Balkan-Reisen:Auf Eselspfaden durch Südalbanien

Albanien

Blick über die bildschöne Bucht Gjipe

(Foto: Florian Sanktjohanser)

Durch die Küstengebirge sollen bald viele zahlungskräftige Wanderer streifen. Nur: Die Bewohner der Bergdörfer sind zu gastfreundlich, um Geld anzunehmen. Dafür sind die Hunde umso unfreundlicher.

Von Florian Sanktjohanser

Der Schäfer rennt uns aufgeregt entgegen und winkt mit beiden Händen. "Ihr könnt hier nicht durch", ruft er in holprigem Englisch, "wir haben sieben Hunde. Wuff, wuff!" Der Mann versucht, seine wild kläffenden Köter zu bändigen. Wir bedanken uns und drehen lieber mal um - drei Minuten, nachdem unsere Tour am Llogara-Pass begonnen hat.

Zugegeben, Wandern in Albanien klingt per se gewagt. Aber mit ganz so viel Abenteuer hätten wir hier, an diesem Gebirgspass im Süden des Landes, doch nicht gerechnet. An der Straße reihen sich Ausflugsrestaurants aneinander, von ihren Terrassen blickt man hinab auf das Meer, auf Hotels, Sandstrände, weite Buchten. Also auf all das, was die meisten Gäste hier suchen.

Wer nach Südalbanien reist, will baden und antike Ruinen anschauen. Butrint bietet das volle Welterbe-Programm vom griechischen Theater über das römische Aquädukt bis zum venezianischen Kastell und liegt noch hübsch an einer Lagune. In Saranda lassen sich die Gäste der Luxushotels im Taxi-Boot zu den weißen Stränden der Ksamil-Inselchen chauffieren. Und in Jal und Dhërmi feiern die Clubs von Tirana mit ihren Stammgästen und DJs, wenn es zu heiß wird in der Hauptstadt. Auf eine Idee allerdings kämen die meisten Touristen im Süden bisher nicht: zum Spaß durch die Berge hinter der Küste zu latschen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, kurz GIZ, will das nun ändern.

Balkan-Reisen: SZ-Karte

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"Unser Projekt hat zwei Ziele", sagt Dhurata Gazulli: "Wir wollen die Touristensaison verlängern und das Einkommen für die Dörfer erhöhen." Dhurata Gazulli, 32 Jahre alt, leitet seit eineinhalb Jahren das GIZ-Projekt im Süden Albaniens. Ihr Job ist es, ein Wunder zu wiederholen. In Theth, einem abgelegenen Bergdorf im Norden des Landes, gab die GIZ 2005 einigen Familien Kredite, um in ihren Häusern einfache Gästezimmer einzurichten. Zugleich markierte man einen Fernwanderweg, den "Peaks of the Balkans", der 192 Kilometer weit durch Albanien, Kosovo und Montenegro führt. Ein durchschlagender Erfolg: Die Zahl der Gäste in Theth explodierte von 300 im Jahr 2006 auf 16 000 im Jahr 2015. Lebten zuvor nur noch zehn Familien im Tal, sind es nun 30. Und fast jede hat ein Gästehaus und profitiert vom Boom.

In den Dörfern des Ceraunischen Gebirges im Süden muss die GIZ nun wieder Grundlagenarbeit leisten. Denn bis vor Kurzem sei es hier so gewesen, erzählt Gazulli: "Wenn Touristen nach dem Preis fragten, winkten die Gastgeber ab. Nein, nein, Sie sind unser Gast." Denn im Kanun, dem uralten Gewohnheitsrecht, steht: Das Haus gehört Gott und dem Gast. "Das muss sich ändern", sagt Gazulli. "Es muss ein Geschäft werden."

Kaum sind die Gäste da, legt der Gesangsverein los. Monoton und betörend

In Pilur haben sie diese Lektion schon gelernt. Als wir in dem winzigen Bergdorf ankommen, haben sich Frauen und Männer in bestickten Trachten vor einem Steinhaus aufgestellt. Der Gesangsverein legt gleich los, in einem wiederkehrenden Wechselspiel zwischen Solistin und vielstimmigem Chor, monoton und betörend schön. Iso-Polyphonie heißt diese Art des Schäfergesangs, sie ist so alt, dass die Weltkulturorganisation Unesco sie zum immateriellen Welterbe erhoben hat. Und Pilur sei das Dorf der Polyphonie, erklärt der Sohn des Hauses, der bisher die wenigen Gäste im Geländewagen hierher gekarrt hat. Er hat den Wert des Unesco-Titels schnell verstanden.

