte er vor dem Quali-Auftakt gegen Norwegen: "Wir hatten zuletzt Defizite in der Effizienz. Daraus ergeben sich natürlich Kritikpunkte."

Und er sagte: "Die Dinge, die bei uns falsch liefen, wollen wir beheben und unser Spiel verfeinern." Über Mario Gomez sprach Löw nicht, aber er wird ihn schon nicht vergessen, den Mario mit seiner Wucht, seinem Instinkt, seiner Präsenz. Löws Team beginnt das Projekt WM 2018 in Russland nämlich mit demselben Problem wie zuletzt das Projekt EM 2016: Irgendjemand beim DFB hat in den vergangenen zehn Jahren tonnenweise hochbegabte Samtfüße geschnitzt und dabei vergessen, auch mal einen Panzerknackerfuß mit Lust aufs Toreschießen zu produzieren.

Nationalelf
:Die Zahlen sind auf Bierhoffs Seite

Die Chefs des FC Bayern und von Borussia Dortmund attackieren die Nationalmannschaft scharf: Deren Marketing-Strategie müsse sich ändern. Doch Manager Bierhoff hat gute Gegenargumente.

Von Martin Schneider

Abseits von Gomez offeriert die Bundesliga in diesem Segment derzeit nur die noch unfertigen Füße von Davie Selke (RB Leipzig), die noch unfertigeren von Johannes Eggestein (Werder Bremen), die in die Jahre gekommenen von Sandro Wagner (Hoffenheim) oder die von Nils Petersen (SC Freiburg), die auch öfter mal danebenschießen. Für Löw ist das eine Herausforderung, denn er hätte scho' au' gerne ein paar mehr Optionen vorne drin - zumal die amtlich zertifizierten Superhaxn von Thomas Müller nun schon seit fast einem Jahr ohne Pflichtspieltor beim DFB sind.

Löw hat "keine Scheu", die Jungen aufzustellen

"Nach Turnieren wie der EM muss man sich wieder auffangen und inspirieren lassen", erklärte Löw seine Motivation im Presseraum des Osloer Ullevaal-Stadions, "unsere Weiterentwicklung ergibt sich natürlich aus der Analyse der letzten Jahre." Und da dürfte der Bundestrainer festgestellt haben, dass es im letzten Drittel mehr Wumms, mehr Schärfe braucht. Am Rande der Nachwuchsturniere im Sommer, der U19-EM und den Olympischen Spielen, hat auch DFB Sportdirektor Hansi Flick zugegeben, dass in der DFB-Jugend in Zukunft verstärkt Wert auf die Ausbildung abschlussstarker Stürmer gelegt werden soll.

Einer, der die Tore aus der hinteren Reihe einleiten soll, ist Toni Kroos. Er scheint seinen persönlichen Wumms schon gefunden zu haben: Am ersten Spieltag der spanischen Liga erzielte er prompt einen raffinierten Fernschusstreffer. In Oslo geht Kroos erstmals als Mitglied des Mannschaftsrates an den Start. Er ist jetzt ein Häuptling, seine Sicht der Wumms-Debatte lautet: "Wir sind alle gefordert, mehr Wucht reinzubringen: Die, die das Spiel ankurbeln, wie auch diejenigen vorne drin."

Kroos und Sami Khedira dürften gegen den Defensivriegel der Norweger ausreichend Raum zum Drängeln bekommen - während weiter in der Tiefe das Kurzpassballett um Mesut Özil, Mario Götze und Julian Draxler aufspielen darf. "An unserer grundsätzlichen Philosophie wird sich aber nicht viel ändern, die ist ja gut", findet Kroos, "wir hoffen natürlich, dass wir im Strafraum Spieler haben, die auch Tore machen - und es wieder zackiger zugeht."

Ob Löw wie schon im Test gegen Finnland eine 3-4-3 Formation aufbietet, ließ der Bundestrainer ebenso offen, wie mögliche Einsätze für Max Meyer und Julian Brandt. Er hätte aber "keine Scheu, den ein oder anderen Jungen aufzustellen." So werkelt Löw auch für sein nächstes Großprojekt weiter am Feintuning - an den Kleinigkeiten, die manchmal so große Wirkung haben. Voller Entschiedenheit sagte er: "Ich möchte nicht nochmal so eine durchwachsene Quali wie zuletzt erleben. Meine Erwartungshaltung ist, dass wir uns in entscheidenden Dingen verbessern." Mario Gomez wird dabei eine entscheidende Rolle spielen.

© SZ vom 04.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fußball
:Erster Videobeweis bei Länderspiel: "Ein Stück Fußballgeschichte"

Im Testspiel zwischen Italien und Frankreich nutzt Schiedsrichter Kuipers zweimal den Videobeweis - und schwärmt. Fifa-Präsident Infantino drängt auf weitere Einsätze.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: