Städter zieht es in die Natur:Outdoor als Prinzip

The Outsiders

Wandern, Campen, Zelten: Was früher als spießige Frührentner-Beschäftigung galt, wird neuerdings als hipper Lebensstil gefeiert.

(Foto: David Boyson Cooper/Gestalten 20)

Vollbart, Karohemd, Holzfällerhose: Der Waldschrat-Stil erobert die Städte. Gleichzeitig zieht es immer mehr Städter in die Natur. Im superauthentischen Design. Was ist da draußen los?

Von Max Scharnigg

Multifunktionsjacke. Das war mal ein veritables Mode-Schimpfwort. Es klang nach verregneter Wanderung durchs deutsche Mittelgebirge, nach rüstigen Rentnern, Tchibo-Sonderfläche und eben diesen pflichtaktiven Menschen, die zwar sympatex waren, aber nicht sympathisch.

Eine solche, schön schmähbare Multifunktionsjacke sucht man in dem gerade erschienenen Buch "The Outsiders" aus dem Gestalten-Verlag vergeblich, obwohl es auf den 260 Seiten des Fotobandes um nichts anderes geht als um Menschen, die in Wäldern, auf Bergen und an Stränden stehen. Am Anfang ist die Botschaft dieses gewichtigen Kompendiums rätselhaft, das teils wie ein aufwendiger Produktkatalog wirkt, teils wie ein sehr geschmackvoll gemachtes Facebook-Album. Am Ende ahnt man, dass die neue Outdoor-Ästhetik, die hier gefeiert wird, mehr ist als nur ein monothematisch sortiertes Fotoarchiv und dass man auf den Seiten stattdessen einen wichtigen Teil von dem sieht, was ein junges Leben heute ausmacht: Abenteuer- Akquise, gut dokumentiert im Retrofilter.

Einsamkeit als Katharsis - alter Hut

Klar, das temporäre Verlassen der urbanen Zone und die große Selbstsuche in der Natur sind keine neuen Anliegen. Schon Büchner schickte seinen Lenz mitsamt Unruhe des Herzens ja bekanntlich erst mal "ins Gebirg'", die Lebensreformer suchten später auf dem Monte Verità mit Luft und Licht nach besserem Leben und die Original-Hippies ließen sich an einsamen Stränden nieder. Natur als Katalysator, Einsamkeit als Katharsis - ein alter Hut. Aber die neuen Menschen in diesem neuen Buch zitieren noch mal anders innig dieses nostalgische "Hinaus!", sie sehen so glücklich aus in ihrer gefundenen Wildnis, als würden ihre Sinnesorgane erst im Baumzelt oder im Kanadier richtig funktionieren.

Sie sind sehr furchtlos und locker. Keine Funktionsjacken-Verspanntheit, kein Bangen um die Dichtheit des Goretex, kein "Oje, Hüttenschlafsack vergessen!". Nein, sie wirken, als wären sie einfach in Neukölln oder Brooklyn losgelaufen, mit ihren Vollbärten und Karohemden, im sicheren Wissen, dass ihnen die Welt jenseits der Zivilisationsgrenzen genauso gehört wie die Stadt. Sie müssen sich ja nicht mal umziehen.

Im herrschenden Chic des Antimodernen, in der großen Sehnsucht nach authentischem Konsum, wertigen Materialien und simpler Funktion, wie sie die breite New-Öko-Bewegung in den Städten hegt, ist das Naturerlebnis fest angelegt. Es sehen ja alle schon im Club aus wie die Trapper, und am Wochenende wird dann auch folgerichtig fast ironiefrei gewandert, geklettert oder irgendeine Annäherung an Selbstversorgung gewagt.

Nur unter der Woche Stadtfetischisten

The Outsiders

Outdoor-Produkte, dezent und funktional genug und versehen mit rührenden Entstehungsgeschichten fürs Lagerfeuer.

(Foto: Andrew Groves, Calum Creasey/Ges)

Obwohl also alle weiterhin in die Städte ziehen, sind sie eigentlich keine Stadtfetischisten oder sie sind es nur unter der Woche. Am Wochenende laufen dann auf den sozialen Kanälen Bilder von jenseits der U-Bahnkarte ein, Bilder in denen alle stolz beweisen, dass sie das Einfache genießen können - ein Gipfelkreuz, ein gefundener Pilz, eine Picknickdecke im Sonnenuntergang. Das gute, wilde Leben eben, zwinker. Genau wie ein gewissenhafter Blogger reiht das Outsiders-Buch dann auch zwischendurch mal die verwendeten Produkte aus den Stimmungsbildern auf, zeigt die Hammerschlag-Thermosflaschen, Manufaktur-Messer und schnörkellosen Jacken aus gewachster Baumwolle und nennt die Marken. Denn das sind natürlich Statussymbole, dezent und funktional genug, um nicht als solche zu wirken und allesamt versehen mit rührenden Entstehungsgeschichten fürs Lagerfeuer.

Eine schöne Jacke des britische Outdoor-Schneiders Nigel Cabourn etwa kostet gerne mal 1000 Euro und zitiert in ihrem Schnitt und mit ihren Materialien die Anoraks der frühen Himalaja-Expeditionen. Eine handgeschmiedete 300-Euro-Axt von Best Made Company findet sich heute nicht mehr in den Händen von Holzfällern, sondern in vielen urbanen Wohnungseinrichtungen als Accessoire, einfach weil sie so herrlich schlicht ist. Der "Kånken"-Rucksack des schwedischen Ausstatters Fjällräven hat ganze geisteswissenschaftliche Fakultäten unterwandert und wird seit anno Dingsbums unverändert hergestellt. Es ist nebenbei bemerkt schön, mit diesen urschönen Gegenständen dann auch mal tatsächlich im Wald zu sitzen. Schön, schön, schön!

Aber es geht um mehr als Ästhetik, es geht um einen inhaltlichen Wandel. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Outdoor-Ausrüstung, genau übrigens wie Ski oder Fahrräder, vor allem über sportliche und technische Aspekte verkauft und nicht über ästhetische. Sie war Schutz vor der Natur, sollte Regen und Schnee abhalten, aber atmungsaktiv sein. Heute muss Outdoor-Design emotional ansprechen und ganzheitlich zum Erlebnis passen, deswegen soll es bitte nicht die Multilayer-Jacke aus Bangladesh sein, sondern bitte der Wollpullover von den Hebriden oder wenigstens von Opa. Man traut sich wieder offenporig hinaus in die Natur und genießt ihr superauthentisches Design.

Trotzdem wandelt den empfänglichen Betrachter die Atmosphäre dieser im Outsiders-Buch versammelten Fotoarbeiten doch sehr an. Auch du, sagen sie, könntest jetzt vor einem schlichten Zelt sitzen, aus verbeulten Blechflaschen trinken und dabei Colour-Block-Jacken aus gewalkter Wolle tragen. Könntest deinen nostalgischen Lederriemen-Rucksack seiner Bestimmung zuführen, ein kunstvoll lackiertes Kanupaddel schwingen und endlich, endlich Strandgut mit dezenten Kringeln bemalen, wie es die Menschen in diesem Buch tun. Denn man sieht es ihnen an: Morgen gehen sie wieder surfen, klettern, die Welt umradeln, einfach weil sie die Möglichkeit dazu haben. Multioption statt Multifunktion.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: