Transmenschen in der Bundeswehr:Feldwebel Lisa Maike K., uneingeschränkt diensttauglich

Trump will Transmenschen aus dem US-Militär verbannen. Die Bundeswehr hingegen bemüht sich um Akzeptanz. Lisa Maike und Anastasia sind ihren Weg zur Frau in der Truppe gegangen.

Von Eva Steinlein

Wenn Feldwebel K. sich nach Dienstschluss auf die Stube zurückzieht, ist endlich ein bisschen Zeit für die Wahrheit. Raus aus der Uniform, stattdessen feminine, elegante Kleidung anziehen, Make-up auflegen. Sich im Spiegel betrachten, sich gefallen, sich Ohrringe wünschen und Haare, die länger sind als bis zum Hemdkragen. Aber das ist ihr im Dienst bei der Bundeswehr nicht erlaubt. Das Erscheinungsbild von Feldwebel K. wird nach den Dienstvorschriften für Männer geregelt.

Jahrelang lebt die heute 52-jährige Lisa Maike K., die damals noch ihren männlichen Geburtsnamen trägt, ihre Weiblichkeit nur hinter verschlossener Tür. Dass sie gerne Kleider trägt und wie eine Frau denkt und fühlt, weiß sie seit der Pubertät. Während der Lehre zur Restaurantfachkraft hat sie das Frausein ausprobiert: nach Dienstschluss, in ihrer Unterkunft. Die folgende Laufbahn als Berufssoldat soll davon ablenken - die anderen, aber auch sie selbst. Sie bringt mehrere Auslandseinsätze hinter sich, will "immer durch demonstrative Männlichkeit das Gegenteil beweisen", so beschreibt sie es heute. Später hat sie als Führungskraft ein Einzelzimmer und muss nicht mehr fürchten, dass jemand ihren Spind inspiziert.

"Der Gedanke war, dass das für immer mein Geheimnis bleibt", sagt K. Doch heute ist die pensionierte Soldatin nicht nur bei Freunden, Familie und Nachbarn geoutet. Sie hat ihre Transition zur Frau noch in ihrer Dienstzeit auch bei der Bundeswehr gemacht.

Diversität ist kein Randthema, erklärt die Verteidigungsministerin

Während US-Präsident Donald Trump gerade verkündet hat, dass Transfrauen und -männern künftig der Dienst in der Armee verwehrt werden soll, steuert die Bundeswehr unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in eine andere Richtung. Ende Januar hat die Ministerin in Berlin zum Workshop "Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr" geladen. Das Ziel der Veranstaltung: "Wissen in der Bundeswehr darüber zu verbreiten, wie ein Arbeitsumfeld gestaltet werden kann, in dem sich Bundeswehrangehörige gleich welcher sexuellen Orientierung und Identität respektiert fühlen und einbringen können."

Dass dieser Ansatz in der Bundeswehr unerhört ist, beweist schon der Wirbel im Vorfeld. Viele Zeitungen verspotten den Workshop als "Sex-Seminar", Kritiker verweisen auf vermeintlich wichtigere Probleme. Harald Kujat, der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, sagt: "Es ist mir nicht klar, was der Sinn dieser Veranstaltung ist. Mir ist nicht bekannt, dass Homosexuelle in den Streitkräften diskriminiert werden." Dass Diskriminierung in der Bundeswehr ein Problem ist, kann sich der weiße Mann aus der höchsten Führungsebene nicht vorstellen.

Dann wird bekannt, dass in der Kaserne Pfullendorf sexuelle Übergriffe und Misshandlungen von Soldatinnen und Soldaten in Serie stattfanden. In ihrer Grundsatzrede beim Workshop wird von der Leyen deutlich: Es sei "kein Randthema", wie die Beschäftigten der Bundeswehr miteinander umgehen - "ob sie nun schwul, lesbisch, transsexuell oder heterosexuell sein mögen - sie sind uns mit ihrem Können willkommen".

Viele mag es verwundern, dass es überhaupt transsexuelle Männer und Frauen bei der Bundeswehr gibt. In kaum einer Berufsgruppe ist das Geschlechterbild so zementiert wie in der Armee. Mehr als die Hälfte aller Soldatinnen kann Studien zufolge von sexistischen Anfeindungen berichten, von männlichen Kameraden wird ihnen noch immer weniger zugetraut. Ein Artikel der Welt aus dem Jahr 2015 weist allerdings "rund 30 Bundeswehrmitarbeiter" als transsexuell aus. Der Presse- und Informationsstab der Bundeswehr erklärt, es gebe keine Zahlen zu transsexuellen Mitgliedern - umgerechnet auf ihren geschätzten Bevölkerungsanteil von 0,5 Prozent seien es aber bis zu 1300. Die Mehrheit von ihnen würde dann ungeoutet leben.

Oberstleutnant Biefangs Transition ist "das letzte Puzzlestück"

Die Bundeswehr betont gern, sie sei ein Spiegel der Gesellschaft in Deutschland - doch auch die lernt gerade erst die Begriffe für die Identität von Menschen wie Lisa Maike K. Die Bundeswehr setzt deshalb auf Vorbilder aus den eigenen Reihen. Sie sollen die neue Selbstverständlichkeit vorleben, wie sie sich von der Leyen für die Truppe wünscht, und zeigen: Der Schritt in die Sichtbarkeit hat auch Vorteile.

Oberstleutnant im Generalstab Anastasia Biefang hat ihre Geschichte öffentlich gemacht. In einer Reportage des Y-Magazins der Bundeswehr wird ihr Coming-out als Transfrau nacherzählt. Der Entschluss, auch im Dienst als Frau aufzutreten, ist für die 42-Jährige ohnehin nur "das letzte Puzzlestück". Sie war jahrelang in der LGBTI-Community unterwegs, hat nach Dienstschluss immer gern feminine Kleidung getragen und "nie versucht, das aktiv zu verbergen". Davon wissen auch Kameraden, mit denen sie privat befreundet ist. Aber irgendwann fühlt sich das Frausein auf Zeit nicht mehr ehrlich an: Biefang will offen damit umgehen, dass sie sich als Frau identifiziert.

Sorgen macht sie sich nur darum, welche Auswirkungen das Outing im Jahr 2015 auf ihre Karriere haben könnte. Heute erklärt sie: "Es hat keine Auswirkungen gehabt." Im Gegenteil: Als sie auf den Verein "Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr" (AHsAB) zugeht, wird sie prompt zur "Ansprechpartnerin für Transgender". Beim Diversitätsworkshop im Januar leitet Oberstleutnant i. G. Biefang einen Arbeitsgruppenbereich und trägt das Thema Transsexualität an die Leitungsebene der Bundeswehr heran.

Lisa K. "war bereit, jeden Preis zu zahlen"

Als sich Lisa Maike K. im Jahr 2013 an den AHsAB wendet, heißt es in puncto transsexuelle Soldatinnen und Soldaten noch: "Wir haben euch schlichtweg vergessen." Damals hält Lisa Maike K. das richtige Leben im falschen nicht mehr aus: "Ich wusste, ich bin eine Frau, ich will als Frau leben - und war bereit, jeden Preis zu zahlen", sagt sie. Ihr Weg nach dem Entschluss verläuft, so sagt sie, "beängstigend reibungslos".

Sie geht zum Truppenarzt. Der diagnostiziert nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten, genannt ICD-10, eine "Störung der Geschlechtsidentität". Lisa Maike K. wird ans Zentrum für seelische Gesundheit im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg überwiesen, das im Truppenjargon als "FU-6" bekannt ist. "Da hat man mich gut an der Hand geführt", sagt sie.

Im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung steht ihr eine unentgeltliche medizinische und psychologische Versorgung zu. Sie wird gefragt, welche Zielsetzung sie für ihr neues Leben hat und erfährt, wie sie die Transition zur Frau bei der Bundeswehr angehen kann. Für K. ist von Anfang an klar, dass sie alle bislang möglichen Schritte gehen möchte: Hormone einnehmen, den Kehlkopf chirurgisch abflachen lassen, die Gesichtshaare per Laser epilieren, durch Implantate eine Brust aufbauen und schließlich eine geschlechtsangleichende Operation vornehmen lassen. Schließlich wird in ihrer Krankenakte die Fehlerziffer gelöscht: Feldwebel K. ist wieder uneingeschränkt diensttauglich.

"Und wie möchten Sie jetzt angesprochen werden?"

Eine Therapeutin rät Lisa Maike K. zunächst, mit dem Outing zumindest bis zum Beginn der Hormontherapie zu warten. Eine Weile fährt sie also als Frau zur Arbeit, zieht sich die Uniform an und tut Dienst als Mann. Aber warum weiter verbergen, was an ihrem Körper mehr und mehr sichtbar wird? Bei einer wöchentlichen Besprechung der Kompaniechefs gibt Lisa Maike K. bekannt, warum sie so viel Zeit in der FU-6 verbracht hat.

