US-Verteidigungsminister Mattis:Der letzte Verbündete

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Friends like you, Jim: Die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen mit US-Verteidigungsminister Mattis. (Foto: AFP)

Verteidigungsministerin von der Leyen zelebriert mit US-Amtskollege Mattis in Washington ein Stück deutsch-amerikanische Freundschaft. Doch der anstehende Nato-Gipfel steht im Zeichen großer Differenzen.

Von Joachim Käppner, Washington

Wäre die Welt noch so, wie sie vor gar nicht langer Zeit war, dann gäbe es manchen Anlass, sich darüber zu wundern, dass gerade dieser Mann der Hoffnungsträger der freien Welt sein soll. Der ist gerade aus der Tür des Pentagon die Treppen hinuntergegangen und tauscht nun unter einer brennenden Sommersonne mit Ursula von der Leyen (CDU) Küsschen auf die Wangen aus, eine für ihn erkennbar nicht alltägliche Form der Begrüßung. US-Verteidigungsminister James Norman Mattis ist aufgeräumter Stimmung und zupft einen Begleitoffizier der deutschen Kollegin lässig an der Ausgehuniform: "You look good, young man!"

Der 67-Jährige ist ehemaliger General der Marines und Veteran der Kriege in Afghanistan und im Irak 1991 und ab 2003; sein Spitzname lautet "Mad Dog", wegen seines Muts, aber auch wegen brachialer Sprüche über den Krieg und das Töten. Mattis hat Kiefer wie ein Nussknacker, sein Profil ähnelt Büsten römischer Feldherren. Äußerlich wirkt er wie die Inkarnation eines Hardliners und Falken, und doch ist er es, auf dem die Hoffnungen vieler Nato-Partner ruhen und ganz gewiss die Ursula von der Leyens, die ihn verbal umarmt: "Es ist gut, Freunde an unserer Seite zu haben wie Sie, Jim."

Friends like you, Jim. Sie sind selten geworden im Washington der Trump-Höflinge und ihrer Administration, die vielen deutschen Gesprächspartnern wie ein Abgrund an Ahnungslosigkeit und Desinteresse an den Nato-Bündnispartnern erscheint. Die Deutschen, die Skandinavier, die Holländer gehören zu den Lieblingszielen des US-Präsidenten Donald Trump, wenn er auf Leute zeigen will, die angeblich auf Kosten und unter dem Schutzschirm der USA reich geworden sind, selber aber zu geizig seien, auch nur ihre eigenen Versprechungen einzuhalten, zum Beispiel das "Zwei-Prozent-Ziel". Genau das dürfte Trump den Verbündeten auf dem Nato-Gipfel am 10. und 11. Juli wieder vorhalten, unsicher ist nur das Ausmaß der Brutalität, mit dem er das tun dürfte.

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Das Problem für die Bundesregierung: Trump hat da einen Punkt. Deutschland hat die zwei Prozent selbst mitbeschlossen, auf dem Gipfel in Wales 2014, als die Nato, beunruhigt durch Moskaus Machtpolitik in der Ukraine, sich verpflichtete, die brachliegende Landesverteidigung wieder zu stärken und die Militärausgaben "Richtung zwei Prozent" des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Und davon sind die Deutschen mit derzeit fast 1,3 Prozent Lichtjahre entfernt. Sie wollen bis 2024 auf 1,5 Prozent kommen, "ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren", so von der Leyen, die sich zu Hause mit einem widerstrebenden Finanzminister auseinandersetzen muss.

Vor diesem Hintergrund kommt es am Mittwoch im Pentagon, an einer festlich gedeckten Kaffeetafel, auf der kleine Fahnen beider Länder stehen, zu einer fast wunderlichen Szene. Mattis macht der Ministerin keineswegs Vorhaltungen, im Gegenteil, er klingt beinahe, als habe sie ihm seine Ansprache persönlich verfasst. Man dürfe nicht vergessen, sagt er: "Die Deutschen sind der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan", sie führten die Nato-Schutzmission in Litauen, unterstützten die USA im Kampf gegen die Terrormiliz IS und gäben viel Geld für das Bündnis.

