Wahl in Berlin:AfD-Abgeordneter schmäht Flüchtlinge als "widerliches Gewürm"

Kay Nerstheimer hat in Berlin ein Direktmandat gewonnen. Vorher hat er auf Facebook menschenverachtende Aussagen verbreitet und die NS-Zeit verherrlicht.

Von Oliver Das Gupta

Für Kay Nerstheimer ist die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ein großartiger Erfolg. Im Wahlkreis Lichtenberg 1 holte er mit 26 Prozent das Direktmandat. Für fünf Jahre kann Nerstheimer nun Politik im Landesparlament machen - wenn er denn durchhält. Denn der füllige Mann mit dem weißen Bürstenhaarschnitt ist auch in seiner Partei nicht unumstritten.

Er war noch vor wenigen Jahren verbandelt mit der German Defence League, die der Bremer Verfassungsschutz 2014 als rechtsextrem einstufte. Das gibt auch manchen in der Alternative für Deutschland zu denken. Der Berliner Spitzenkandidat Georg Pazderski sagte am Tag nach der Wahl, Nerstheimer habe seine Aktivitäten für die German Defence League schon beendet gehabt, als die Gruppe vom Bremer Verfassungsschutz ins Visier genommen worden sei. Der Fall sei aber für die AfD noch nicht abgeschlossen, ergänzte Pazderski. "Sie können sicher sein, dass wir das so untersuchen werden, dass wir auch eine vernünftige und gute Lösung finden werden." Ob auch ein Parteiausschlussverfahren im Gange ist, wollte Parteichefin Frauke Petry nicht sagen.

Ahnen die AfD-Oberen schon, dass es wegen der Causa Nerstheimer noch mehr Ärger geben könnte?

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat der Neu-Parlamentarier nämlich über Jahre auf Facebook menschenverachtende Aussagen gepostet - und auch solche, die NS-Verbrechen verharmlosen oder die NS-Zeit verherrlichen.

Ein Überblick über Nerstheimers Äußerungen auf Facebook (Rechtschreibfehler stammen aus den Originaltexten):

  • Beschönigung von NS-Massaker. Am 29. Juli 2013 nimmt Nerstheimer den verurteilten Nazi-Verbrecher Erich Priebke in Schutz. Kurz bevor der Altnazi 100-jährig stirbt, schwadroniert Nerstheimer darüber, dass "Partisanen" nicht unter dem Schutz des Kriegsrechts stünden. "Damit sind die Erschießungen rechtmäßig", schreibt der AfD-Mann in Bezug auf das Massaker, das sich 1944 in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom zugetragen hatte. Allerdings töteten die Deutschen damals keine Partisanen. SS-Offizier Priebke ließ damals 335 Zivilisten ermorden, darunter mehr als 70 Juden. Priebke erhielt später eine lebenslange Freiheitsstrafe in Rom.
  • Glorifizierung der Nazi-Zeit. Nerstheimer kommentiert immer wieder Fotos, die während der Hitler-Diktatur entstanden sind. Beim Blick auf ein Bild von Wehrmachts-Wachsoldaten frohlockt er: "Jeder einzelne eine Zierde des Volkes". Nerstheimer macht keinen Hehl aus seiner Vorliebe für Waffen. Bei einem Foto von einem Tiger-Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg schreibt er: "Meiner steht im Maßstab 1:16, voll funktionsfähig, hinter mir. Da stand noch zurecht Made in Germany drauf."
  • Geschichtsrevisionismus und verklausulierter Antisemitismus. In der jüngeren Vergangenheit hat Nerstheimer geschichtsrevisionistische Beiträge verbreitet. Am 9. Juli 2016 verlinkt er ein Video zu einem einschlägigen Vortrag. Titel: "Alles eine LÜGE! - die echten Kriegsursachen von 1939". Schon am Tag vorher hat er einen Beitrag geteilt, in dem das in der rechtsnationalen und antisemitischen Szene verbreitete Geraune von einer (jüdischen) Verschwörung gegen Deutschland aufgegriffen wird: "Die Kräfte, die den 1. Weltkrieg verursachten, haben auch den 2. verursacht", heißt es da. Und: "Nun sind sie im Begriff, den 3. zu verursachen und immer wieder finden sie Idioten, die ihnen gehorchen". Am 7. Januar 2016 schreibt Nerstheimer: "Sind die Polithuren der BRD Treuhandgesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main völlig Gaga". Für den AfD-Politiker wird demnach die Bundesrepulik aus der hessischen Bankenstadt gesteuert.

