Wahl in Berlin:AfD - Zwischenschritt zu einem "viel, viel größeren Ziel"

Die AfD erreicht aus dem Stand 14,2 Prozent und wird damit fünftstärkste Kraft im künftigen Sechs-Parteien-Parlament. Im Osten Berlins gewinnt die rechtspopulistische Partei fünf Direktmandate.

Analyse von Gianna Niewel, Berlin

Es ist stickig im Ratskeller Charlottenburg, die Wände sind holzvertäfelt, über Kerzenleuchter tropft Wachs, irgendjemand hat einen Turm aus blauen und weißen Luftballons aufgestellt. Um 17.15 Uhr ruft ein älterer Herr im Anzug "15 Prozent plus", ein paar Menschen klatschen. AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski schüttelt Hände und strahlt, als sei das schon das Endergebnis.

In der Nacht steht fest, dass es so viele Prozente dann doch nicht waren. Aber zweistellig wird es schon. Die AfD kommt auf gut 14,2 Prozent der Stimmen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, am besten schnitt sie im Osten der Stadt ab. Außerdem hat sie fünf Direktmandate geholt.

Zum ersten Mal fährt die AfD mit diesem Ergebnis auch in einem Stadtstaat zweistellige Zahlen ein. Es ist weniger als bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, bei der die AfD vor zwei Wochen zweitstärkste Kraft wurde, vor der CDU. Aber es ist viel in einer Stadt wie Berlin, die sich offen und weltgewandt gibt.

Beim Thema Flüchtlinge lässt Pazderski keinen Zweifel

"Was wir heute Abend erreicht haben, ist einmalig für Berlin - von null auf zweistellig", sagt Georg Pazderski, der Spitzenkandidat. Pazderski, Sohn einer deutschen Mutter und eines polnischen Vaters, war 41 Jahre bei der Bundeswehr, zuletzt als Oberst im Generalstabsdienst. In der Berliner Landespolitik ist der 63-Jährige erst seit Kurzem aktiv, aber er sitzt schon im AfD-Bundesvorstand. Innerhalb der Partei vertritt er bisher den nationalkonservativen Flügel, gibt sich aber gemäßigt.

Beim Thema Flüchtlinge allerdings lässt er keinen Zweifel: Im Wahlkampf hatte Pazderski mehrmals gesagt, dass Deutschland "diese Leute" darauf vorbereiten solle, schnell in ihre Heimat zurückzukehren - unabhängig davon, wie die Lage dort ist.

Im Ratskeller stößt ein Mann mit seiner Frau an. Die Frau, blonde Haare, goldene Ohrringe, wedelt mit ihrem Fächer und lacht. Die Partei musste in dieses Restaurant ausweichen, das zu klein ist für all die Mitglieder, die Kameras, die Fotografen, weil die AfD in mehreren größeren Sälen und Hotels abgewiesen worden war. Der Stimmung tut das keinen Abbruch.

"Die große Koalition ist abgewählt!", ruft Pazderski. "Zwar noch nicht im Bund, aber das kommt nächstes Jahr." Der Regierende Bürgermeister Michael Müller sei abgestraft worden - für seine Unfähigkeit. Und die hohe Wahlbeteiligung sei allein Verdienst der AfD. "Wir schaffen es, dass die Bürger wieder Politik mitbestimmen wollen", sagt er. "Wichtig ist, dass die Demokratie wieder lebt." Und das Berliner Ergebnis? "Es ist nur ein Zwischenschritt zu einem viel, viel größeren Ziel."

Auf lokaler Ebene könnte die AfD nun sogar Regierungsverantwortung übernehmen - erstmals in einer deutschen Stadt. Denn die Berliner wählten am Sonntag nicht nur das neue Abgeordnetenhaus, sondern auch zwölf Bezirksverordnetenversammlungen. Diese Verordneten wählen innerhalb eines Bezirks wiederum den Bürgermeister und vier Stadträte. In der Doppelstruktur der Berliner Verwaltung sind die Bezirksämter mächtige Institutionen, die Bezirke sind groß. In Pankow leben 390 000 Menschen, mehr als in Bochum oder Wuppertal.

Die AfD lebt vom Image des Underdogs

Während die Bezirksbürgermeister von der stärksten Fraktion oder einer Gemeinschaft aus mehreren Fraktionen bestimmt werden, richtet sich die Besetzung der Stadtratsposten nach Proporz: Je mehr Sitze eine Partei in der BVV bekommt, desto mehr der vier Stadträte im Bezirk darf sie bestimmen. "Berlin wird ein Aushängeschild für die Regierungs- und Leistungsfähigkeit der AfD", kündigte Pazderski an.

In den anderen Parteien würden einige genau das gern verhindern, und auch Regierungschef Müller überlegte bereits laut, wie man die AfD von den Bezirksämtern fernhalten könnte. Einige Vorschläge zielen darauf, den Rechtspopulisten nur unwichtige Stadtratsposten zuzuweisen. Manche liebäugeln auch mit einer Wahlverweigerung. Die AfD könnte eine Blockade eher stärken. Sie lebt gut vom Image des Underdogs, der von den anderen Parteien ausgegrenzt wird.

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