Skifahrer unter Leistungsdruck:Mittagspause? Verdirbt den Schnitt!

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Guter Schnee und ein schönes Panorama, das war früher mal. Heute messen viele Skifahrer einen gelungenen Skitag in erreichten Höhenmetern und Pistenkilometern - digital dokumentiert im Skigebiet oder auf der eigenen Skibrille.

Michael Moorstedt

Das Skigebiet Axamer Lizum in der Nähe von Innsbruck. Die breiten Pisten des altehrwürdigen, ehemaligen Olympiageländes sind noch knackig hart, nur wenige Menschen sind unterwegs. Umso besser, es bleibt mehr Zeit, gleich ein paar Höhenmeter zu sammeln, so wie es die Vielflieger mit ihren Meilen tun. Denn wer am Ende des Tages am Skipass-Automat zwischen ein paar wackligen Après-Ski-Hütten und dem trostlosen Parkplatz sein Pfand abholt, kann sich einen kleinen unscheinbaren Zettel als Arbeitsnachweis ausdrucken lassen. Auf der x-Achse sieht man die verbrachte Zeit, auf der y-Achse die zurückgelegten Höhenmeter.

Zehn Pisten, die man nicht vergisst
:Je steiler, desto besser

Sie kosten Überwindung, erfordern Durchhaltevermögen und sind an einigen Stellen nicht ganz ungefährlich: Zehn Pisten, die einem nicht mehr aus dem Sinn gehen werden.

Skiline nennt sich dieses System, das die Art und Weise, wie man einen Schneetag verbringt, verändert. Es registriert mit Hilfe der Drehkreuze am Lifteinstieg die Gästebewegungen - und ist damit ein Teil des digitalen Zeitalters am Berg. In anderen Skigebieten sammeln Apps wie der iSki Tracker Informationen über zurückgelegte Pistenkilometer, Höhenmeter und Geschwindigkeit. Auf Skibrillen mit eingebautem Display lassen sich Geschwindigkeit, Temperatur oder Höhe ablesen. Nüchterne Daten und Fakten, die erst zusammengerechnet die Essenz eines Skitages ergeben.

Exakte Daten über die eigene Leistung

Natürlich geht es dabei um Leistungsdokumentation und Revierbildung. Seit Jahrhunderten stehen Alpinisten unter dem Zwang, sagen zu müssen: "Ich war hier!" und "Ich hab's geschafft!" Dabei ist es im Grunde egal, ob das Zeichen für den bezwungenen Berg aus einem Foto am Gipfelkreuz oder einem Eintrag im Gipfelbuch besteht. Doch wenn man es genau wissen wollte, gaben die Übersichtskarten der Skigebiete nur eine grobe Orientierung, um zu kalkulieren, wie oft man an einem Tag umgerechnet den Mount Everest heruntergebrettert ist. Services wie der iSki Tracker oder Skiline dienen dazu, exakte Daten über die eigene Performance (vulgo: Leistung) zu sammeln und auszuwerten.

Ähnlich, nur etwas cooler, machen es auch die Nachwuchs-Freestyler, die sich im Funpark neben den Kaserwald-Schleppern gegenüber der Axamer Talstation über fünf Meter hohe Schanzen werfen und geknickte Geländer entlangrutschen. Die meisten tragen ansteckbare Mini-Kameras auf ihren Helmen, um die Sprünge in der Ego-Perspektive später auf das Videoportal Youtube zu laden. Auf der internationalen Sportartikelmesse Ispo in München wird nächste Woche gar die erste Helmkamera mit integriertem W-Lan präsentiert.

Mittagspause verschlechtert das Profil

Was früher mal ein sportliches Vergnügen war, wird auch unter Amateuren immer mehr von einem Leistungsimperativ vereinnahmt. Selbst, wenn es nur darum geht, dass sich der teure Skipass wieder lohnt. Da bedeuten der Germknödel und das Radler auf der Sonnenterrasse des Naturfreundehauses unterhalb der Nockspitze gleich ein doppelt schlechtes Gewissen. Zuerst einmal wegen der direkten Kalorienzufuhr. Und dann noch einmal am Ende des Tages, wenn sich der Einkehrschwung durch eine lange, kaum steigende Linie zwischen dem sonst so hochfrequenten Zick-Zack-Profil bemerkbar machen wird.

