Bundesliga:Wie der BVB nach dem Albtraum weitermacht

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"Diesen Pott hier hätte ich schon gerne geholt": BVB-Verteidiger Mats Hummels will in Dortmund Titel gewinnen. Geht er nun? (Foto: dpa)
  • Nach der unglaublichen 3:4-Niederlage in Liverpool macht im Dortmunder Lager vor allem die Überheblichkeit im BVB-Spiel Sorgen.
  • Nur wenige Spieler, zum Beispiel Kapitän Mats Hummels, stemmten sich gegen die Niederlage an der Anfield Road. Titel sind für ihn ein Argument, zu bleiben.
  • Der BVB muss die Niederlage schnell verarbeiten. Bereits am kommenden Mittwoch tritt die Tuchel-Elf im Halbfinale des DFB-Pokals bei Hertha BSC an.

Von Freddie Röckenhaus, Liverpool

Das Dröhnen in den Köpfen hallte am Morgen nach, und die Frage wird sein, wie schnell man es wieder los wird. Reinhard Rauball wird sich jedenfalls noch lange damit herumplagen: "Das ist die schlimmste Niederlage, die ich in meiner Zeit bei Borussia erlebt habe. Das kommt noch vor Wembley", klagte Dortmunds Präsident in Anspielung auf das verlorene Champions-League-Finale 2013 gegen die Bayern. Alle bei der Borussia dachten ähnlich: Wie war das möglich? Bei Halbzeit 2:0 in Liverpool vorn, nach einer Stunde 3:1 - am Ende 3:4 niedergekämpft. Was für ein Spiel, was für ein Desaster.

Einer Erklärung war man auch bei der Ankunft am Dortmunder Flughafen nicht näher als kurz nach dem Abpfiff. Schon da hatte Trainer Thomas Tuchel erstaunlich gefasst erklärt, dass das Unerklärliche eben nicht zu erklären sei: "Wenn es erklärbar wäre, wenn es etwas mit Logik oder Taktik zu tun gehabt hätte, hätte ich ja auf dem Platz eingreifen können." Das irrationale Momentum, Faktoren wie Leidenschaft und Emotion spielen in der Fußball-Philosophie von Tuchels Pendant Jürgen Klopp eine große Rolle. An diesem kochenden, unlogischen Abend von Liverpool triumphierte am Ende Klopps Philosophie.

60 Minuten hatte der BVB der Elf von Jürgen Klopp Anschauungsunterricht erteilt

Trotz des Albtraums der Niederlage und des Ausstiegs aus der Europa League im Viertelfinale will Borussia Dortmund am Kurs festhalten, die spielerische Seite im Fokus zu behalten. 60 Minuten lang, bis zum 3:1 durch Marco Reus nach einem unglaublich feinen Pass von Mats Hummels, hatte der BVB der Elf von Jürgen Klopp Anschauungsunterricht erteilt. Der "Flow" des Dortmunder Fußballs, das scheinbar reibungslose Gleiten in Richtung gegnerisches Tor, das alles war bewundernswert. Neben den frühen Treffern von Henrikh Mkhitaryan (5.) und Pierre-Emmerick Aubameyang (9.) hätte Dortmund in der ersten Halbzeit leicht zwei weitere Tore machen können.

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Wie konnte das schiefgehen? Das Spiel in Liverpool hätte nicht mehr kippen dürfen. Dennoch ist erklärbar, was an der Anfield Road ablief.

Kommentar von Martin Schneider

In der Pause, so ließ Klopp den englischen TV-Sender BBC wissen, habe er die Spieler in der Kabine an das legendäre Champions-League-Finale von 2005 erinnert. Damals lag Liverpool gegen den AC Mailand nach der ersten Hälfte 0:3 zurück - um am Ende zu gewinnen. Xabi Alonso und Didi Hamann gehörten damals zu den Spielern, die sich an jenem Abend in Liverpool Legenden-Status erkämpften.

Geschichte kann sich im Fußball wiederholen - auch mit einer nicht ganz so begabten Mannschaft, über die Klopp heute im Vergleich zu den Helden von 2005 verfügt. Einer wie der Siegtorschütze Dejan Lovren rannte sich die Seele aus dem Leib, um überall auf dem Rasen zu sein. Anderen genügte eine nie nachlassende mentale und physische Präsenz. Liverpool hörte einfach nicht auf.

