DFB-Rücktritt von Miroslav Klose:Ewig unterschätzter Sozialaufsteiger

DFB-Rücktritt von Miroslav Klose: Familienbild in Rio: Miroslav Klose, Weltmeister, WM-Rekordtorschütze, mit seinen Zwillingen.

Familienbild in Rio: Miroslav Klose, Weltmeister, WM-Rekordtorschütze, mit seinen Zwillingen.

(Foto: AP)

Niemand musste sich so hart nach oben arbeiten wie Miroslav Klose. Bei der WM in Brasilien zeigte er mit 36 Jahren noch einmal seine ganze Palette. Die Nationalmannschaft verliert einen großen Stürmer.

Von Thomas Hummel

Nach 88 Minuten kehrte im Estádio do Maracanã eine fast andächtige Stimmung ein. Für ein paar Sekunden vergaßen die Menschen in diesem riesigen Rund von Rio de Janeiro, dass es da unten gerade um den größten Titel des Fußballs ging. Die Deutschen wechselten aus und der vierte Offizielle stellte auf seiner Tafel die Nummer 11 ein. Die 11 steht für Stürmer. Und Stürmer hatten die Deutschen in Brasilien nur einen dabei. Einen ganz großen.

Miroslav Klose verließ den Platz. Es klatschten und erhoben sich so viele Zuschauer, dass man annehmen musste, dass auch einige Argentinier darunter waren und sich erhoben. Die Leute spürten, dass dies der Abschied einer besonderen Persönlichkeit des Fußballs war. Wer mit 36 Jahren in einem WM-Finale ausgewechselt wird, der kommt nicht mehr zurück. Nur Bundestrainer Joachim Löw wollte es nicht ganz wahrhaben, dass er nun ohne seinen Miro auskommen muss: "Dem Miro ist alles zuzutrauen, vielleicht spielt er ja noch vier Jahre", sagte er auf der Pressekonferenz nach dem Finale. Ganz ohne Ironie.

Vier Wochen nach dem Finale hat Miroslav Klose an diesem Montag verkündet, was damals im Maracanã außer Löw alle vermuteten: Dieses Spiel war sein letztes für den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Er erklärte seinen Rücktritt: "Ich hatte eine einmalige, wunderschöne Zeit und viele unvergessliche Momente in der Nationalmannschaft. Die letzten Wochen habe ich genutzt, mir diese Momente noch einmal bewusst zu machen und sie zu genießen. Für mich kann es keinen schöneren Zeitpunkt geben, um das Kapitel Nationalmannschaft zu beschließen."

Er habe sich mit dem Weltmeistertitel in Brasilien einen Kindheitstraum erfüllt. Das blieb niemandem verborgen, so hemmungslos weinte Klose nach dem Schlusspfiff auf dem Spielfeld.

137 Länderspiele, 71 Tore

Klose und die Nationalmannschaft - allein die Zahlen sind beeindruckend, manche einmalig: 137 Länderspiele, Platz zwei hinter Lothar Matthäus. 71 Tore, Platz eins. Davon 16 Treffer bei seinen insgesamt vier WM-Endrunden, Platz eins. Letzteres schaffte er bei der WM in Brasilien mit seinem Treffer zum 2:0 im Halbfinale gegen den Gastgeber, er übertraf damit Ronaldo, der noch vor dem Turnier diese Liste angeführt hatte. Wer will Bundestrainer Löw widersprechen, der nun sagt: "Miro Klose ist ein Weltstar, er ist einer der größten Stürmer, die der Fußball hervorgebracht hat."

In all den Jahren hätten Löw dennoch einige widersprochen. Stets heftete Klose das Etikett des Sozialaufsteigers an, der sich mit viel Fleiß, aber wenig Talent nach oben robbte. Der gegen Fußballzwerge wie Saudi-Arabien und Costa Rica reihenweise einschießt, aber gegen die Besten nicht zu sehen ist. Spätestens in Brasilien hat er mit diesem Vorurteil aufgeräumt.

Die Nationalmannschaft verliert ihr letztes Symbol für die alte Fußballzeit. Ein Relikt, das es ohne planwirtschaftliche Talentförderung in den Olymp der Sportart geschafft hat. Ein polnisches Aussiedler-Kind, aufgewachsen in der Westpfalz. Die Spielgemeinschaft Blaubach-Diedelkopf ist sein erster Klub und versinnbildlicht gleichsam die tiefe Provinz, in der das Sportlerleben des späteren WM-Rekordtorschützen seinen Anfang nahm.

