DFB-Testspiel in Holland:Trübes Spiel mit einem Sieger: Joachim Löw

Lesezeit: 3 min

Nach den heftigen Debatten um die vier Gegentore gegen Schweden spielt eine schon im Vorhinein personell dezimierte deutsche Nationalmannschaft in Amsterdam kontrolliert und legt Wert auf Defensive. Die Zuschauer langweilen sich, doch Spieler und Bundestrainer sind sehr zufrieden mit sich.

Carsten Eberts

Schöner Jahresabschluss für Joachim Löw: Einmal keine Debatten um die Defensive seiner Mannschaft. (Foto: dapd)

Joachim Löw hatte noch nicht gehört, was der englischen Nationalmannschaft widerfahren war. In Stockholm hatte England eine Viertelstunde vor Schluss 2:1 gegen Schweden geführt, am Ende stand es 2:4 - vier Gegentore gegen die Skandinavier, das war auch der DFB-Elf vor einigen Wochen passiert. Löw guckte erst interessiert, dann ernst, schließlich musste auch der Bundestrainer schmunzeln. "Die Schweden haben durch das 4:4 gegen uns unglaubliche Moral gewonnen", versuchte er sich in einer ersten Einschätzung. Was er nicht sagte, was jedoch sein Gesicht verriet und beinahe hörbar durch den Raum surrte: Seht ihr, anderen Teams passiert das auch!

Sechs Tore zwischen England und Schweden, davon konnte der Betrachter bei der Partie Niederlande gegen Deutschland am Mittwochabend in Amsterdam nur träumen. 0:0 endete der früher einmal so emotionale Klassiker; es war kein fußballerisch schlechtes Spiel, jedoch eines arm an Höhepunkten, zwischen zwei stark dezimierten Mannschaften. Das Spiel wird eingehen als Schlusspunkt des Fußballjahres 2012, das für die junge deutsche Elf viel Lobpreis, jedoch auch große Enttäuschungen mit sich brachte. Aus dieser Partie jedoch eine prägende Szene zu benennen, dürfte bereits am Donnerstagnachmittag schwer fallen.

Für Löw hat sich der Abend trotzdem gelohnt. Sein Gesicht zeigte eindeutig Spuren von Zufriedenheit. Gleich zwei Debatten konnte der Bundestrainer kurz vor der Winterpause für beendet erklären. Erstens: Keiner seiner Spieler ging verletzt aus dem Kräftemessen mit den Niederlanden heraus. Die Angst vor dem ungeliebten November-Termin war also unbegründet. Und zweitens - noch wichtiger: Nach zähen Wochen, in denen nach dem Schweden-Spiel ausgiebig über die mangelhafte defensive Ausrichtung der DFB-Elf debattiert wurde, hat die Mannschaft zu null gespielt. Nicht gegen irgendeinen Gegner, sondern gegen Holland, das trotz Verletzungssorgen immer noch ein Land mit großem offensivem Potenzial ist.

Letzteres war für Löw wichtig. Die vier Schweden-Treffer hatten doch arg aufs Trainergemüt geschlagen. Von überall her kamen gute Ratschläge, in der Analyse hieß es, Löw sei der Kunst des defensiven Wechsels nicht mächtig. Schließlich hatte er es nicht geschafft, einen Vier-Tore-Vorsprung über die Zeit zu retten. Zuletzt erklärte sogar der sonst öffentlich brave Torwart Manuel Neuer, die Mannschaft müsse in Zukunft defensiver spielen. Löw fand sich selbst in der Defensive wieder.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Zweckentfremdeter Zwergensturm

Die meisten deutschen Spieler wirken von den extrem reservierten Niederländern unterfordert: Lars Bender ist eingekeilt im Mittelfeld-Dschungel, Marco Reus gibt den Mini-Vertreter von Chefstürmer Klose und Thomas Müller hat als Aufpasser keinen Spaß. Die deutsche Mannschaft beim 0:0 gegen die Niederlande in der Einzelkritik.

Carsten Eberts und Philipp Selldorf

Gegen die Niederlande stand die Null wieder. Wenn auch gegen ein holländisches Team, das sich über weite Strecken in Destruktivismus übte und kaum am Offensivspiel teilnahm. "Wir waren sehr positionstreu, sehr diszipliniert, sehr kompakt", befand Löw. Alles Attribute, die er seiner Mannschaft beim 4:4 gegen Schweden in der letzten halben Stunde nicht zuschreiben konnte. Löw sagte weiter: "Wir haben heute die Ruhe behalten. Hätten wir das auch gegen Schweden gemacht, hätten wir nicht so viele Tore bekommen."

Seine Spieler sahen es ähnlich. "Wir haben nicht viele Chancen zugelassen und kein Gegentor bekommen, das ist positiv", stellte Kapitän Philipp Lahm fest. Auch Mats Hummels erklärte, dass die Zuschauer sicher keine spektakuläre Partie gesehen hatten: "Aber man kann sich in so einem Spiel die Sicherheit wiederholen." Aus dem Mund von Hollands Bondscoach Louis van Gaal klang das Lob noch ein wenig kräftiger. In der ersten Halbzeit habe das DFB-Team seine Mannschaft "vom Feld gespielt", sagte van Gaal, erst in der zweiten Halbzeit sei es seiner Mannschaft gelungen, dagegenzuhalten: "Das Spiel war nicht so attraktiv, aber ich habe ein gutes Spiel gesehen." Eben eines für Trainer, die kleine Fortschritte in ihren Mannschaften erkennen wollen. Nicht so sehr für den spektakelverwöhnten Betrachter.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Zweckentfremdeter Zwergensturm

Die meisten deutschen Spieler wirken von den extrem reservierten Niederländern unterfordert: Lars Bender ist eingekeilt im Mittelfeld-Dschungel, Marco Reus gibt den Mini-Vertreter von Chefstürmer Klose und Thomas Müller hat als Aufpasser keinen Spaß. Die deutsche Mannschaft beim 0:0 gegen die Niederlande in der Einzelkritik.

Carsten Eberts und Philipp Selldorf

Auch Löw vermied es, tiefere Erkenntnisse zu einzelnen Spielern zu ziehen. Startelf-Debütant Ilkay Gündogan und Benedikt Höwedes als stürmender Außenverteidiger hatten durchaus auf sich aufmerksam gemacht. Doch hatten neun Stammspieler vor der Partie verletzungs- oder krankheitsbedingt abgesagt, darunter mit Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos, Jérôme Boateng, Holger Badstuber und Mario Gomez gleich fünf Spieler aus der sonst prägenden Bayern-Achse. Die Mannschaft, die in Amsterdam auf dem Platz stand, war höchst interessant anzuschauen: Der Sturm (Götze, Reus, Holtby, Müller) wird in dieser Konstellation auf absehbare Zeit ebenso wenig wieder zusammen spielen wie das defensive Mittelfeld (Gündogan, Lars Bender). nur die Abwehr (Lahm, Hummels, Mertesacker, Höwedes) war nicht allzu weit von der Idealbesetzung weg.

Nach kurzem Überlegen war Löw sogar im Stande, ein Fazit über das Fußballjahr zu ziehen: "Immer dann, wenn wir unseren Spielstil durchgezogen haben, hatten wir in der Offensive und Defensive keine Probleme. Die hatten wir immer dann, wenn wir davon abgewichen sind." Damit ließ er zweifellos Spielraum für eigene Gedanken. War daran immer die Mannschaft schuld? Oder nicht auch - wie etwa im EM-Halbfinale gegen Italien - manch personelle Änderung des Trainerstabs?

Doch das Fußballjahr 2012 ist für die Nationalmannschaft nun vorüber, erst am 6. Februar geht es mit einem Freundschaftspiel in Paris gegen Frankreich weiter. Eine echte Debatte muss Löw über den Winter nicht mitnehmen. Also hatte sich dieser fußballerisch trübe Abend im Amsterdam für ihn doch gelohnt.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: