Timothy Snyder über Donald Trump:"Wir haben maximal ein Jahr Zeit, um Amerikas Demokratie zu verteidigen"

Donald Trump

"Wir müssen akzeptieren, dass die Institutionen ihn nicht zähmen", sagt Timothy Synder über Donald Trump.

(Foto: AP)

Kann man die Ära Donald Trump mit den Dreißigerjahren vergleichen? Der Historiker Timothy Snyder über Lehren aus der Geschichte und darüber, was jetzt zu tun ist.

Interview von Matthias Kolb

Timothy Snyder ist Experte für den Holocaust und die Geschichte Ost- und Mitteleuropas. Die Bücher "Bloodlands" (2010) und "Black Earth" (2015) wurden in 20 Sprachen übersetzt. In Deutschland erscheinen seine Bücher im Verlag C.H. Beck, dort wird in Kürze auch "Über Tyrannei" veröffentlicht. Zur US-Politik hat sich der Historiker, Jahrgang 1969, nie geäußert, bis Donald Trump Politiker wurde. In New Haven, wo er an der Yale University lehrt, erklärt Snyder in einem Café, wieso die Amerikaner wachsam bleiben müssen und sich mit den Dreißigerjahren beschäftigen sollten.

SZ: Donald Trump ist seit zweieinhalb Wochen US-Präsident. Was lehrt uns sein Start?

Timothy Snyder: Wir müssen akzeptieren, dass die Institutionen ihn nicht zähmen. Seit Juni 2015 haben wir uns eingeredet, dass er nicht Kandidat werden wird; und falls doch, wird er moderater auftreten. Dann hieß es: Trump wird die Wahl verlieren, und wenn er doch gewinnt, dann ändert ihn das Amt. So argumentiert Obama. Doch für Trump sind Institutionen und Gesetze Hindernisse, die ihm im Weg stehen und die er beseitigen will. Es geht ihm nur um ihn, nicht um die Bürger.

Sie haben für das Online-Magazin "Slate" einen Artikel geschrieben, der die politische Karriere von Donald Trump mit dem Aufstieg von Adolf Hitler vergleicht. Worauf wollten Sie damit hinaus?

Ich habe in meinem Text keine Namen genannt, sondern kurz geschildert, wie Hitler an die Macht kam und viele Leser merkten: Das kommt mir bekannt vor. Es geht um einen Kandidaten, der die neuen Medien virtuos nutzt und dem Gefühle wichtiger sind als Fakten. Ich weiß, dass Hitler-Vergleiche in Deutschland tabu sind, deswegen ganz klar: Ich wollte die beiden nicht gleichsetzen und nicht provozieren. Amerikaner glauben, dass wir eine außergewöhnliche Nation sind und außerhalb der Geschichte leben. Sie denken: "Wir haben Freiheiten, weil wir die Freiheit lieben. Wir lieben Freiheit, weil wir frei sind." Der Zirkelschluss verkennt, dass unser heutiges Dilemma nicht neu ist.

Am Beispiel der Weimarer Republik?

Ich wollte meine Mitbürger daran erinnern, dass vor uns andere intelligente Menschen gescheitert sind. Wenn wir wissen, wieso die Deutschen in den Dreißigerjahren nicht verhindern konnten, dass eine Gesellschaft ihre Rechte verliert, können wir daraus Schlüsse ziehen.

Ist die Lage denn ähnlich?

Nicht alles ist gleich. Die Lage der US-Medien ist schlechter, weil alles sehr konzentriert ist. In Deutschland gab es vor der Gleichschaltung eine viel größere Vielfalt unter den Zeitungen. Damals hatten die Leute längere Aufmerksamkeitsspannen. Im Vergleich zu Deutschland sind die USA ein riesiger Flächenstaat und es gibt zahlreiche Regionen mit erheblichem Wohlstand. Zudem ist die US-Volkswirtschaft stärker mit der Welt verbunden. Unser großer Vorteil ist aber, dass wir wissen, was in den Dreißigern passiert ist. Die Leute damals hatten kein warnendes Vorbild.

Wann haben Sie gemerkt, dass die Amerikaner nicht viel über das 20. Jahrhundert wissen?

2011 reiste ich mit meinem Buch "Bloodlands" durchs Land, und viele hatten völlig vergessen, dass es unter Stalin Terror gab. Das hat mich überrascht, denn im Kalten Krieg wurden die Gräueltaten der Sowjetunion natürlich thematisiert. Damals dachte ich das erste Mal: Wenn wir Millionen Tote vergessen, was dann noch? Die Amerikaner wissen zwar vom Holocaust, aber wenig über den Kontext. Die Parallelen bleiben verborgen. Wenn heute jemand von Faschismus spricht, dann heißt es: "Trägt er ein Hakenkreuz? Hat er sechs Millionen Juden getötet?" Die Antwort ist natürlich "Nein", und dann wird das abgetan. Weil wir vor 25 Jahren das "Ende der Geschichte" verkündet haben, ist eine ganze Generation herangewachsen, der diese Bezugspunkte fehlen.

Gab es diese Kenntnisse früher?

