Affäre um WM-Vergabe 2006:DFB bangt: Wer, was, wann?

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Im Licht der Nacht: Der Fußball-Globus von André Heller war der kulturelle Kern der WM 2006. (Foto: Tim Brakemeier/dpa)
  • Nach Informationen der SZ interessiert sich nun auch die Schweizer Bundesanwaltschaft für Vorgänge und Konten rund um die WM 2006
  • Auch der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, so eine Aktennotiz, wurde über den Warner-Deal informiert.

Von Johannes Aumüller, Thomas Kistner, Hans Leyendecker und Klaus Ott

Die Mahnung auf dem Pappschild "Bitte nicht stören" ist in diesen Tagen beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) entbehrlich. Fortwährend schauen Fremde in der Frankfurter Zentrale des DFB vorbei.

Kürzlich suchten Steuerfahnder und Staatsanwälte den größten Sportfachverband der Welt heim, weil sie wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterhinterziehung ermitteln. Zuvor schon bezogen Anwälte Quartier. Mitte Oktober bekam die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer vom Präsidium des DFB den Auftrag, die Vorwürfe rund um die Weltmeisterschaft 2006 zu prüfen. Die Juristen sichten Akten, befragen Zeugen, werten allerlei Unterlagen aus. Ständig kommt Neues hinzu. Und neue Mitspieler gibt es auch.

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Die Erinnerungen an das Sommermärchen 2006 könne der Skandal aber nicht verändern, sagt Merkel.

Jetzt kümmert sich nach SZ-Informationen auch noch die Schweizer Bundesanwaltschaft um den Fall. Ein Sprecher der Behörde kommentierte das auf Anfrage nicht. Die Bundesanwaltschaft ermittelt bereits seit Mai wegen der Weltmeisterschaften 2018 und 2022. Aus ihren Untersuchungen entwickelte sich auch ein Strafverfahren gegen den derzeit gesperrten Fifa-Chef Sepp Blatter. Die Ermittler aus Bern haben elf Terabyte an Daten beschlagnahmt, eine gigantische Menge. Vielleicht findet sich darin auch etwas über die ominösen zehn Millionen Schweizer Franken (beziehungsweise 6,7 Millionen Euro), um die es im Kern der WM-Affäre des DFB geht. Das Geld, das in dunklen Fifa-Kanälen gelandet sein soll, hatte der in der Schweiz ansässige frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus 2002 den Deutschen vorgestreckt; drei Jahre später floss es - als "Beitrag Kulturprogramm" falsch deklariert - über die Fifa an Dreyfus zurück. Möglicherweise sind die Fahnder an diesen Millionen nun dran. Die Bankkonten, die in der Affäre eine Rolle spielen, scheinen der Bundesanwaltschaft bekannt zu sein. Deren Erkenntnisse könnten den deutschen Ermittlern helfen, die noch ziemlich am Anfang sind. Als einer der ersten Zeugen war Franz Beckenbauer von den Freshfields-Anwälten befragt worden - jetzt soll er noch mal aussagen. Fast flehentlich hat ihn diese Woche die neue DFB-Führung gebeten, mehr zur Aufklärung beizutragen. Franz Beckenbauer will reden. Nicht öffentlich, aber vor den Gremien.

Niemand weiß, was noch alles auftauchen kann

Beckenbauer hat in diesen Tagen den DFB darüber informiert, dass er vor seinem zweiten Gang zu Freshfields erst mit Reinhard Rauball und Rainer Koch, die den Verband im Moment kommissarisch führen, über den Fall sprechen möchte. Offenbar will er erst denen beim DFB sagen, was er weiß und was er nicht weiß. So zumindest die Ankündigung des Kaisers.

Niemand kann derzeit verlässlich sagen, wo das alles enden wird, weil niemand weiß, was noch auftauchen könnte.

Wettskandale, Schuhkrieg, Vertragsstreitigkeiten, Ärger mit dem Kartellamt, Zwist in der Führung - das waren normalerweise die größten Probleme beim DFB. Der neue Fall ist anders, er ist viel unübersichtlicher. Die Schlüsselfragen lauten: Wer sind wir? Was haben wir gemacht?

