US-Präsident über Putin:Was hinter Obamas Seitenhieben steckt

Lesezeit: 4 min

Russland sei nur eine "Regionalmacht", die "alleine steht", ätzt US-Präsident Obama. Sein Spott in der Krim-Krise soll den Egomanen Putin treffen, aber auch Eindruck schinden in der Heimat.

Eine Analyse von Matthias Kolb

Es war ein Seitenhieb, der Wladimir Putin beeindruckt haben dürfte. Bei einer Pressekonferenz in Den Haag bezeichnete US-Präsident Barack Obama Russland trocken als "Regionalmacht, die einige ihrer Nachbarn bedroht". Die Sticheleien dürften Putin Schmerzen bereiten. Der vom Sowjet-Geheimdienst KGB geschulte Ex-Agent will Russland schließlich seit seiner Rückkehr ins Präsidentenamt 2012 wieder als Supermacht auf der Weltbühne etablieren.

Obama legte in seiner sachlichen Art nach: Das Verhalten Moskaus sei nicht auf "Stärke, sondern auf Schwäche" zurückzuführen. Die völkerrechtswidrige Annektion der ukrainischen Halbinsel Krim zeige, dass Russland "weniger und nicht mehr Einfluss" habe als früher. Und dann setzte Obama noch einen drauf: Amerika selbst habe "erheblichen Einfluss" auf seine Nachbarn, aber das Land pflege nicht dort einzumarschieren, um starke und kooperative Beziehungen zu pflegen.

Obamas Botschaft an den Mann im Kreml ist klar: "Junge, überschätz dich nicht und leg dich nicht mit Amerika an. Wirtschaftlich und militärisch kannst du uns nicht das Wasser reichen."

Dabei klingt die Beschreibung Russlands als "Regionalmacht" nur beleidigend. Nüchtern betrachtet ist sie zutreffend. In einer 2012 veröffentlichten Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik heißt es: "Ein Staat kann als Regionalmacht definiert werden, wenn er zum einen über eine den Nachbarstaaten überlegene Ressourcenausstattung verfügt (materielle Faktoren) und zum anderen den außenpolitischen Anspruch erhebt, eine Führungs- oder Vormachtrolle in einer Region zu spielen (ideelle Faktoren)." Damit ist Moskaus Rolle im postsowjetischen Raum und sein Verhältnis zu den osteuropäischen Nachbarn gut beschrieben.

Obama kann auf Putins Kooperation schwer verzichten

Allerdings verfügt Russland über das zweitgrößte Arsenal an Nuklearwaffen weltweit und ist immer noch Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat. Insofern ist Obamas herablassende Wortwahl am Rande des Nukleargipfels in den Niederlanden nicht ohne Risiko. Zumal es für die Amerikaner nahezu unmöglich sein dürfte, ohne Moskau einen Nukleardeal mit Iran auszuhandeln, den Bürgerkrieg in Syrien langfristig zu stoppen oder auch den Abzug aus Afghanistan wie geplant bis Ende 2014 durchzuziehen. Wenn Putin der US-Armee die Transportrouten durch sein Riesenreich sperrt, wird dies extrem teuer und gefährlich: Alternative Strecken führen durch Pakistan, wo die USA mit Terroranschlägen rechnen müssten.

Bislang scheint es, als würde die diplomatische Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washington auf den "nicht-ukrainischen" Feldern normal weitergehen. Es ist auch anzunehmen, dass der Machtmensch Putin nicht sonderlich überrascht war, als Obama vor seiner Grundsatzrede in einem Brüsseler Kulturzentrum noch einmal Härte und Stärke zeigen wollte. Bei der Ankunft in der belgischen Hauptstadt legte er später noch mal nach: "Russland steht alleine" auf der Weltbühne - wegen seiner Aktionen. Gerade die Polen, Schweden, Briten und Balten, die Obama zu härterem Vorgehen während und nach der Krim-Krise aufgefordert hatten, werden seine Worte wohlwollend zur Kenntnis genommen haben.

Zugleich richtet sich Obamas "Russland ist nur Regionalmacht"-Spruch auch an die republikanische Opposition in den USA. Die bezeichnet den Demokraten Obama seit Wochen als "Schwächling", der von Putin vorgeführt werde. Obamas zögerliches Handeln führe dazu, dass die Welt den Respekt vor den USA verliere. Putin sei ein eiskalter Stratege, der in der Weltpolitik agiere wie beim Brettspiel "Risiko". Obama lebe hingegen in einem "Candyland", also in einer zuckersüßen Welt, in der sich durch schöne Worte alle Probleme lösen ließen, ätzt etwa der konservative Analyst William Imboden in einem typischen Meinungsbeitrag für Foreign Policy.

Für John McCain ist Obama "der naivste Präsident aller Zeiten" und auch Senatoren wie Rand Paul, Ted Cruz und Marco Rubio, die 2016 fürs Weiße Haus kandidieren wollen, überbieten sich mit Kritik an Obamas Außenpolitik. Was sie konkret anders machen würden, verraten die ehrgeizigen Republikaner nicht: Sie nutzen lediglich die Gelegenheit, dem an der konservativen Basis verhassten Präsidenten eins mitzugeben und sich voneinander abzugrenzen. Beobachter führen das auch auf den Kompromiss zurück, den Demokraten und Republikaner im Haushaltsstreit gefunden haben. Seitdem gibt es wenige Themen, mit denen sich die potentiellen Kandidaten profilieren können. Auch deshalb wenden sie sich der Außenpolitik zu.

Etwas anders gelagert ist der Fall Mitt Romney: Der Multimillionär, der in der Präsidentschaftswahl 2012 gegen Obama verlor, meldet sich zurzeit ständig zu Wort. Etwa mit einem Gastbeitrag im Wall Street Journal über den "Preis einer gescheiterten Führung". Romney fühlt sich durch Putins Vorgehen in der Ukraine bestätigt, weil er in einer TV-Debatte im Herbst 2012 Russland "als größte Bedrohung" für Amerika bezeichnet hatte. Nun hält er Obama bei jeder Gelegenheit Naivität vor.

Obama weist Romneys Kritik zurück: Er habe stets gesagt, dass einige Aktionen Russlands problematisch seien. Putins Handeln sei aber keineswegs die größte Bedrohung für die USA. Viel mehr fürchte er einen Terroranschlag mit einer Atombombe in Manhattan, erklärte der US-Präsident in Den Haag. Auch dabei lautet die Botschaft: Liebe Republikaner, ihr wisst nicht worüber ihr redet, die Welt ist viel komplexer als ihr denkt.

Gewiss: Der 52-jährige Demokrat sieht seine Hauptaufgabe darin, die USA aus der Wirtschaftskrise zu führen und die Infrastruktur im eigenen Land zu verbessern, doch im sechsten Jahr seiner Amtszeit geht es auch um sein außen- und sicherheitspolitisches Erbe. Er hat die Kriege in Afghanistan und in Irak wie versprochen beendet und hofft nun auf Fortschritte im Nahost-Friedensprozess und beim iranischen Atomprogramm.

Doch diese Ziele - und damit seine angestrebte Bilanz als Präsident - kann Obama nur erreichen, wenn er sich wieder stärker als machtbewusster Politiker präsentiert und seine Kritiker im In- und Ausland in die Schranken weist.

Ob Wladimir Putin dabei mitspielt und seinerseits auf Gegen-Seitenhiebe verzichtet, ist aber alles andere als klar.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: