Steinberg am Rofan in Österreich:Ein Dorf geht in Klausur

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Wie hier am Mesnerhof ist es rund um den Steinberg selten überlaufen. (Foto: Georg Gasteiger)

Früher erlebte Steinberg am Rofan wilde Abende. Inzwischen ist es im Winter reichlich ruhig geworden. Heute gibt es in dem österreichischen Bergdorf drei Lifte, ein Wirtshaus - und ein paar neue Ideen.

Von Monika Maier-Albang

Es ist tatsächlich eine schöne Strecke, vom Obinger Moos hinauf zur Pulverer Mahd, von dort weiter zur Mairalm, wo es so steil hinuntergeht, dass man im Pflug fährt. Die Spur setzt hier ohnehin aus. Nach links zweigt der Weg ab Richtung Achenkirch. Wer nach rechts fährt, kommt zurück nach Steinberg. Würde er an dieser Stelle die Loipe spuren, "käme kaum einer heil hinunter" bis zur Weggabelung, sagt Thomas Auer, der Gemeindemitarbeiter, der die Loipe täglich präpariert. Also sachte rechts hinüber Richtung Köglboden, wo sich der Guffert aus dem Nebel hebt. Unten stehen dunkel die moosbehangenen Fichten, oben leuchtet eine schneebedeckte Bergspitze.

Ein Hund mit drei Sonntags-Spaziergängern ist einem bis dahin begegnet. Dazu kommt das Paar, das klassisch in der Loipe unterwegs ist. Ein Mann, der skatet. Und der Jogger, der den beiden Frauen zuruft, das gehe ja wohl auch ein bisschen schneller. Ein Scherz. Die Begleiterin lebt in Steinberg am Rofan, der Jogger auch. Bei 290 Einwohnern und einer Schule mit neun Kinder kennt man sich.

Die 16 Kilometer Loipe sind das Aushängeschild von Steinberg. Es gibt sie seit Anfang der 1980er-Jahre. Bislang war die Loipe nur einspurig und nur klassisch befahrbar, "primitiv halt", wie Helmut Margreiter sagt, der in dem Tiroler Bergdorf auf 1000 Metern zugleich Bürgermeister und Gemeindesekretär ist. Langlaufprofis wie der finnische Trainer Torsti Kinnula und der ehemalige österreichische Weltcup-Läufer Markus Gandler hätten die Gemeinde gedrängt, mehr aus ihrem abwechslungsreichen Terrain zu machen, sagt Margreiter. Und jetzt, kaum ein paar Jahrzehnte später, ist die Loipe tatsächlich ausgebaut: Neben zwei klassischen Spuren ist Platz für Skater und Wanderer. Ein Großteil der zehn Kilometer langen Strecke, die Steinberg mit Achenkirch verbindet, wurde zum Saisonauftakt fertig. Der Rest soll bis zum nächsten Winter folgen.

Der Ort hat 160 Gästebetten - weniger als so manch ein Hotel im nahen Achenkirch

Die Loipe - sie ist eine der wenigen Hoffnungsträger. In den vergangenen Jahren ist es hier zur kalten Jahreszeit reichlich ruhig geworden. Im Sommer kommen die Weitwanderer über den Adlerweg. Und die Münchner fluten die Guffertspitze. Im Winter aber und in der Nebensaison übernachten die meisten Gäste in Pertisau oder in Maurach. Die großen Hotels dort haben vier Sterne und Wellness und Kinderbespaßung. Wenn es am See neblig ist, kann man ja hochfahren nach Steinberg, aufs Sonnenplateau, das sich als "das schönste Ende der Welt" bewirbt. Die Rofanlifte bieten eine ruhige Alternative zu den Christlumliften. Die Gäste gehen in die Silberwaldhütte auf einen Absacker oder zum Essen ins Waldhäusl. Aber in Steinberg übernachten? "Die Leute sagen zwar immer, dass sie schöne Natur und Ruhe haben wollen. Aber dann setzen sie sich doch lieber dem Strudel aus", sagt Margreiter.

Der Mesnerhof ist ein Stück Alpinkultur und bietet authentische Hüttenatmosphäre. (Foto: Erwin Haiden)

"Dabei hatten wir alles. Pferde, Schwimmbad. Und Tennisplätze, als die in Achenkirch noch nicht mal wussten, was das ist", erinnert sich Richard Agreiter. Er, der Künstler, der seine Bronzeskulpturen in Berlin ausstellt und Kontakte nach Frankreich pflegt, ist ein Unikum im Ort: mit Steinberg verwurzelt und doch ein bisschen abseits stehend im Dorfleben zwischen Feuerwehrfest und "der Musik", wie sie die Blaskapelle, die seit Kurzem auch Frauen aufnimmt, hier nennen.

Richard Agreiter haben sich wilde Zeiten ins Gedächtnis gebrannt. Abende mit Hugo Strasser oder Roberto Blanco, Busse voller Gäste. "Es wurde viel gesoffen, und es war lustig", erzählt der 74-Jährige. Die Hotels hießen damals Bergalm, Sonneck oder Windegg, in den Neunzigerjahren begann ihr Niedergang. Windegg wurde 2004 von der Alpinschule Innsbruck zur Asi-Lodge umgebaut. Das war für die Steinberger ein Aufbruch, "unser touristischer Leitbetrieb", wie der Bürgermeister sagt. Sie war der Gegenentwurf zum Feiervolk-Hotel, konzipiert als Refugium für Stadtmüde, die von hier aus zu geführten Touren ins Rofangebirge starten, an Kräuterwanderungen oder Meditationsangeboten teilnehmen konnten. Geworben wurde mit der Abgeschiedenheit. Seit Mai vergangenen Jahres ist die Lodge geschlossen.

Das Konzept hätte gepasst, sagen sie in Steinberg. Gescheitert sei der Familienbetrieb an der Art, wie er geführt wurde: zu teuer, zu wenig aufgeschlossen für Gäste, die nur etwas essen wollten. Ambros Gasser, der die Alpinschule Innsbruck leitet, nennt die Preise angemessen. Die Lodge habe sein Bruder geführt, den es zurück in seine Wahlheimat, die USA, zog. Momentan suche man nach einem Käufer, der "eine schöne Vision" für die Lodge habe.

Wer mag, kann eine Skitour durch Wald und Latschen auf einen Gipfel mit dem vielsagenden Namen Vorderunnütz machen. (Foto: Markus Stadler)

Ohne die Lodge, in der 80 Personen übernachten konnten, bleiben Steinberg noch 160 Gästebetten - weniger als manch eines der großen Hotels im nahen Achenkirch. Die Alten im Ort seien oft nicht mehr bereit, Geld für eine Renovierung ihrer Gästezimmer in die Hand zu nehmen, sagt der Bürgermeister. Zumal die Jungen die Vermietung nicht weiterführen wollen - zu mühsam ist das Geschäft. Viele pendeln zur Arbeit nach Innsbruck oder München, sind nur am Wochenende daheim und wollen dann keine Fremden im Haus. "Außerdem kommen uns die Damen abhanden", sagt Margreiter. Zu viele seien der Arbeit hinterhergezogen - oder dem Mann, den sie dabei kennengelernt haben. "Und uns geht hier jede Person ab."

Was also tun? Vor drei Jahren ist das Dorf in Klausur gegangen: 15 Vertreter des Dorfes, die man laut Margreiter durch Zufallsprinzip aus dem Wählerverzeichnis gefischt hatte. Zwei Tage lang haben die Steinberger mit einem Experten darüber nachgedacht, was für ihr Dorf richtig ist. Zusammenfassen lässt sich das so: sich auf das Wesentliche konzentrieren. Und das gut machen. Bei den Wanderwegen wolle man nicht ein großes Netz erhalten, sondern die schönsten "picobello halten", sagt Margreiter. "Und auch die Masse an Betten kann nicht unser Weg sein. Wir müssen durch Qualität überzeugen."

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Die wenigen kleinen Betriebe, die geblieben sind, passen denn auch zu den Bedürfnissen der Gäste. Im Waldhäusl haben Robert Huber und Alexandra Dalmonego die Zimmer urig mit Holz verkleidet; überm Bett hängt ein stilvolles Bergfoto. Der auf einer Anhöhe im Tal gelegene 400 Jahre alte Mesnerhof wirbt mit der Sehnsucht der Menschen nach "Stille und Geborgenheit". Und wer Wintersport-Ausrüstung leihen möchte, geht ein Stück hinab zu Otto Agreiter, der die passenden Schuhe aus dem Regal zieht, ohne die Kundin nach ihrer Schuhgröße fragen zu müssen.

"Das ist ein intaktes Dorf"

Neben der Kirche soll schon im Sommer ein Gemeindehaus stehen, mit Dorfladen und Restaurant. Endlich ein Saal. Momentan müssen die Steinberger bei größeren Familienfeiern nach Achenkirch oder Pertisau ausweichen. Und die Weitwanderer finden kein Geschäft, in dem sie ihre Vorräte auffüllen können. Das neue Haus für die Dorfgemeinschaft war ebenfalls eines der Klausur-Ergebnisse. Margreiter sucht gerade einen Pächter.

Auch Richard Agreiter hat früher vermietet, inzwischen nehmen er und seine Frau Ghislaine Felix nur noch "Nostalgiegäste" auf, wie Felix sie nennt; meist sind es Franzosen. Man trinkt am Abend Rotwein, Felix bietet Erbsensuppe an, wenn das Waldhäusl Ruhetag hat, damit die Gäste nicht nach Achenkirch hinunter müssen. Das Familiäre schätze er sehr an dem Ort, sagt Patrick Nehlig, der seit 1992 jeden Winter aus Paris nach Steinberg fährt, um hier seinen Urlaub zu verbringen. "Das ist ein intaktes Dorf", so erlebt es Nehlig: die holzverkleideten Höfe mit ihren Räucherkammern, die Kirche in der Mitte, die Berge drumherum. "Wunderschön."

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Der Bürgermeister hofft indes, dass sich für die Asi-Lodge zügig ein Käufer findet. Einer, der in den Ort passt und Arbeitsplätze schafft. Dann müssen nur noch die Gäste kommen und die Natur genießen. "Die muss ihnen halt etwas wert sein," sagt Margreiter, "auch monetär."

© SZ vom 19.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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