"Bimbos", "Parasiten", "widerliches Gewürm"

Nerstheimer, Jahrgang 1964, zieht bei Facebook auch über Ausländer und Politiker anderer Parteien her (Publikationsjahr der Postings in Klammern):

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nennt er "Hochverräter" (2013). Auch auf ein Posting des Grünen-Abgeordneten Volker Beck, in dem dieser von Hasskommentaren gegen ihn schreibt, reagiert Nerstheimer mit einem homophoben Kommentar. Beck war 2010 auf einer Schwulen-Kundgebung in Moskau von Sicherheitsbeamten angegangen worden. Darauf spielt der AfD-Mann an, wenn er schreibt, "die Dresche die er (Beck) in Moskau bekommen hat, hat ihm bestimmt gefallen" (2015).

Nerstheimer bedient sich immer wieder der Sprache des Dritten Reiches. So sind Flüchtlinge aus Syrien "einfach widerliches Gewürm" (2015) und Schwarze "Bimbos" (2013). Asylbewerber hält er für "Parasiten, die sich von den Lebenssäften des deutschen Volkes ernähren" (2016).

Nerstheimers Postings legen nahe, dass er in der DDR bei der Nationalen Volksarmee war und später bei der Bundeswehr. Uniformen der ostdeutschen Truppe scheinen ihm allerdings besser gefallen zu haben als der "schwule Kram" der westdeutschen Streitkräfte (2013). Der Waffenfreund merkt unter einem Bild der Revolution von 1848 an: "Da die freien Bürger damals noch bewaffnet waren, konnten sie sich auch gegen den Staat auflehnen. Heute sind die Sklaven wehrlos!" (2015).

Hinter dem "lieben Parteifreund" Höcke

Dass er Gewalt für die Durchsetzung seiner politischen Ansichten nicht ausschließt, wird in einer Äußerung von 2012 deutlich. "Jeder der unsere Gastfreundschaft und Großzügigkeit missbraucht, ist hier nicht willkommen und soll gehen, freiwillig so lange es noch geht", schreibt Nerstheimer da. Es werde der Punkt kommen, vielleicht ein Anschlag oder brennende Vorstädte, an dem das Fass überlaufe. Dann werde es "zu ethnischen Säuberungen kommen in der westlichen Welt".

Unter einem Foto, das wohl während der Nazi-Zeit entstand und paar Dutzend Jungen in Lederhosen zeigt, schreibt Nerstheimer im November 2013 ungelenk in englischer Sprache. "The german people wake up more" und schwadroniert davon, dass die "deutsche Rache beginnt" ("german revenge").

Von den AfD-Oberen scheint Kay Nerstheimer besonders den Thüringer Landeschef Björn Höcke zu verehren. "Wie ein Mann", stehe er zusammen mit anderen AfD-Gesinnungsgenossen "hinter Dir lieber Parteifreund", schreibt Nerstheimer am 7. Januar 2016. Und dann stimmt er die erste Strophe eines Liedes der Panzertruppe an, das zu Wehrmachtszeiten entstanden ist.

Was sagt Nerstheimer heute zu seinen Aussagen? Das blieb zunächst offen. Die SZ schickte der Geschäftsstelle der AfD Berlin am Dienstagmittag eine für Nerstheimer bestimmte Anfrage. Ein Mitarbeiter antwortete kurz darauf, er habe sie dem Parteifreund aus Lichtenberg weitergeleitet. Dieser sei derzeit aber wegen einer Vielzahl an Medienanfragen überlastet, er könne nicht sagen, ob Nerstheimer die Anfrage beantworte. Eine Antwort Nerstheimers auf die Anfrage blieb bis zum späten Dienstagnachmittag aus.

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