Türkei:Der Terror begann in Suruç

Large explosion in Suruc near Syria border

Menschen im türkischen Suruç bringen sich kurz nach der Bombenexplosion in einem Kulturzentrum in Sicherheit.

(Foto: dpa)

Der Anschlag auf den Istanbuler Flughafen ist der jüngste einer ganzen Reihe von Terrorattacken in der Türkei. Alles begann in einer kleinen Stadt an der Grenze zu Syrien. Ein Rückblick.

Von Deniz Aykanat

Erneut erschüttert ein schwerer Anschlag die Türkei. Am Atatürk-Flughafen in Istanbul werden mindestens 36 Menschen getötet, Dutzende verletzt. Drei Selbstmordattentäter sprengen sich am Eingang zum internationalen Terminal in die Luft. Es ist die jüngste innerhalb einer ganzen Reihe von tödlichen Attacken, die vor fast einem Jahr ihren Anfang in einer kleinen türkischen Stadt an der Grenze zu Syrien nahm:

20. Juli 2015, Suruç: Ein Selbstmordattentäter sprengt sich in einem Kulturzentrum in die Luft und reißt 34 Menschen mit in den Tod, mehr als 70 werden verletzt. Unter den Toten sind vor allem junge Menschen. Sie hatten sich in dem Zentrum getroffen, um Unterstützung für die nur wenige Kilometer entfernte syrische Stadt Kobanê zu organisieren. Kobanê, das zu dieser Zeit von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angegriffen und dabei in Schutt und Asche gelegt wird, gilt als Schwesterstadt von Suruç, aufgrund der geografischen Nähe und der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung in beiden Städten. Viele Kurden in der Türkei haben Verwandte auf syrischer Seite. Die türkischen Behörden machen den IS für den Anschlag verantwortlich.

Der Anschlag von Suruç gilt als Wendepunkt in den türkisch-kurdischen Beziehungen. Die verbotene kurdische Untergrundorganisation PKK und andere ihr nahestehende Organisationen geben dem türkischen Staat die Schuld für den Anschlag. Die Regierung habe ihrer Meinung nach den IS unterstützt oder zumindest gewähren lassen, um auf diese Weise den syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Als Vergeltung für Suruç töten PKK-Kämpfer daraufhin mehrere Polizisten. Der Jahre andauernde und mühsam gepflegte Friedensprozess zwischen Kurden und Türken ist damit beendet - ein offener Krieg entbrennt im mehrheitlich kurdisch geprägten Südosten der Türkei.

Anschläge der PKK, PKK-naher Organisationen und des IS bilden seither einen traurigen Wechsel.

10. Oktober 2015, Ankara: Bei einer Friedensdemonstration kurdischer Gruppen, linker Vereine und Gewerkschaften sprengen sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft. Es ist der verheerendste Anschlag in der Geschichte der Türkei. 102 Menschen sterben bei dem Attentat auf einem der zentralsten Plätze der türkischen Hauptstadt, Hunderte werden verletzt. Auch hinter diesem Anschlag wird der IS vermutet.

23. Dezember 2015, Istanbul: Am zweitgrößten Flughafen der Stadt, Sabiha Gökçen, ereignet sich eine Explosion, bei der eine Frau stirbt. Fünf Flugzeuge werden beschädigt. Die Ursache ist nicht abschließend geklärt. Während Medien einen Anschlag vermuten, schließt die Regierung Terror als Ursache aus.

12. Januar 2016, Istanbul: Mitten in einer Gruppe deutscher Touristen, die in der historischen Istanbuler Altstadt gerade den Obelisken besichtigen, zündet ein Selbstmordattentäter - vermutlich ein Syrer, der als Flüchtling in die Türkei kam - eine Bombe. Zwölf Deutsche und ein Peruaner sterben. Der schon schwer angeschlagene Tourismus bricht daraufhin völlig ein.

17. Februar 2016, Ankara: Wieder ist die Hauptstadt das Ziel, als beim Angriff auf einen Militärkonvoi 29 Menschen, zumeist Soldaten, sterben. Ziel des Anschlags, der sich im Regierungsviertel und in unmittelbarer Nähe zum Hauptquartier der türkischen Streitkräfte ereignete, sind Busse, die gerade Militärangehörige zu ihrer Unterkunft transportieren. Als der Armeekonvoi an einer roten Ampel hält, detoniert direkt daneben eine Autobombe. Die Extremistengruppe "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) bekennt sich zu dem Anschlag. Die TAK ist eine aus der PKK hervorgegangene Splittergruppe.

13. März 2016, Ankara: Nicht einmal einen Monat später folgt der nächste Anschlag. Zwei Attentäter der TAK zünden am zentralen Kızılay-Platz an einer Bushaltestelle eine Autobombe. 38 Menschen sterben. Der Kızılay-Platz ist ein wichtiger Verkehrskontenpunkt in Ankara, er ist gewissermaßen das Herz der Hauptstadt, vergleichbar mit dem Taksim-Platz in Istanbul.

19. März 2016, Istanbul: Wenige Tage später geht in Istanbuls belebtester Straße, der İstiklal Caddesi, eine Bombe hoch. Fünf Menschen sterben, darunter der Selbstmordattentäter. Dutzende werden verletzt. Bei dem Attentäter soll es sich um einen Türken mit Verbindungen zum IS handeln. Drei der Todesopfer kommen aus Israel (zwei Israelis hatten auch die amerikanische Staatsbürgerschaft); auch ein iranischer Tourist kommt ums Leben.

7. Juni 2016, Istanbul: Wieder schlägt die TAK zu. Diesmal trifft es einen Polizeibus, zwölf Menschen sterben. Der Anschlag ereignet sich wieder in der Altstadt Istanbuls, wenige Meter vom Großen Basar und der Istanbul Universität entfernt.

28. Juni 2016, Istanbul: Selbstmordattentäter reißen am Atatürk-Flughafen mehr als 30 Menschen mit in den Tod, 150 werden verletzt. Die Regierung macht den IS für die Tat verantwortlich.

Während dieser Zeitspanne und weitgehend jenseits der öffentlichen Wahrnehmung liefern sich kurdische Kämpfer und türkische Sicherheitskräfte im Südosten des Landes schwere Gefechte. Fast täglich sterben dabei Menschen - auch viele unbeteiligte Zivilisten. Und fast wöchentlich verüben PKK oder TAK teils tödliche Anschläge auf Soldaten und Polizisten. Viele Ortschaften leiden unter monatelangen Ausgangssperren und Unterversorgung. Ganze Städte wie etwa Silvan liegen in Trümmern.

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