Auswärtiges Amt:Was die neuen Reisehinweise für Türkei-Urlauber bedeuten

  • Das Auswärtige Amt rät allen Türkei-Reisenden ab sofort zu "erhöhter Vorsicht".
  • Das stellt eine deutliche Verschärfung der bisherigen Hinweise für das Land dar.
  • Die höchste Eskalationsstufe, die Reisewarnung, wird aber bislang nicht ausgesprochen. Entsprechend haben Touristen kein automatisches Anrecht auf kostenlose Stornierungen.

Von Irene Helmes und Monika Maier-Albang

Die Bundesregierung sieht davon ab, eine Reisewarnung für die Türkei auszusprechen. Außenminister Sigmar Gabriel hat allerdings mit der Begründung, dass mittlerweile offenbar auch "völlig unbescholtene deutsche Staatsbürger" in der Türkei in Schwierigkeiten geraten können, eine Verschärfung der Reise- und Sicherheitshinweise bekannt gegeben.

Auf der Website des Auswärtigen Amts (AA) erschienen parallel zu Gabriels Pressekonferenz in Berlin die aktualisierten Hinweise. Darin heißt es unter anderem: "Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten und empfohlen, sich auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft einzutragen." (Die Website zur Erfassung Deutscher im Ausland findet sich hier.)

Entscheidend an der Neuerung ist, dass nun auch von privaten Gründen die Rede ist. Damit sind also auch Urlauber ausdrücklich gemeint. Denn bis zu diesem Donnerstagmorgen galt die wesentlich eingeschränktere Formulierung: "Personen, die nicht zu touristischen Zwecken in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten (...)" Dass sich nun sogar Touristen bei Konsulaten in Listen eintragen lassen sollen, dürfte in der Praxis abschreckend auf Reiseentscheidungen wirken. Eine Folge, die die Bundesregierung allem Anschein nach bewusst in Kauf nimmt.

Jedermann könne im Land mittlerweile wie der verhaftete Menschenrechtler Peter Steudtner unter den Verdacht der Unterstützung von Terrororganisationen geraten, sagte Gabriel zur Begründung. Deswegen seien die Reisehinweise für die Türkei von einzelnen Personengruppen auf alle Deutschen ausgeweitet worden.

Dieser Schritt des Auswärtigen Amtes ist allerdings noch nicht die höchste Eskalationsstufe im Reisebereich: Letzter Schritt wäre eine Reisewarnung. Diese wird ausgesprochen, wenn davon auszugehen ist, dass akute Gefahr für Leib und Leben, auch von Urlaubern, droht. Das gilt in der Regel für Kriegs- und Konfliktstaaten. Auch Deutsche, die in dem betroffenen Land dauerhaft leben, werden dann gegebenenfalls zur Ausreise aufgefordert.

Ein solcher Schritt hätte also weitreichende Konsequenzen - für Urlauber wie für Reiseunternehmen. Eine Reisewarnung mitten im Sommer, zur Haupturlaubszeit: "Da sprechen massive wirtschaftliche Interessen dagegen", sagt deshalb Professor Ernst Führich, Experte für Reiserecht, zur SZ.

Reisehinweise vs. Reisewarnung - und die Konsequenzen

Wichtig für Pauschalurlauber: Erst wenn das AA in dieser Form ausdrücklich warnt, holen deutsche Reiseveranstalter ihre vor Ort befindlichen Gäste auf jeden Fall zurück und gebuchte Reisen dürfen gebührenfrei storniert werden. Auf die Veranstalter kämen dann nicht nur hohe Rückerstattungskosten zu - sie müssen Führich zufolge auch ihre Hotel-Partner entschädigen.

Kunden, die schon am Urlaubsort sind und aufgrund einer Reisewarnung ihren Urlaub abbrechen, haben einen Anspruch darauf, dass der Veranstalter die Rückreise organisiert. Entstehen dabei Mehrkosten, muss der Veranstalter diese zur Hälfte tragen, die andere Hälfte bleibt beim Kunden. Aus Kulanzgründen verzichten die Reiseveranstalter jedoch häufig darauf, das Geld einzufordern. Kündigt der Reisende von sich aus, muss er allerdings ab dem Zeitpunkt der Kündigung bis zum Rücktransport die Kosten für die Übernachtung selbst tragen. Rät das AA lediglich von einem Reiseziel ab, wie nun der Fall, ist die Lage nicht so eindeutig. Für eine kostenlose Stornierung "ohne eine Reisewarnung muss ein Urlauber selbst beweisen, dass er in der Türkei persönlich erheblich gefährdet ist", so Experte Führich.