Das Steinhaus seiner Eltern heißt nun Vila Çipa und ist die erste Pension im Dorf. Die Çipas sind eine der zehn Familien in der Region, die die GIZ für ihr Projekt ausgewählt hat. Sie bekamen die grundlegende Ausstattung wie Küchenzubehör oder Bettwäsche für ihre Gäste und wurden in den Grundlagen des Tourismus geschult: wie man Gäste begrüßt, welche Hygiene westliche Besucher erwarten, was im Schlafzimmer stehen muss. "Wenn die Touristen nicht zufrieden sind, ist alles vergeblich", sagt Gazulli.

Zuerst müssen die Gäste allerdings einen Grund haben, nach Pilur zu kommen. Denn viel ist in den Bergnestern nicht los, um es charmant auszudrücken. In Dhërmi strömen alte, schwarz gekleidete Frauen aus der griechisch-orthodoxen Kirche, ansonsten ist kaum jemand zu sehen in den Gassen zwischen bröckelnden Steinhäusern. Um Piratenangriffen zu entgehen, bauten die Menschen sie einst hoch oben in die Hänge. Und in den Zeiten Enver Hodschas hatten sie ohnehin keine andere Wahl: Der paranoide Diktator hatte seinen Untertanen verboten, direkt an der Küste zu leben.

Die Guides suchen einen Ausweg - vergeblich

Als Hodscha und ein paar Jahre später sein abgeschottetes sozialistisches Reich starben, begann Anfang der 1990er-Jahre der Exodus. Die Jungen zogen hinunter ans Meer, um in den neu gebauten Hotels und Restaurants zu arbeiten. Oder gleich nach Griechenland. Rund eine Million Albaner leben heute in der Diaspora. "Zu Hodschas Zeiten hatte unser Dorf 1000 Einwohner", erzählt ein Alter in der Dorfkneipe von Qeparo. "Jetzt sind es noch 100."

Der Wandertourismus soll die Jungen nun zurück in die Bergdörfer locken. Und er soll ihnen zeigen, dass es eine Alternative zum Massentourismus in Hotelkästen gibt, sagt Dhurata Gazulli. Die Entwicklungshelfer setzen vor allem auf jene, die bereits in Griechenland gearbeitet haben und Englisch sprechen. Während der jüngsten Finanzkrise sind viele von ihnen zurückgekehrt. Sie sollen zu Köchen, Kellnern oder Wanderführern ausgebildet werden. Zumindest was die Wanderführer angeht, muss man sagen: Es gibt Bedarf.

Wir sind gerade in Kudhës gestartet und eine halbe Stunde vorbei an Olivenbäumen und Oleander spaziert, als der Weg an einem Metalltor endet. Die Guides suchen einen Ausweg - vergeblich. Wir müssen umdrehen. Zum Glück steht ein freundlicher Alter hinter seiner Gartenmauer und sagt uns, wie wir nach Qeparo gehen müssen. "Wir wollten eine Abkürzung nehmen", sagt Ricardo Fahrig entschuldigend. Der 28-Jährige ist ein Pionier, er hat in Albanien eine Agentur für Wanderreisen gegründet. Als Deutscher. Eigentlich wollte er mit seiner Freundin über Land nach Japan fahren. Nach einem halben Jahr hatten sie es bis Montenegro geschafft. Dort fragte ihn ein Reiseveranstalter, ob er Wandergruppen in Albanien herumführen möchte. Fahrig machte seine erste Tour. Und blieb.