Liverpool aber steigerte sich in einen Rausch

"In so einer Situation", sagte Tuchel, "musst du selber mutig bleiben, dir dein Selbstvertrauen nicht nehmen lassen, erst recht den Ball kontrollieren und das Spiel runterkühlen." Der BVB versuchte das wohl, aber als er in leichter Überheblichkeit vom Gas gegangen war, sprang die Maschinerie nicht mehr an.

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Kapitän Hummels monierte später, dass Dortmund "nach dem 3:1 nicht mehr genau und entschlossen genug nach vorne gespielt" habe. Seine Mannschaft habe "in diesem Fall vielleicht wirklich ein bisschen geglaubt, dass die Sache nach dem 3:1 durch war". Liverpool aber steigerte sich in jenen typischen Rausch, den Klopp offenbar bei Mannschaften in speziellen Spielen auslösen kann: "Da muss man einfach mehr dagegen halten, hart in die Zweikämpfe gehen, sich zeigen auf jeder Position", meinte Hummels.

Kurz vor dem 2:3-Anschlusstreffer, der sich als Anfang vom Ende für den BVB herausstellte, hatte Hummels, höchst ungewöhnlich, die Mannschaft wie zu einer Auszeit-Pause im eigenen Strafraum zusammengetrommelt, um "Missverständnisse zu beseitigen, was wir eigentlich spielen wollen". Die Konfusion aber ging weiter. Liverpool profitierte allerdings auch von Glücksmomenten, etwa beim 3:3, als der Ball nach einer Ecke glücklich zu Mamadou Sakho durchrutschte.

Mit genau vier Schüssen, die wirklich aufs Tor von Roman Weidenfeller kamen, erzielte Liverpool vier Tore. In der robusten Schlussviertelstunde war im BVB-Zentrum von Castro und Weigl, die in der ersten Halbzeit noch geglänzt hatten, so gut wie nichts mehr zu sehen. Am Ende stemmten sich nur noch wenige wie Kapitän Hummels mit Macht gegen den Untergang. Tuchel wird das zu denken geben. Mindestens genauso wie die seltsame Verweigerung, die enormen Risiken, die Liverpool bei seinem wilden Ritt einging, entschlossener zu eigenen weiteren Angriffen und Toren zu nutzen.

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Der FC Liverpool muss zunächst auswärts antreten. Im anderen Halbfinale reist der Titelverteidiger in die Ukraine. Tennisspielerin Angelique Kerber eröffnet das Abstiegsspiel im Fed-Cup gegen Rumänien.

"Wir müssen das Erlebte in positive Energie umwandeln"

Von den drei Titeln, die für Dortmund in der vergangenen Woche noch möglich erschienen, ist jetzt noch der DFB-Pokal übrig geblieben. "Diesen Pott hier", sagte Hummels und meinte den Europacup, "hätte ich schon gerne geholt - der Weg wäre vielleicht der machbarste gewesen."

Tuchel war da gedanklich schon bei Hertha BSC, dem Halbfinal-Gegner in Berlin am kommenden Mittwoch: "Wir müssen das Erlebte in positive Energie umwandeln. Wir werden uns ab jetzt auch wieder neu kennenlernen." Von Hertha ist nicht der Furor der Liverpooler zu erwarten. Mehr Durchsetzungs-Wut wird der BVB aber auch da und erst recht in einem möglichen Endspiel gegen den FC Bayern benötigen.

Einige der BVB-Spieler, die gerade über neue Verträge nachdenken, unter ihnen Mats Hummels, haben die Aussicht auf Titelgewinne zu einem wichtigen Argument erklärt, das für sie eine Rolle spiele. Auch in dieser Hinsicht könnte der Abend von Liverpool noch bittere Nachwirkungen haben. Dabei hat nicht der Verein Borussia Dortmund den sicher geglaubten Sieg fahrlässig aus der Hand gegeben - sondern die Spieler auf dem Platz haben das getan.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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