Stadtführung mit verbundenen Augen:Blind durch den Kölner Dom

Axel Rudolph, Gründer des ersten Dunkelrestaurants in Deutschland, zeigt Teilnehmern mit Augenmasken die unsichtbare Seite von Köln. Ein Gespräch über eine Stadtführung, bei der von den Sehenswürdigkeiten nichts zu sehen ist.

Katja Schnitzler

Axel Rudolph hat das erste Dunkelrestaurant in Deutschland gegründet: In der unsicht-Bar in Köln servieren Blinde das Essen in völliger Finsternis. Nun holt Rudolph das Konzept aus den geschlossenen Räumen und bietet mit sogenannten Blindwalks Führungen im Kölner Zentrum an, bei denen die Teilnehmer die Sehenswürdigkeiten nicht sehen können - sie tragen Augenmasken.

Blindwalk in Köln

Axel Rudolph (sehend, rechts) führt eine Gruppe mit Augenmasken am Kölner Dom vorbei. Über Kopfhörer warnt er vor Stolperstellen und Kurven - und weist auf Hörenswertes hin.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Rudolph, Sie verbinden Menschen die Augen, bevor Sie sie in den Kölner dom führen. Was bleibt da von einer der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Deutschlands?

Axel Rudolph: Im Dom hören sie den phantastischen, weit tragenden Hall, der dennoch nicht laut ist. Und dazu die Trippelschritte von Hunderten anderen Besuchern. Da kann man hören, wie klein die Menschen im Vergleich zum Dom sind. Auf der Haut fühlt man die kühle, etwas feuchte Luft des kalten Steines - im vorderen Teil des Kirchenschiffs riecht der Dom ein wenig nach Keller. In Altarnähe kommt dann noch der süßliche Weihrauch hinzu und der Duft und die kaum wahrzunehmende Wärme von 500 Kerzen, die überall aufgestellt sind.

sueddeutsche.de: Aber die Schönheit des Doms erschließt sich doch erst dem, der auch zum Beispiel die wunderbaren Fenster betrachten kann.

Rudolph: Beim Blindwalk sind die bildliche Vorstellung und die Phantasie der Teilnehmer stark gefordert, was ein ganz eigenes, intensives Erlebnis ist. So beschreibe ich an sonnigen Tagen an der Südseite, wie das Licht durch das Fenster von Gerhard Richter mit seinen 11.000 Farbtäfelchen fällt. Im Weihrauch wirken die Lichtstrahlen, als könne man sie greifen.

sueddeutsche.de: Kommt da niemand in Versuchung, mal kurz die Augenmaske zu lüpfen?

Rudolph: Darauf war ich auch vorbereitet. Aber bisher hat noch niemand geschummelt - wobei die Maske natürlich niemanden aufgezwungen wird. Ich habe jedoch im Gegenteil beobachtet, je länger die Leute beim Blindwalk mitmachen, desto mehr gewöhnen sie sich daran, nichts zu sehen - und genießen diese Erfahrung. Sie werden ja auch sicher geführt, über Kopfhörer kündige ich auch Kurven oder einen anderen Bodenbelag rechtzeitig an.

sueddeutsche.de: Nun sind Domplatte und Bahnhofsplatz keine Gegenden, in denen man sich die Hände schmutzig machen möchte. Wie unempfindlich müssen die Teilnehmer sein?

Rudolph: Nicht besonders. Wir ertasten Fühlenswertes nur an ausgesuchten Stellen, die ich vorher wenn nötig noch mal auf weggeworfene Zigarettenkippen absuche. Vor dem Römisch-Germanischen Museum erkunden wir zum Beispiel verzierte Überreste von Türen. Die "Liebesschlösser" auf der Hohenzollernbrücke haben allerdings wirklich viele Menschen in der Hand, auch die Sehenden.

"Es duftet nach Kölsch"

sueddeutsche.de: Nehmen Blinde ebenfalls an Ihren Führungen teil?

Rudolph: Das Ganze läuft ja jetzt erst an, aber an Hotelrezeptionen war man schon ganz begeistert von der Idee, sie wollen das blinden Gästen weiterempfehlen. Das ist für Blinde durchaus interessant, weil der Weg nicht zufällig, sondern inszeniert ist: Ich kenne die Ecken, an denen der Wind bläst, an denen es Kombinationen aus Geräuschen und Gerüchen gibt. Der Weg wird so zur Installation. Hauptzielgruppe sind aber vor allem sehende Besucher, die ganz neue Eindrücke von der fremden oder auch der eigenen Stadt bekommen.

sueddeutsche.de: Wie reagieren die Leute nach ihrem ersten Blindwalk?

Rudolph: Sie reiben sich die Augen, als würden sie zurückkehren von einer weiten, intensiven Reise - und wundern sich, dass sie nur zweieinhalb Stunden unterwegs waren. Sie sind sehr beschäftigt mit den neuen Eindrücken. Daher nehmen alle gerne die Karte mit der Route mit, die wir gegangen sind. Aber noch keiner hat gesagt, dass er den Weg sehend noch mal zurücklegen will - jedenfalls nicht sofort.

sueddeutsche.de: Wie erleben Kölner Ihre Führung?

Rudolph: Die sind oft verwundert, wo wir unterwegs waren. Einer meinte, dass er jeden Tag an der Skultpur "Ma'alot" von Dani Karavan auf dem Heinrich-Böll-Platz vorbeiradelt. Ihm ist aber noch nie aufgefallen, dass die Skulptur am Sockel aus Metall ist, oben aber aus Granit. Solche Reaktionen zeigen, wie "blind" wir sonst durch die Welt gehen.

sueddeutsche.de: Was sagen denn Passanten zu Ihrer Gruppe, die mit verbundenen Augen im Gänsemarsch durch die Innenstadt zieht?

Rudolph: Sie reagieren belustigt, aber mit großer Sympathie - und zuweilen wirklich witzig. Einer kam an und meinte: "Ist schön hier in Hamburg, was?" Eigentlich hatte ich nicht vor, 200 Meter durch die Fußgängerzone zu gehen. Aber weil es mit den Passanten so lustig ist, habe ich die Strecke noch mal verlängert.

sueddeutsche.de: Es geht nicht nur ums Tasten, Hören und Fühlen. Wie riecht Köln?

Rudolph: Köln wird von typischen Stadtgerüchen geprägt, am Rhein kommen noch Schiffsabgase hinzu. Aber in der Fußgängerzone mischt sich der Duft von Kaffee mit dem des Kölsch im Biergarten, durch den wir gehen. Der intensive Duft des obergärigen Kölsch, das ist wirklich typisch Köln.

Auf Einladung der Stiftung Blindenanstalt in Frankfurt gestaltete Axel Rudolph, 55, als Experte für Akustikdesign schon 1989 einen dunklen Raum, in dem Sehende von Blinden durch die Alltags-Installation mit Bar und Tastobjekten geführt wurden. Dieser "Dialog im Dunkeln" wird heute in 16 Ländern gezeigt. 1992 erschuf Rudolph für die Messe "Photokina" in Köln einen "Tag am Strand" mit Sand, Wind, Wellengeräuschen - in völliger Dunkelheit. Neun Jahre darauf gründete er das erste Dunkelrestaurant Deutschlands in Köln, die unsicht-Bar. In dieser servieren Blinde und Sehbehinderte Gästen die Speisen in völliger Finsternis.

"Mit dem Blindwalk hole ich die beiden Konzepte in die reale Welt", erklärt Rudolph: Die Teilnehmer erfahren das Nicht-Sehen in der Wirklichkeit mit all ihren Zufälligkeiten, sei es das Wetter oder der Straßenmusiker, der an der Ecke steht. "Köln ist dafür ideal, da viele Sehenswürdigkeiten so nah beieinander sind", sagt Rudolph. Für 1,2 Kilometer nimmt er sich zweieinhalb Stunden Zeit, inklusive Picknick oder Weinprobe. Die Route schließt unter anderem das Museum Ludwig, den Hauptbahnhof und Dom, Heinrich-Böll-Platz und die Hohenzollernbrücke über dem Rhein mit ein.

Bis zu sechs Personen erhalten Rucksäcke, Kopfhörer und natürlich Augenmasken. Der Tourguide geht voran, die Teilnehmer halten sich jeweils am Rucksack des Vordermannes fest. Die "Stadtfühlungen" starten am 21. Oktober und finden jeweils freitags um 15 Uhr und sonntags um 11 Uhr mit Voranmeldung oder nach Absprache statt, der Einführungspreis beträgt pro Person 35 Euro. Weitere Informationen unter blindwalk.de.

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