Eine Stunde für gerade mal 500 Höhenmeter? Ein Witz, ein Zeugnis fehlender Selbstdisziplin. Nach der Mittagspause wird deshalb umso vehementer für das selbst gesteckte Tagesziel gekämpft.

Woher kommt diese Lust an der digital dokumentierten Selbstkasteiung? Im Internet existiert eine noch junge Bewegung namens Quantified-Self. Kurz gesagt, geht es darum, mit Hilfe der Technik so viel wie möglich über den eigenen Körper und dessen Leistungsfähigkeit zu erfahren - und beides im besten Fall zu optimieren.

Das Höhenprofil eines Skitages in der Axamer Lizum (Foto: SZ-Grafik)

Sportartikelhersteller wie Nike und Adidas verkaufen Sensoren, mit denen Jogger Laufgeschwindigkeit oder Herzschlag erfassen. Anschließend werden die Daten auf Homepages statistisch ausgewertet und Gleichgesinnten mitgeteilt. Apps für Blutdruck, aufgenommene Kalorien, REM-Phasen, Fitness, Ernährung und Schlafüberwachung fungieren als Personal Trainer. Biodaten zur Selbsterkenntnis.

Dieser Trend macht vor der Piste nicht halt. So möchte die Skiline-Webseite auch eine Art Facebook für den Skifex sein. Man kann dort ein Profil anlegen, Fotos und Videos hochladen oder andere Mitglieder als Freunde hinzufügen. Es gibt eine Rangliste, die Mitglieder anhand der gefahrenen Höhenmeter ordnet. Der Sieger wird am Saisonende mit Gratis-Skipässen belohnt. Derzeit führt "christophh16" das Feld mit beinahe 500.000 Höhenmetern und mehr als 2500 Pistenkilometern an. Um unter die Top 100 zu kommen braucht es knapp 170.000 Höhenmeter.

Pistenwahl mit dem Höhen-Zeit-Quotienten

Abfahrten werden jetzt nicht mehr primär nach der optimalen Pistenbeschaffenheit oder dem schönsten Panoramablick ins Inntal ausgewählt, sondern nur noch anhand ihres Höhen-Zeit-Quotienten. Mit der Standseilbahn geht es am schnellsten auf die Bergstation am Hoadl. Und dann, nach einem leider ineffizienten Ziehweg, gleich wieder die 755 Höhenmeter und etwas mehr als zwei Kilometer die ehemalige olympische Frauenabfahrt hinunter ins Tal. Den beinahe unberührten Tiefschneefeldern neben der Piste schenkt man keine Aufmerksamkeit mehr.

Schon bald stellt sich ein Rhythmus ein. Etwa 20 Minuten dauert eine Tour. Und beinahe immer, wenn man unten ankommt, schafft man es, als Letzter in die schon voll besetzte Bahn zu hüpfen. "Der Kampf gegen einen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen", hat einst Albert Camus über den tragischen Helden Sisyphos geschrieben, den man sich deshalb als "glücklichen Menschen" vorstellen müsse. Wenn man mit rasselnder Lunge und brennenden Beinen wieder den Weg nach oben antritt, fällt es schwer, diesen Gedanken zu teilen.

Mittlerweile bietet Skiline seinen Service in ein paar Dutzend Gebieten an - von Tirol über Georgien bis nach Japan. Wie bei allen sozialen Netzwerken kommt ein gewisser Wille zur Selbstinszenierung dazu. In immer mehr Skigebieten stellt das Unternehmen ferngesteuerte Kameras auf. Wer von den Sensoren erfasst wird und später auf der Website die Nummer seines Skipasses eingibt, erhält so einen Imagefilm in eigener Sache. Ganz nach dem Motto. "Ich war hier!" Oder besser: "Seht mich an!"

Es ist halb fünf. Die Sonne ist schon lange hinter dem 3200 Meter hohen Habicht untergegangen. Ein Blick auf das Gipfelzeugnis zeigt: Man hat die vertrödelte Mittagspause doch noch egalisiert. Am rechten Rand türmen sich enge Zacken, knapp 12 000 Höhenmeter sind zusammengekommen. An der Auswertung ihrer Leistung scheinen sonst aber nur wenige Tagestouristen interessiert zu sein. Von gegenüber lockt schon das Basswummern der Après-Ski-Tränken. Und dort geht es schließlich ja auch irgendwie um Leistung.

© SZ vom 26.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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