Bahnreise Stuttgart-Berlin:Zug-Zwerg fordert Deutsche Bahn heraus

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Das private Unternehmen "Locomore" versucht, das Quasi-Monopol der Deutschen Bahn auf der Fernstrecke zu beenden - mit nur einem einzigen Zug. Kann das gelingen? Eine Probefahrt.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Die Waggons leuchten knallorange, die Türen quietschgelb, und der Kopf des Chefs ist rot. Derek Ladewig steht unter Strom, sein Zug müsste längst unterwegs sein. Am Mittwochmorgen um 6.21 Uhr wollte der Chef des privaten Fernzug-Anbieters Locomore seine Jungfernfahrt von Stuttgart nach Berlin beginnen. Jetzt ist es schon kurz vor sieben und er steht er immer noch auf Gleis 4 herum. Erst um 7.01 Uhr setzt sich der Zug "Loc 1818" in Bewegung: 40 Minuten Verspätung. Wegen interner Abstimmungsprobleme. Damit hat der Neuling im deutschen Fernbahnnetz noch vor dem Start bewiesen, dass er seiner übermächtigen staatlichen Konkurrentin Deutsche Bahn in diesem Punkt in nichts nachsteht.

"Na und", sagt Fahrgast Dieter Zahn, "solche Verspätungen hat die Bahn trotz jahrelanger Erfahrung ständig und entschuldigt sich nicht einmal." Das Bordpersonal von Locomore serviert jedenfalls Kaffee gratis, um den Verzug vergessen zu machen. Bei Rentner Zahn kommt das gut an. "Die Bahn braucht dringend einen Wettbewerber", sagt der 76-Jährige, "die fühlt sich als Herrscher und sagt ihren Fahrgästen, was sie zu tun haben."

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Glücklich angekommen - jedenfalls auf der Jungfernfahrt von Stuttgart nach Berlin: Derek Ladewig, Chef des privaten Fernzug-Anbieters Locomore, will sein Unternehmen mit einem einzigen Zug auf der deutschen Fernstrecke etablieren.

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Wem der Wettbewerb zwischen dem Riesen Deutsche Bahn und dem Zwerg Locomore nutzen könnte? Passagieren, die etwa nach Vaihingen, Kassel, Hannover wollen - und nicht zu vergessen: nach Wolfsburg.

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Neu ist die Farbe, die Waggons selbst stammen aus den 1980er-Jahren - ein wenig schönfärberische Nostalgie ist im Preis inbegriffen.

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Die Sitze sind braun oder rot und versprühen den warmen Charme alter Ohren-Sessel.

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Im Familien-Abteil stehen Bücherkisten für Leser und Vorleser bereit.

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Umweltfreundlich reisen? Jedenfalls sind Äpfel und Getränke an Bord bio, und der Kaffee wurde fair gehandelt.

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Kampfansage: Die Preise sollen der Deutschen Bahn Kunden abspenstig machen und zugleich gegenüber dem Fernbus-Angebot bestehen.

In den beige-farbenen Ledersitzen reist es sich wie in einem Oberklasseauto

In seinem Abteil riecht es nach frischer Farbe. Alles ist frisch bezogen oder lackiert. Die Sitze sind braun oder rot und versprühen den warmen Charme alter Ohrensessel. Überall leuchten knallbunte Haken und Griffe, selbst der Papierrollenhalter auf dem Klo ist leuchtend gelb. Sehr modern kommt der Großraumwagen daher. In seinen beigefarbenen Ledersitzen reist es sich wie im Oberklassewagen eines süddeutschen Autobauers. Das Personal serviert im dunkelbraunen Hemd mit orangenen Knöpfen. Auf der "Knabberkram"-Karte wird der Fahrgast geduzt. Im Angebot ist der "Bio-Apfel" für 50 Cent, fair gehandelter Kaffee und frischer Salat im Weckglas aus kontrolliert ökologischem Anbau.

Wer ein Business-Ticket löst, bekommt Getränke und Snacks kostenlos. Der Fahrpreis variiert je nach Bestellzeitpunkt und Nachfrage zwischen 22 und 69 Euro. Er bleibt aber stets unter dem Bahncard-50-Flexpreis (72,50). Die Platzreservierung kostet nichts, Fahrräder dürfen mitgenommen werden. Um sich zusätzlich von der DB abzuheben, hat Locomore den einzelnen Wagenabteilen Namen gegeben. So sollen Fahrgäste Gleichgesinnte treffen können. Nett gemeint, aber ob das funktioniert? Bei der Premiere bleiben die Abteile "Fußball", "Weihnachtsbasteln" und "Gesellschaftsspiele" leer. Nur bei "Stricken und Häkeln" sitzt ein Mann mit grauem Nikolausbart. Seine Finger wirbeln ordentlich. Aber nicht mit Nadel und Wolle, sondern auf dem iPad.