Ursula von der Leyen hätte das schöner nicht sagen können. Sie ist nach Washington gekommen, um außer Mattis auch Außenminister Mike Pompeo und dem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton eben diese Gegenrechnung zu präsentieren. Kein einfacher Job in einer Regierung, in der als oberste Leitlinie gilt: Der Präsident will . . . Es wäre übertrieben zu sagen, dass sie bei beiden Herren außer einem höflichem Lächeln positive Reaktionen auf ihre Zahlen gefunden hätte. Die zwei Prozent, sagt sie mit einiger Berechtigung, seien nur ein Richtwert; internen Nato-Berechnungen zufolge sei der deutsche Beitrag höher als die beinahe 1,3 Prozent von heute, dann nämlich, wenn man "cash, capabilities und contributions" einberechnet - also Zahlungen für die Nato, die Bereitstellung militärischer Fähigkeiten und übernommene Aufgaben wie die Führung der Nato-Mission im Norden Afghanistans. Mattis nickt zustimmend. Die Deutschen seien "on the right track", auf dem richtigen Gleis.

Beide Minister sind jenseits aller freundlichen Worte überzeugt, dass nur Kooperation die Differenzen ihrer Länder lösen kann und nicht die Konfrontation. Das ist die multilaterale Welt, in der sie beide aufgestiegen sind, Mattis kennt die Nato aus seiner Karriere bestens. Doch steht er unter wachsendem Druck aus dem Weißen Haus, er kann seine Linie auf Dauer nur halten, wenn die Verbündeten auch liefern und zu ihren Zusagen stehen.

Ohnehin ist es ein noch nicht enträtseltes Geheimnis, wie Mattis es schafft, sich Trumps Gunst zu erhalten und ihm fast als einziger dennoch zu widersprechen oder dezent das Gegenteil von dem zu tun, was der erratische Präsident nachts wieder in die Welt hinausgetwittert hat. Mattis ist der Architekt des Luftschlages gegen Syrien, mit dem die USA ihr Versprechen umsetzten, militärisch gegen den Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime zu intervenieren, aber ohne Assads Schutzmacht Russland in den Konflikt hineinzuziehen oder gar militärisch zu provozieren. Trump hat die Nato als "obsolet" bezeichnet, Mattis tut alles, um sie besser zu machen. Trump wollte Afghanistan sich selbst überlassen, Mattis überzeugte ihn, die US-Truppen dort zu lassen, weil ein Abzug Amerikas Sicherheit massiv gefährde.

Das Amt des Verteidigungsministers hat seit den Terroranschlägen von 9/11 enorm an Bedeutung gewonnen. Mattis nutzt diese Macht und überlässt Trump das Licht der Öffentlichkeit. Die New York Times hat vermutet, der Präsident respektiere ihn vor allem, weil Mattis einen strengen Codex der Werte verkörpere, der Trump, wie er selber wisse, so fehle. Es heißt, Mattis habe keinen Fernseher, er ist aber Besitzer einer Bibliothek mit Tausenden Bänden, er liest über Geschichte und Literatur, über den griechischen Weltkundigen Heredot ebenso wie über den General und Präsidenten Ulysses Grant, der im Amerikanischen Bürgerkrieg die Sklavenhalter des Südens schlug und ein bescheidener, sich und seiner Werte sicherer Mann war. Vielleicht ein Vorbild für Mattis und in jeder Hinsicht das Gegenteil des jetzigen Herrn im Weißen Haus.

Mattis und von der Leyen, die in der Tat ein herzlicher persönlicher Draht verbindet, inszenieren in Washington so etwas wie die heile transatlantische Welt von gestern, die ihre gemeinsamen Werte betont. Am Nachmittag besucht sie den amerikanischen Nationalfriedhof Arlington und sieht, wie sie sagt, "die Gräber so vieler junger Menschen, die auch dafür gefallen sind, dass wir heute in Freiheit leben".

Ganz frei von den Koalitionsquerelen zu Hause bleibt die Ministerin auch im fernen Washington nicht. Trump hat dazu ja auch per Twitter seine Meinung zur angeblichen Kriminalitätssteigerung in Deutschland durch die vielen Flüchtlinge kundgetan. Wenn sie warnt, sich "nicht hinter nationalen Gartenzäunen zu verstecken", nicht in eine Welt abzugleiten, in der jeder gegen jeden steht, sich gegen gehässige "Kommentare vom Spielfeldrand" verwahrt - dann ist es manchmal so, selbst vor der Kulisse des Weißen Hauses, als spreche Ursula von der Leyen nicht nur von Donald Trump, sondern auch von Horst Seehofer und der CSU.

© SZ vom 22.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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