Für die GIZ half er nun mit, in einem ersten Schritt elf Wanderwege zu markieren. In einer Broschüre bekamen sie eingängige Namen wie "Die vergessene Karawanen-Route" oder "Der Weg der Partisanen", sie sind auf Englisch beschrieben und mit Karten illustriert. Eine weitere Broschüre schlägt zehn Mountainbike-Routen vor. Bald soll es eine Website und eine App geben. Und bis zur nächsten Saison sollen Schilder aufgestellt werden. "Es gibt noch viel mehr Wege hier, die nicht markiert sind", sagt Fahrig, alte Eselspfade zwischen den Dörfern. "Die Entscheidung, welche ins Programm aufgenommen werden, war politisch. Die Routen mussten deshalb durch möglichst viele Dörfer gelegt werden."

Ein französischer Architekt hat alte Häuser renoviert. Der Blick reicht über Sand und Meer

Geschadet hat das nicht. Wir wandern über terrassierte Hochweiden, auf denen Ziegen grasen, durch Farne und Olivenhaine. Wir radeln von Pilur in weiten Serpentinen hinab zum Strand. Und wir steigen eine Schlucht hinab zur bildschönen Bucht Gjipe, vorbei an Hodscha-Bunkern und duftenden Büschen, immer mit Blick auf Strand und Meer.

Ein französischer Architekt hat das Potenzial erkannt, als er vor einigen Jahren ins alte Qeparo kam. Er sah die halb verfallenen Häuser und den blühenden Oleander, und er sah das Panorama, Korfu und drei Inselchen auf der einen Seite, die Villa eines Osmanen-Paschas auf der anderen Seite. Sehr morbide, sehr fotogen. Der Architekt kaufte drei Häuser, renovierte sie und betreibt sie nun als Pensionen.

Ob ihm andere folgen, bleibt abzuwarten. Keine Frage, die Küstenberge sind schön, ihre Bewohner gastfreundlich, das Essen gut und günstig. Aber ambitionierten Wanderern könnten die Eselspfade nach ein paar Tagen zu wenig sein. Mit einer Ausnahme: der Traverse über den Hauptkamm des Küstengebirges. Da wollen wir hinauf.

Fahrig gibt uns sein GPS-Gerät mit und erklärt, wo wir auf dem Llogara-Pass in den Wald einsteigen sollen. Was er erst später erzählen wird: Dass die Guides mit ihren Gästen üben, eine Phalanx aus Wanderstöcken zu bilden. Und dass sie immer Pfefferspray und elektrische Hochfrequenz-Geräte einpacken. Wegen der illyrischen Schäferhunde.

Wir haben nichts von alledem dabei und gehen trotzdem weiter, nach dem erwähnten Umweg aus Vernunftgründen. Es geht durch Baumgerippe, hohes Gras und jahrhundertealte Panzerkiefern aufwärts, durch einen Urwald, der seit 50 Jahren als Nationalpark geschützt ist. Bald wird das Brummen der Passstraße leiser, und man kommt aus dem Wald auf einen Bergrücken, der steil und direkt zum Gipfel hinauf führt. Am Ende ein bisschen Kraxeln über Geröll, und wir stehen auf dem Qorre, 2018 Meter über dem blaugescheckten Meer. Zwischen Wolkenfetzen spitzen die nächsten Gipfel hervor, die Ziele reizen gewaltig. Aber den Kamm zu überschreiten, würde zwei bis drei Tage dauern, und wir haben weder ein Zelt noch genug Wasser dabei. Nun gut, ein Grund mehr, zurückzukommen nach Albanien. Dann mit Pfefferspray.

Reiseinformationen

Anreise: Mehrere Fluglinien fliegen nach Tirana, z. B. Austrian Airlines, hin und zurück ab 200 Euro. Im Sommer fahren täglich Busse von dort nach Dhërmi. Alternativ kann man nach Korfu fliegen, eine Fähre nach Saranda und einen Bus nach Dhërmi nehmen.

Reisearrangements: Verschiedene Veranstalter haben den Süden Albaniens im Programm, z. B. zehn Tage mit dem Fahrrad ca. 1400 Euro bei www.biketeam-radreisen.de, oder für 2017 in Planung bei Renatour, Womanfairtravel, Nomad Reisen, Hauser Exkursionen oder Vai e Via.

Weitere Auskünfte: www.albania.al; Wander- und Montainbikeführer zum Herunterladen: https://issuu.com/southcoastal; Website zum Wandern im Süden Albaniens: http://south.al; deutschsprachiger Wander-Reiseveranstalter: http://zbulo.org

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