Im Familienbereich sitzt Opa Johannes Jäger mit seiner Enkelin Kaya auf dem Schoß und liest ihr ein Buch vor: "Jim Knopf und der Lokomotivführer". Die Bücher liegen in Holzkisten parat. Auf dem Boden sitzt die kleine Yoko und spielt mit einer Holzeisenbahn. Die TV-Kameramänner stehen Schlange, um in die Knie zu gehen und zu filmen. Dass die Mutter eine Locomore-Mitarbeiterin ist - geschenkt.

Bei Tempo 200 beginnen die Waggons aus den 1980er-Jahren zu rumpeln. Auch so manche Automatiktür klemmt. Die Durchsagen sind in sprachlicher und technischer Hinsicht holprig. Auch hier gilt: Was die DB kann, schafft Locomore auch.

Warnung an die Geldgeber

Mit Abstand die meisten Fahrgäste der Jungfernfahrt sind Journalisten, die zweitgrößte Gruppe sind Geldgeber, die ihr Investment aus nächster Nähe begutachten. Nach eigenen Angaben ist Locomore weltweit der erste Bahnanbieter, der sein Kapital per Crowdfunding eingesammelt hat. 1300 Menschen haben sich an dem Projekt beteiligt, so sind mehr als 600 000 Euro zusammengekommen. Die Geldgeber bekommen vier Prozent Zinsen und verbilligte Tickets. Derek Ladewig sammelt noch bis zum Jahresende weiter, er warnt allerdings ganz offen: "Interessierte sollten nur Geld investieren, dessen Verlust sie schlimmstenfalls verschmerzen können."

Es ist ein mutiges Projekt, das Ladewig und sein Team wagen. Mit einem einzigen Zug will sich das Berliner Unternehmen auf der deutschen Fernstrecke etablieren. Kann das überhaupt funktionieren gegen 1300 DB-Verbindungen und Fernbusse mit Dumpingpreisen?

Es haben schon ganz andere Unternehmen mit größeren Investoren im Rücken versucht. Sie gaben früher oder später auf. Als einziger privater Anbieter neben Locomore ist noch der Hamburg-Köln-Express unterwegs. Er hat sein Angebot jüngst massiv eingedampft.

Die Rahmenbedingungen sind schwierig. Auf Fernstrecken gibt es keine Steuer-Zuschüsse

Die Rahmenbedingungen sind schwierig: Im Gegensatz zum englischen Fernverkehr oder zum deutschen Nahverkehr gibt es auf der deutschen Fernstrecke keine öffentlichen Zuschüsse. Jede Fahrt kostet vier Euro Trassengebühr pro Kilometer. Dazu kommen 1000 Euro Stationsgebühr pro Tag.

Zudem weigert sich die Bahn, an Automaten und in Reisezentren Locomore-Tickets zu verkaufen. Ladewig bezeichnet das als "Quatsch" und "kartellrechtlich nicht zulässig". Er kündigt eine Klage an: "Wenn es da keine Bewegung gibt, werden wir das klären lassen."

Kurz vor Frankfurt ist Ladewigs Kopf wieder bei der Normalfarbe angekommen. Die Verspätung ist aufgeholt. In Göttingen muss der Zug sogar kurz vor dem Bahnhof stoppen, weil er zu früh ist. Locomore steuert bewusst Universitätsstädte an und Bahnhöfe, an denen die Fernzüge der DB vorbeifahren - wie etwa Berlin-Zoo.

Das Konzept geht auf, im Zug sitzen einige Studenten und der Geschäftsmann Godehard Wakenhut. "Alle Heidelberger fahren mit dem Auto nach Mannheim, um dort in den ICE zu steigen", sagt er. Die Tiefgarage koste ihn 18 Euro pro Tag, die könne er sich nun sparen, wenn er mit dem Locomore wieder direkt nach Frankfurt, Hannover und Berlin kommt.

Pünktlich um 13.32 Uhr fährt der Zug in Berlin-Lichtenberg ein. Eine Stunde später fährt er wieder zurück Richtung Stuttgart. Diese Verbindung fährt Locomore nun täglich. Wie lange? "Wir haben drei Monate", sagt Ladewig. Wenn die 500 Plätze bis dahin im Schnitt zur Hälfte belegt sind, will er 2017 auch Rügen, München und Köln ansteuern. Wenn nicht, ist das bunte Abenteuer zu Ende.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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