Atléticos Torwart:Jan Oblak - an ihm müssen die Bayern vorbei

Atletico Madrid v Bayern Munich - UEFA Champions League Semi Final First Leg

Nach schwerem Start ist der Slowene Jan Oblak bei Atlético zum Keeper mit den besten Statistiken in Europa gereift.

(Foto: REUTERS)

Seine Statistiken sind atemberaubend: Nach schwerem Start ist Jan Oblak bei Atlético Madrid zu einem Keeper gereift, der kaum zu überwinden ist.

Von Javier Cáceres

Es gibt im Fußball immer wieder mal Schatten, die unüberwindbar lang wirken. Im spanischen Fußball gab es in letzter Zeit keinen, der länger wirkte als jener, der über dem Strafraum in Atlético Madrids Stadion Vicente Calderón lag - bis der Torwart Jan Oblak schließlich doch aus ihm heraustrat. Und nun gilt der 23 Jahre alte Slowene den Atlético-Fans als die Garantie dafür, dass die Qualen im Halbfinal-Rückspiel der Champions League in der Münchner Arena gegen den FC Bayern am Ende doch einen Sinn haben werden.

Das Erbe, das Oblak antrat, war immens. Von 2009 bis 2011 stand David de Gea zwischen den Pfosten, er war aus der Nachwuchsabteilung Atléticos emporgeschossen, galt bald als legitimer Nationalmannschafts-Nachfolger der Legende Iker Casillas - und wechselte zu Manchester United. Auf de Gea folgte in Thibaut Courtois ein Belgier, der das Kunststück vollbrachte, bald noch besser zu wirken als de Gea - und dann ebenfalls nach England ging. Der FC Chelsea hatte ihn an Atlético nur ausgeliehen.

Oblaks erste Zeit in Madrid war alles andere als einfach

2014 schlug Atlético auf dem Transfermarkt zu. Trainer Diego Simeone wünschte sich Miguel Ángel Moyá, der beim FC Getafe vor den Toren Madrids spielte, dazu verpflichtete der Klub Oblak aus Lissabon - für 16 Millionen Euro, die höchste Summe, die je von einem spanischen Klub für einen Torwart bezahlt wurde. Zum Vergleich: Marc-André ter Stegen wechselte im selben Sommer für angeblich zwölf Millionen Euro von Borussia Mönchengladbach zum FC Barcelona.

Inzwischen ist Oblak zum fundamentalen Bestandteil einer Abwehr aus Granit geworden. Dabei war der Dienstantritt Oblaks alles andere als einfach. Es spielte zunächst Moyá, weil sich Oblak in der Saisonvorbereitung verletzte. Moyá überzeugte, doch im Lichte der Trainingsleistungen entschloss sich Simeone, Oblak eine Chance zu geben, in einem Champions-League-Spiel bei Olympiakos Piräus. Es geriet zum Desaster: Die ersten drei Schüsse, die Oblak aufs Tor bekam, landeten im Netz, der Slowene musste zurück auf die Bank. Dann hielt ausgerechnet die Champions League eine neue Chance bereit. Im Viertelfinal-Rückspiel gegen Bayer Leverkusen verletzte sich Moyá, mit dem eingewechselten Oblak überstand Atlético die Runde.

Gegen die Leverkusener wurde Oblak erstmals im Dress Atléticos dem Ruf gerecht, der ihm seit Kindheitstagen vorauseilte. Denn sein erstes Angebot erhielt er, als er noch keine zwölf war, von einem italienischen Klub. Sein Debüt im Profibereich gab Oblak mit 16 in der ersten slowenischen Liga bei Olimpija Ljubljana, mit 17 ging er nach Lissabon zu Benfica. Um Spielpraxis zu bekommen, wurde er an vier verschiedene Klubs verliehen, ehe er 2013 zu Benfica zurückkehrte. Wie später bei Atlético sollte Oblak die Verletzung des Stammtorwarts zupass kommen.