Schlagzeilen machte in diesen Tagen ein ganz besonderer Freshfields-Fund. In den Archiven war ein Vertrag entdeckt worden, den Beckenbauer und dessen Vertrauter Fedor Radmann am 2. Juli 2000 mit dem damaligen Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees, Jack Warner, geschlossen hatten. Die neue DFB-Spitze wertete den Vertrag als möglichen Bestechungsversuch: Vier Tage nach dem Beckenbauer-Warner-Deal, am 6. Juli 2000, gewann Deutschland die Abstimmung um die WM 2006 mit 12:11 Stimmen gegen Südafrika.

Wie stimmte Warner ab? Es gibt enge Vertraute wie den inzwischen verstorbenen libanesischen Fifa-Kenner Elias Zaccour, die schon vor einigen Jahren behaupteten, Warner habe für Deutschland gestimmt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Schweizer Bundesanwaltschaft bei den Vorgängen rund um Dreyfus auch das Thema Ticketing beleuchten soll. Eintrittskarten für große Turniere dank spezieller Beziehungen billig bekommen und teuer verkaufen - das war eines der Geschäftsmodelle von Jack Warner. In dem gefundenen Papier war auch die Rede von Ticketkontingenten für den Fifa-Funktionär, der gerne kassierte. Hängt alles mit allem zusammen? Hat der Vorgang aus dem Jahr 2000 etwas mit der Millionen-Zahlung von 2002 zu tun?

Aus dem Schriftstück geht aber auch hervor, dass der Vertrag erst wirksam werde, wenn er von den Gremien bewilligt worden sei. Das Abkommen soll erst nach der Vergabe dem seinerzeitigen DFB-Generalsekretär Horst Schmidt vorgelegt worden sein. Im August 2000 soll der Vertrag mit einer begleitenden Aktennotiz dann auch dem damaligen DFB-Chef Gerhard Mayer-Vorfelder präsentiert worden sein. Das Präsidium sollte offenkundig den Vertrag bis zum 31. August bewilligen. Es soll sich um eine schmale Aktennotiz handeln, ohne Erklärung, ohne Empfehlung.

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Nach bisheriger Durchsicht der Protokolle hat sich das Präsidium mit dem Vorgang überhaupt nicht beschäftigt. Schmidt soll Beckenbauers Vertrautem Fedor Radmann, der im Hintergrund mitfingerte, misstraut haben. Schmidt saß in Frankfurt, war für alles Wesentliche verantwortlich. Radmann saß in München, sollte sich um Kunst und Kultur sorgen, aber es wäre eine Untertreibung, ihn nur als einen Tausendsassa zu beschreiben.

Und Wolfgang Niersbach, der unglückliche Ex-Präsident? Er war damals der Medienfuzzi. Wenn Beckenbauer, das ist einem der vielen Aufsichtsratsprotokolle zu entnehmen, "aufgrund einer dringlichen Verpflichtung" wegen einer Fußball-Auslosung nicht an der Sitzung des Kontrollgremiums teilnehmen konnte, bekam Niersbach das Wort. Er berichtete dann "über den ersten Teil der 31-Länderreise", mit der PR für die WM gemacht werden sollte: Super gelaufen! "Die von Franz Beckenbauer überreichten WM-Geschenke" wie Kunstplakate seien "international sehr gut angekommen". Kleinigkeiten eben.

Theo Zwanziger denkt an das Ehrenamt

Theo Zwanziger, der 2003 nach dem formalen Rückzug von Radmann - der wegen Beraterverträgen übel aufgefallen war -, in das OK einrückte, betonte auf solchen Sitzungen, dass die "WM 2006 in Deutschland einen großen Schritt zur Förderung des Ehrenamts" ermögliche. Das war damals eines seiner Lieblingsthemen.

Dann wieder informierte Niersbach die Aufsichtsratsmitglieder, "dass erstmals die akkreditierten Journalisten während des Turniers mit Bahncards ausgestattet" würden. Gültigkeit: Sechs Wochen. Einschließlich Öffentlicher Nahverkehr.

Das normale Leben. Aufgabe der Ermittler bleibt, das Andere zu finden.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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