Klose spielte mit 19 Jahren für ebendiese SG Blaubach-Diedelkopf in der Bezirksliga Westpfalz, dann ging es über Homburg und Kaiserslautern II erst mit 22 Jahren in die Bundesliga. Während heutzutage die Klubs am liebsten ihre 17-Jährigen einsetzen, musste sich ein Fußballer damals noch mühsam nach oben arbeiten. Niemand musste sich so mühsam nach oben arbeiten wie Miroslav Klose.

Talent, Kopfballspiel, Opferbereitschaft

Er betrieb diesen Aufstieg mit einem Fleiß und Ehrgeiz wie kaum ein anderer. Als er während der WM befragt wurde, warum er in diesem Methusalem-Alter für einen Stürmer immer noch mithalten könne, sagte er: "So wie ich am Anfang mit dem Körper umgegangen bin, das kommt mir jetzt noch zugute."

Dazu gesellte sich trotz vieler Kritiker eben doch ein außergewöhnliches Talent. Gespür für die Situation, Kopfballspiel, Opferbereitschaft und vor allem eine enorme Lernfähigkeit begleiteten ihn durch die Karriere. Seit seinem ersten Länderspiel im März 2001 hat sich der Fußball dramatisch verändert. Doch Klose hielt immer mit. Nur im Edelkader des FC Bayern kam er nicht immer zurecht. Unter all den Artisten wirkte der Mannschaftspieler bisweilen fehl am Platz.

Doch selbst als er in München abseits des Spielfelds saß, selbst wenn er bei Lazio Rom von einer Verletzung zur nächsten stolperte, Joachim Löw hielt immer zu ihm. Mit zunehmendem Alter setzte der Bundestrainer seinen Miro mitunter auf die Bank: Bei der EM 2012 stürmte meist Mario Gomez, danach experimentierte er häufig mit der "falschen Neun". Doch stets betonte Löw, wie wichtig Klose für ihn sei, auch neben dem Platz als Figur mit Strahlkraft. Als Vorbild für all die jungen Künstler, die es so viel leichter hatten und manchmal vieles zu leicht nehmen.

In Brasilien verdeutlichte Klose seinem Bundestrainer fast unverhofft seine Fähigkeiten auf dem Platz. Er zeigte noch einmal die ganze Palette: In allerhöchster Not lief Klose im zweiten Vorrundenspiel gegen Ghana auf den Platz und spitzelte mit seiner ersten Ballberührung die Kugel zum 2:2 ins Tor. Gegen die USA wartete ein ganzes Stadion in Recife auf Deutschlands einzigen Mittelstürmer, um der Überlegenheit endlich eine Zuspitzung im Strafraum zu geben. Im Halbfinale war er Teil des brasilianischen Albtraums. Im Finale gelang ihm wenig, aber er rackerte wie ein Berserker und ließ den Verteidigern keine Ruhe.

Klose, das letzte Exemplar

Miroslav Klose hatte ein bisschen Glück, dass er in einer Zeit des deutschen Stürmermangels lebt. Als der DFB einst beschloss, technisch hochbegabte Offensivspieler auszubilden, vergaß er bekanntlich die Ausbildung des Mittelstürmers. Doch in Wahrheit hatte der DFB noch viel mehr Glück, dass in diese Zeit das Sportlerleben des Miroslav Klose fiel, der diese Fehlplanung kaschierte. Er ist das letzte Exemplar des einstigen Stürmerlandes, steht in einer Galerie mit Max Morlock, Helmut Rahn, Uwe Seeler, Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Rudi Völler, Jürgen Klinsmann.

Löw muss darauf hoffen, dass sich Mario Gomez in Florenz von seinen vielen Verletzungen erholt oder dass einer der ganz Jungen wie der Stuttgarter Timo Werner, der Bremer U19-Europameister Davie Selke oder der Gladbacher Sinan Kurt es schnell nach oben schaffen. Sonst wird die Nationalmannschaft absehbar ohne echten Stürmer auskommen müssen.

In der 88. Minute im Maracanã klatschte Miroslav Klose mit Mario Götze ab. Einem offensiven Mittelfeldspieler. Der 15 Spielminuten später das 1:0 schoss.

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