Der Slowene bestritt 28 Spiele, verlor keines, gewann Meisterschaft und Pokal - ehe er nach Spanien zu Atlético wechselte. Geräuschlos ging das nicht vonstatten, Oblaks Abschiedsworte warfen ein Echo: Spaniens Liga sei "drei, vier Klassen besser als Portugal", es sei "immer" sein Traum gewesen, dort zu spielen - das kam nicht gut an. Als er jüngst mit Atlético nach Lissabon zurückkehrte, erntete Oblak in Benficas Stadion ein harsches Pfeifkonzert.

Atemberaubende Statistiken

In Portugal wissen sie längst, was für ein Talent ihnen abhanden gekommen ist. Und bei Atlético hat Oblak unter Beweis gestellt, dass die irrsinnige Ablösesumme doch kein herausgeworfenes Geld war. "Obi, Oblak, cada día te quiero más", jeden Tag liebe ich Dich mehr, singen die Atlético-Fans zur Melodie des "Djobi, Djoba" der Flamenco-Pop-Gruppe Gipsy Kings.

Insbesondere in der aktuellen Saison sind Oblaks Statistiken atemberaubend. Atlético hat 16 Gegentore in 36 Ligaspielen bekommen, Oblaks gegenwärtige Quote von 0,44 Gegentreffern pro Spiel ist - bei zwei ausbleibenden Partien - die beste, die je ein Torwart in der 1929 begründeten Geschichte der spanischen Liga aufweisen konnte. In 23 von 36 Ligapartien hat Atlético zu Null gespielt, wettbewerbsübergreifend in 34 von 53 Spielen.

Oblak ist vor allem für sein Alter ein erstaunlich souveräner Keeper

Aktuell hat Oblak seit 602 Minuten keinen Gegentreffer hinnehmen müssen, auch weil die Hintermannschaft, die üblicherweise von dem gerade erst genesenen Innenverteidiger Diego Godín angeführt und von Simeones Arbeitern wie Filipe Luís, José Giménez oder Juanfran komplettiert wird, kaum Gefahr entstehen lässt. Auch das beweisen aberwitzige Zahlen: Atlético lässt in der eigenen Liga im Schnitt nur 9,7 Schüsse pro Partie zu. Nach Angaben des Statistikanbieters Who Scored weist keine Mannschaft Europas einen besseren Wert auf. Unter Simeone hat Atlético 257 Spiele bestritten, in 136 Partien hielt die Mannschaft ihr Tor sauber. Eine solche Konsistenz kommt vor allem in Italien gut an, Defensiv-Koryphäen der Trainerriege von Fabio Capello bis Giovanni Trapattoni überhäufen Atlético mit Lob.

"Ich glaube nicht, dass Simeone beleidigt ist, wenn ich sage, dass sein Charakter meinem ähnelt, meine Teams hatten seine Philosophie", sagte Trapattoni. Capello rühmte drei Grundcharakterzüge Atléticos: Entschlossenheit, Aufopferung sowie die Bescheidenheit, sich nach dem jeweiligen Rivalen auszurichten: "Sich um den Gegner zu sorgen, ist ein Zeichen der Demut und vor allem der Intelligenz."

Oblak rundet die zähe Verteidigung mit immenser Nüchternheit ab. Gegen die Bayern hielt er im Hinspiel einen Kopfball von Javi Martínez fest und wehrte einen Distanzschuss von Arturo Vidal grandios ab; einzig bei einem Versuch von David Alaba musste er hinterherblicken, doch der Ball landete an der Querstange.

Oblak ist vor allem für sein Alter ein erstaunlich souveräner Keeper, der mit einem grandiosen Stellungsspiel und einer exzellenten Strafraumbeherrschung gesegnet ist. Man sieht ihn kaum je fliegen - er steht instinktiv an der richtigen Stelle. Mittlerweile hat Atlético seinen ursprünglich bis 2020 laufenden Vertrag vorzeitig um ein Jahr verlängert - und die Ablösesumme auf 100 Millionen Euro heraufgesetzt. Er ist längst einer der besten Keeper der Welt.

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