Am Montagmittag wirkten Reinhard Grindel und Rainer Koch noch wie aus einem Guss. Gemeinsam kamen sie an der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) an, und ihre Mienen sahen deutlich besorgter aus als die der meisten Kollegen, als sie sich auf den Weg ins Gebäude zur Krisensitzung machten. Der Schatzmeister Grindel und der erste Vizepräsident Koch wussten zu diesem Zeitpunkt offenbar schon, dass im verbandseigenen Archiv ein neues, belastendes Dokument aufgetaucht war -, und dass Wolfgang Niersbach diesen Tag nicht im DFB-Präsidentenamt überstehen könnte.
Aber sind die zwei jetzt immer noch ein enges Duo? Das ist eine der entscheidenden Fragen im Hinblick auf die personelle Zukunft des DFB. In Paris haben sich seit Donnerstag die wichtigsten Funktionäre des deutschen Fußballs versammelt, am Rande des Länderspiels gegen Frankreich stehen wegweisende Sondierungen an. Liga-Boss Reinhard Rauball und Vizepräsident Koch, die den Verband gerade interimistisch führen, wollen sich mit Generalsekretär Helmut Sandrock zusammensetzen, es geht um die Abläufe in der Hauptverwaltung und die notwendigen Entscheidungen inmitten der gegenwärtigen Turbulenzen. Aber vor allem geht es natürlich um eine Personalie: Wer folgt auf Niersbach? Wer wird Präsident?
Es ist eine Frage, für die es mehrere Antworten gibt. Die eine dreht sich um konkrete Personen, die andere um den Zeitplan, eine dritte um die künftigen Strukturen. Und natürlich sind all diese Antwort-Stränge auch noch ineinander verwickelt. Der Machtkampf und das Gemauschel sind im größten Einzelsportverband der Welt jedenfalls wieder in vollem Gange.
Sollte es in den bisherigen Strukturen weitergehen, scheint es derzeit nur zwei mögliche Kandidaten zu geben: Grindel und Koch. Liga-Boss Rauball erklärte bereits, dafür nicht zur Verfügung stehen, ein anderer Vertreter aus dem Profibereich ist - aktuell - nicht in Sicht. Zu ihren Ambitionen und möglichen Kandidaturen wollen Grindel und Koch öffentlich nichts sagen. Fast wortgleich verweisen sie darauf, dass es nun vor allem um die Aufklärung der WM-Affäre ginge und nicht die Zeit für Personalspekulationen sei. Selbstverständlich aber sei der neue DFB-Präsident in einer engen Abstimmung zwischen Liga- und Amateurvertretern zu finden. Letztere haben die Stimm-Mehrheit bei der Wahl.
Während sich die wichtigsten Protagonisten Zurückhaltung auferlegen, melden sich andere zu Wort. Am Mittwochabend lief ein Zitat von Karl Rothmund, Präsident des Niedersächsischen Fußballverbandes, über den Ticker. "Da Rainer Koch aber nicht kandidiert, sondern Reinhard Grindel unterstützt - das weiß ich seit zwei Tagen, und das wissen viele seit zwei Tagen - glaube ich, dass Reinhard Grindel gute Chancen hat, gewählt zu werden", sagte er der Agentur dpa.
Koch kandidiert nicht? Das war ein ungewöhnlich deutlicher Satz. Was den Vorgang delikat macht: Rothmund ist Niedersachse, ebenso wie Grindel, gemeinsam saßen sie im Präsidium des Landesverbandes. Die Aussage erzeugte in der Fußball-Republik an mancher Stelle Verwunderung. Man wisse gar nicht, "woher Rothmund seine Erkenntnisse hat", hieß es in Kochs Umfeld. Zugleich relativierte der Niedersachse Rothmund im Gespräch mit der SZ seine Bemerkungen. Er habe diese Information nicht von Koch, sondern lediglich "aus Gesprächen" erhalten, "und wenn ich mich da geirrt habe, dann muss ich mich korrigieren". Liegen da irgendwo auch abseits der WM-Affäre die Nerven blank? Koch selbst will sich vorläufig in keine Richtung festlegen, wie es heißt.
Grindel ist in den vergangenen Tagen verschiedentlich in die Kritik geraten. Er ist noch nicht lange in den DFB-Gremien aktiv, erst seit 2013 als Schatzmeister dabei. Zudem hat er eine problematische Doppelrolle inne, weil er auch für die CDU im Sportausschuss des Bundestages sitzt.
Allerdings ist noch nicht klar, in welcher Struktur es weitergeht. Es fällt jedenfalls auf, dass Grindel und Koch betonen, bis spätestens zur EM 2016 sei die jetzige Interimslösung in eine dauerhafte Konstruktion umzuwandeln. Niersbachs Fall habe nichts mit Strukturproblemen zu tun. Diverse Amateurvertreter folgen ihnen und wollen das "Führungsvakuum" schnell schließen. Liga-Chef Rauball indes drängt darauf, sich Zeit zu nehmen. Er warnt, dass Schnellschüsse "nicht sinnvoll" seien und die Beteiligten die Zeit bis zum Bundestag im November 2016 nutzen sollten.
Damit spielt er vor allem darauf an, sich die Gelegenheit für eine gründliche Debatte über die möglichen künftigen Strukturen an der DFB-Spitze zu schaffen. Aktuell gibt es die Diskussion, ob ein Ehrenamtler an der Spitze eines fast sieben Millionen Mitglieder starken Verbandes noch zeitgemäß ist, oder ob es nicht einen hauptamtlichen Chef braucht. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) setzte vor knapp einem Jahr einen Vorstand ein, auch im Fußball-Weltverband liegt ein Reformpapier vor, das eine Aufwertung des Generalsekretariats sowie eine Abstufung der Fifa-Exekutive zu einer Art Aufsichtsrat vorsieht. Die Liga selbst hat sich schon lange eine solche Organisationsform gegeben. Aus dem Lager der Amateurvertreter gibt es dazu durchaus verschiedene Meinungen.
Nach dem DFB-Spitzentreffen in Paris kommt am Dienstag am Rande des Freundschaftskicks gegen die Niederlande in Hannover das Präsidium zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Dann muss es über den weiteren Zeitplan beraten - und je nachdem, wie diese Entscheidung ausfällt, liefert es Antworten über künftige Verantwortliche und Strukturen gleich mit.