Aktuell gibt es Reisewarnungen für Afghanistan, Libyen, Syrien, Irak, Jemen und Somalia sowie den Gaza-Streifen in den Palästinensischen Gebieten. Für manche Länder gibt es zudem Teilreisewarnungen. Dann gelten dort nur bestimmte Regionen als lebensgefährlich, etwa der nördliche Sinai in Ägypten. Statt ausdrücklich davor zu warnen, kann das AA von Reisen in Länder oder Regionen abraten oder dringend abraten. Letzteres galt zuletzt etwa in der Türkei für die Grenzgebiete zu Syrien und zum Irak.

Die Türkei zwischen Last-Minute-Geschäft, leeren Hotels und Boykott-Debatte

Das Reisegeschäft in der Türkei erlebt seit geraumer Zeit eine fast surreale Gleichzeitigkeit von politischen Spannungen und massivem Werben um Touristen. Bei der weltgrößten Reisemesse ITB im März in Berlin etwa präsentierte sich die Türkei mit der größten Halle.

Vor zwei Jahren reisten noch 5,6 Millionen Deutsche in die Türkei, 2016 noch vier Millionen. Ein herber Verlust, andererseits wies der Tourismusforscher Professor Martin Lohmann vor Kurzem bei SZ.de darauf hin, die Türkei sei im vergangenen Jahr "immer noch das zweitwichtigste Mittelmeerreiseziel der Deutschen" gewesen und ein kompletter Einbruch sei weiterhin nicht in Sicht.

Viele Hotels bieten mittlerweile Kampfpreise, wie eine Woche All-Inclusive-Urlaub im Fünf-Sterne-Hotel für wenige Hundert Euro. Einige Reiseveranstalter hatten zuletzt dementsprechend von Aufwind im Last-Minute-Geschäft der Türkei berichtet - darunter Tui, DER Touristik und Thomas Cook. FTI hatte sogar ein zweistelliges Gästeplus im Vergleich zu 2016 gemeldet.

Jedoch zeigen sich Urlauber extrem unterschiedlich in ihren Entscheidungen. Veranstalter wie Studiosus, die Bildungsreisen anbieten, sprechen davon, dass das Geschäft mit der Türkei seit geraumer Zeit extrem eingebrochen sei - ihre Kunden seien zunehmend abgeschreckt von den Entwicklungen im Land.

Auch ein bewusster Boykott von Reisen in die Türkei aus politischen Gründen war zuletzt ins Gespräch gebracht worden. Etwa vor dem Verfassungsreferendum im Frühjahr durch die Linken-Politikerin Katja Kipping und erst kürzlich vom Heute-Show-Moderator Oliver Welke. Umgekehrt wurde auch die vehemente Forderung laut, gerade in solchen Zeiten Andersdenkende im Land nicht von der Welt abzuschneiden, wie etwa der Historiker Timothy Garton Ash in einem Gastbeitrag in der SZ argumentiert hat. Der Präsident des Deutschen Reiseverbands, Norbert Fiebig, betonte im Frühjahr: "Ein Boykott eines Landes schadet meist nicht der Regierung, sondern vor allem den Menschen, die ihren Lebensunterhalt aus dem Tourismus beziehen."

Der Deutsche Reiseverband DRV hat bereits auf den Schritt des Auswärtigen Amtes reagiert. In der Stellungnahme heißt es wörtlich: "Das Auswärtige Amt hat aber keine Neubewertung der Sicherheitslage vorgenommen, so dass auch keine Verschärfung der Reisehinweise und keine Reisewarnung für das Land vorgenommen wurde. Die Reisen für die Urlauber finden wie gebucht statt." Es gelten demnach weiterhin die regulären Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie Storno- und Umbuchungsgebühren. Die Veranstalter würden jedoch ihre Gäste, die sich in der Türkei aufhalten, über die Anpassung der Reisehinweise informieren. Der Vorstand der nordrhein-westfälischen Verbraucherzentrale, Wolfgang Schuldzinski, forderte zu Kulanz auf: "Wer angesichts dieser aktuellen Entwicklung von einer bereits gebuchten Reise zurücktreten will, sollte bei Veranstaltern auf Verständnis treffen."

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