Die wichtigste Frage der Kameraden ist: "Und wie möchten Sie jetzt angesprochen werden?" "Frau K.", antwortet sie. Ein Soldat wechselt gleich das Namensschild an ihrer Tür aus. "Der Rest" spricht sich unter den Soldatinnen und Soldaten schnell herum, bemerkt sie schmunzelnd. Oberstleutnant i. G. Biefang wird von den Kameraden mit Fragen bestürmt: Am Tag ihres Outings vor der Truppe "hat es lange gedauert, bis ich wieder in mein Büro kam", erinnert sie sich.

Einzelfallentscheidungen über die Dienstfähigkeit

Um auch vor dem Gesetz eine Frau zu sein, müssen Name und Personenstand geändert werden. Dafür schreibt das Transsexuellengesetz zwei unabhängige Gutachten von Sachverständigen vor. Sie müssen bescheinigen, dass sich das Geschlechtsempfinden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird. Medizinische Schritte einer Transition sind dafür keine Voraussetzung.

Sind die Betroffenen allerdings bei der Bundeswehr und wollen Soldaten bleiben, wird die Lage unübersichtlicher: Die Bundeswehr behält sich vor, jeden Fall einzeln zu entscheiden - auch wenn eine abgeschlossene Transition, so versichert der Pressestab, kein Hinderungsgrund für eine Einstellung sei. Ausschlaggebend ist stets die Untersuchung des Truppenarztes und dessen "Prognose zur Dienstfähigkeit", ob eine "volle Entfaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit" gewährleistet ist. Zu bestimmten Zeitpunkten kommt der Wunsch nach einer Transition also durchaus ungelegen: Als Neubewerber bei der Tauglichkeitsuntersuchung, während der Grundausbildung oder vor der Weiterverpflichtung.

Für dauerhaft Verpflichtete ist der Übergang ins Zielgeschlecht ein medizinischer und rechtlicher Dienstvorgang wie jeder andere. Sie dürfen mitbestimmen, bei welchem Mediziner und zu welchem Zeitpunkt sie die einzelnen Schritte gehen wollen. Zwischen den Eingriffen bekommen sie mehrere Monate Zeit zur Genesung und angemessene Diensterleichterungen: Lisa Maike K. darf in der ersten Zeit nach einer geschlechtsangleichenden Operation in Trainingshosen zur Arbeit kommen. Bis ihr neuer, maßangefertigter Uniformrock kommt, dauert es ein halbes Jahr. Lange Haare und Ohrringe darf sie als Soldatin auch schon vorher tragen. Und das tut sie mit Stolz, zeigt so viel Weiblichkeit wie möglich, "um es den Kollegen leichter zu machen", wie sie sagt.

"Man muss manchmal ein dickes Fell haben"

"Ich gehe schon selbstbewusst in die Damendusche", sagt Anastasia Biefang über ihren Alltag als Transfrau bei der Bundeswehr. Irritationen, denen sie begegnet, nennt sie eine "Chance zur Kommunikation": "Ich kann nicht von allen erwarten, dass sie zum Beispiel alle Schritte einer Transition kennen, vor allem nicht beim ersten Gespräch. Entscheidend ist der Umgang beim zweiten, dritten Kontakt."

Offene Anfeindung hat keine der beiden Frauen im Dienst erlebt. Soldatinnen und Soldaten müssen Vorgesetzte und Kameraden stets korrekt behandeln, schließlich schreibt das im Soldatengesetz verankerte Prinzip der Kameradschaft "gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen" in der Truppe vor. Auch der Rang als Führungskräfte schützt sie: Würden sie offen beschimpft, verlacht oder demonstrativ im falschen Geschlecht angeredet, könnten sie die Täter maßregeln und eine Beschwerde formulieren.

Wenn sich nach dem Outing manche Kameraden in der Raucherpause etwas distanzierter geben, geschieht das "nicht aus bösem Willen, sondern aus Unsicherheit heraus", glaubt Lisa Maike K. Die Hilfe der Gleichstellungsbeauftragten, die gleich nach ihrem Outing auf Lisa Maike K. zugeht, habe sie jedenfalls nicht gebraucht. "Wir sind ja Einzelfälle. Und die Bundeswehr geht mit Einzelfällen angemessen um."

Einige zwischenmenschlichen Reaktionen, von denen sie berichten, lassen aber erkennen: Dass jemand aus dem eigenen Umfeld transsexuell ist, stellt viele noch vor gedankliche Herausforderungen. Als K. sich vor ihrem Kommandeur outet, bekommt sie zur Antwort: "Jeder, nur nicht Sie." Und entgegnet selbstbewusst: "Doch, ich." Anastasia Biefang hat ihren Vorgesetzen "zum ersten Mal sprachlos" erlebt. Sie räumt ein: "Man muss manchmal ein dickes Fell haben."

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