Ronaldo bei Real Madrid:CR7 - die inkarnierte Hoffnung auf ein Wunder

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Beim Versuch, das 1:4 aus dem Hinspiel gegen Borussia Dortmund wettzumachen, kommt Cristiano Ronaldo eine Schlüsselrolle zu. Bei Real Madrid verzeiht man ihm einiges: seine mangelnde Defensivarbeit, seine Forderungen nach einem noch höheren Gehalt - und die ein oder andere Selbstgefälligkeit.

Von Oliver Meiler

Selten hat ein Spieler alle Hoffnungen auf ein Wunder so sehr personifiziert, wie das Cristiano Ronaldo, Ausgabe 2013, bei Real Madrid tut. "Unsere Stärke bist du!", titelt Marca vor dem Rückspiel gegen Borussia Dortmund - in Anführungszeichen. Zitiert werden aber nicht die Fans, die den Portugiesen in dessen vierten und bisher besten Saison im Verein endlich so richtig ins Herz geschlossen haben. Nein, zitiert wird da die Mannschaft, sozusagen kollektiv.

In der Beschwörung von CR7 klingt auch der Mut der Verzweiflung mit. Wer soll es denn sonst richten können, wenn nicht er? Wer soll die vielen Tore schießen, die es für das Wunder braucht, wenn nicht der Mann mit der unheimlichen Quote: 1,04 Tore pro Spiel in der Liga, zwölf Tore in elf Spielen der Champions League? Da wirkte die Meldung vom Wochenende, Ronaldo laboriere an einer nicht genauer definierten Muskelverletzung und habe zuletzt einige Tage allein und ohne Ball trainiert, wie eine schrille Alarmsirene.

Doch einer wie er, ein Ambitionsbolzen sondergleichen, lässt sich von einem kleinen Stich im Muskel bestimmt nicht die Chance nehmen, eine dieser großen und torreichen remontadas zu begründen- eine Aufholjagd mit dem Zeug zum Mythos, die sich dann ins Gedächtnis der Madridistas brennt. Für immer.

In diesen Tagen wurden wieder alle spektakulären Präzedenzfälle aus europäischen Wettbewerben rezitiert. Der Klub montierte ein Video der besten Szenen. 1975, gegen Derby County: Im Hinspiel verlor Real 1:4, im Rückspiel gewann man 5:1. 1984, gegen Anderlecht: auswärts 0:3, daheim 6:1. Und natürlich 1985, gegen Borussia Mönchengladbach: 1:5 im Hinspiel, 4:0 im Santiago Bernabéu.

Einer der Torschützen von damals, der große Carlos Santillana, wurde nun nach den Rezepten für eine remontada gefragt. Und Santillana sprach, wenig überraschend, über Herz und Engagement und Motivation, was einem reich besoldeten Starensemble offenbar jedes Mal aufs Neue eingebläut gehört.

Bei Real bemüht man dafür auch die Legende Alfredo Di Stéfano, 86, der seinen Nachfahren rät, alles zu vergessen und den Borussen "eine Falle" zu stellen. Torhüter Iker Casillas sagt, man müsse bereit sein, auf dem Platz zu sterben. Bei aller übertriebenen Metaphorik: Casillas selbst spielt wohl wieder nicht. Trainer José Mourinho wird ihn wohl erneut draußen lassen.

Alle Last ruht auf Ronaldo. Als wäre er Atlas aus der griechischen Mythologie, wie es eine spanische Zeitung kürzlich schrieb, als trüge er Reals Welt alleine auf seinen Schultern. Bisher war man in Madrid immer stolz gewesen, dass man - im Gegensatz zum FC Barcelona und Lionel Messi - eben nicht alle Fortune auf einen einzigen Mann ausgerichtet habe. Es war offenbar eine Illusion. Im Moment ist Real Madrid so sehr von Cristiano Ronaldo abhängig wie Barça von Lionel Messi: von seiner Schnelligkeit auf dem linken Flügel, von seinen Übersteigern, von seiner erstaunlichen Sprungkraft bei Kopfbällen, von seinen harten Freistößen, von seinen beidfüßigen Torschüssen.

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Früher war er eine Ich-Maschine, die das Tor um jeden Preis suchte und dabei ganz geflissentlich besser stehende Mitspieler ignorierte. Nun hat er den Segen des Zusammenspiels entdeckt. Mit 28. Am liebsten kombiniert er mit Mesut Özil. An guten Tagen finden sich die beiden mittlerweile traumwandlerisch, wirbeln mit schnellen Stafetten, kreuzen ihre Wege zur Verwirrung der gegnerischen Abwehr. Das Duett funktioniert so gut, dass auch Özil so viele Tore schießt wie nie zuvor bei Real: Acht sind es schon in der laufenden Liga-Saison. Er bleibt aber vor allem ein außergewöhnlicher Assistent: 14 Tore hat der Deutsche in dieser Saison schon aufgelegt.

Problematisch bleibt Ronaldos mangelnde Defensivarbeit. Er kompensiert seine Tempoläufe mit längeren Pausen, sobald Real den Ball verliert. Dann bleibt er vorne und reißt auf der linken Außenbahn jeweils eine Lücke, in der sich die Gegner besonders frei fühlen dürfen.

Doch dieses Manko verzeiht man ihm, wie man ihm auch seine zuweilen doch sehr eigentümlich selbstverklärenden Kommentare nachsieht. Man beneide ihn doch nur, sagte Ronaldo unlängst einmal, weil er schön und reich sei. Er wäre gerne noch etwas reicher, weil er findet, er habe es verdient - als Weltbester. Und wenn er nicht viel mehr bekommt, nämlich mindestens ein Jahressalär von 15 Millionen Euro netto, dann würde er Madrid demnächst vielleicht sogar verlassen. Es ist eine Drohung.

Real will ihn unbedingt halten. Ronaldo ist jetzt ein Leader, die inkarnierte Hoffnung auf ein Wunder. Und wenn diese Hoffnung in Wahrheit auch sehr klein ist: Sie ist doch die einzige, die bleibt.

© SZ vom 30.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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