Wir Amerikaner wussten schon mal mehr. In den Dreißigern gab es schon Ex-Kommunisten, in den Vierzigern kamen Flüchtlinge aus Zentraleuropa und in den Fünfzigern dachten "Cold War Liberals" darüber nach, was Faschismus und Kommunismus für die Demokratie bedeuten. Politische Theorie war wichtig damals, doch das ist vorbei. Junge Amerikaner beginnen gerade erst, sich wieder für diese Themen zu interessieren. Wir müssen uns aber vor allem mit den Dreißigerjahren beschäftigen, weil Leute im Weißen Haus das auch tun.

Wieso blicken Sie achtzig Jahre zurück?

Für Leute wie Steve Bannon, Trumps Chefstrategen, kamen die USA damals vom rechten Weg ab. Amerika baute einen Sozialstaat auf und intervenierte in Europa, um den Faschismus zu stoppen. Nun sieht Bannon die Chance, die Fehler von Präsident Franklin D. Roosevelt zu korrigieren.

Bannon hat gesagt, er wolle das Leben "so aufregend machen wie in den Dreißigern". Er scheint mächtiger zu sein als Büroleiter Reince Priebus oder Trumps Schwiegersohn Jared Kushner.

Über solche Kämpfe erfahre ich auch nur aus den Medien. Trumps Antrittsrede war aber extrem ideologisch. Als er im Wahlkampf erstmals von "America First" redete, wurde er gefragt: "Wissen Sie, dass der Begriff historisch aufgeladen ist und für ein Amerika steht, das nicht den Nationalsozialismus bekämpft, sich als weißes Volk definiert und aus der Welt heraushält?" Trump sagte, das sei ihm neu. Wenn er nun permanent von "Amerika zuerst" spricht, dann ist das eine Botschaft. Und Bannon weiß genau, dass der Begriff ein alternatives Amerika beschwört.

Wenn sich Bannon als "Leninist" bezeichnet, verstehen die Amerikaner, worauf er anspielt?

Ich fürchte nicht. In den USA gibt es die Überzeugung, dass in regelmäßigen Abständen rebelliert werden muss. Das kommt von Thomas Jefferson und der Amerikanischen Revolution. Es wird aber nicht unterschieden zwischen Protest gegen Ungerechtigkeit und dem Umsturz des politischen Systems. Abgesehen von den Schwarzen haben die Amerikaner immer in einem Rechtsstaat gelebt, sie gehen davon aus, dass dies ewig so bleibt. Sie haben keine Ahnung, wie sehr sich ihr Leben verändern würde, wenn plötzlich Willkür herrschen würde. Wenn Bannon sagt, er wolle den Staat zerstören, dann können sich viele das nicht vorstellen. Ich fürchte, dass die meisten Amerikaner den Ernst der Lage verkennen und das hier für eine weitere rebellische Phase halten.

Trump hat ein Porträt von Andrew Jackson im Büro hängen. Der 7. US-Präsident war auch Populist. Sie argumentieren, dass Leute wie Bannon eine umfassendere Agenda haben.

Im gleichen Interview, in dem er über die "aufregenden Dreißiger" redet, spricht Bannon davon, in der Finsternis zu operieren. Als Vorbilder nennt er Satan und Darth Vader und hofft darauf, dass ihn die Liberalen und die Medien falsch verstehen: "Es hilft uns, wenn sie blind sind und nicht sehen, wer wir sind und was wir tun."

Timothy Snyder über Donald Trump: Timothy Snyder (47) ist ein amerikanischer Historiker und Experte für mittel- und osteuropäische Geschichte. Er unterrichtet an der Yale University und ist Autor mehrerer Bücher wie "Bloodlands" und "Black Earth".

Timothy Snyder (47) ist ein amerikanischer Historiker und Experte für mittel- und osteuropäische Geschichte. Er unterrichtet an der Yale University und ist Autor mehrerer Bücher wie "Bloodlands" und "Black Earth".

(Foto: Michal Dolezal/AP)

Am Holocaust-Gedenktag veröffentlichte das Weiße Haus ein Statement, in dem Juden nicht genannt wurden. Erst sah es aus wie ein Fehler, doch dann wurde bestätigt: Das war Absicht.

In Amerika sind der Holocaust und die Landung der US-Truppen in der Normandie die einzige Möglichkeit, über diese Vergangenheit zu reden - und über Amerikas Verantwortung für die Welt. Bannon verwässert diese Zeit, wenn er sagt: "Damals haben viele Leute gelitten, nicht nur Juden." Wenn sich durchsetzt, dass im Zweiten Weltkrieg auch viele andere gelitten hätten und überhaupt würden ständig überall Menschen leiden, beraubt man die Amerikaner dieses Blickwinkels.

Unterscheiden sich die deutsche und amerikanische Wahrnehmung des Holocaust?

Lassen Sie es mich so sagen: Im Gespräch mit deutschen Journalisten betone ich jene Aspekte des Holocaust, die Deutsche übersehen oder minimieren. Das kann dazu führen, dass die Deutschen Aspekte der historischen Verantwortung übersehen und Lehren aus dem Holocaust ziehen, die zu eng gefasst sind. Amerikaner hingegen können aus dem Holocaust politische Schlussfolgerungen für die Gegenwart ziehen. Wir müssen überlegen, wie die Behandlung der Muslime heute mit jener der Juden zu vergleichen ist. Trumps bisherige Politik ist eine Provokation: Sie soll wohl dazu dienen, ein Ereignis wie den Mord am deutschen Diplomaten Ernst Eduard vom Rath in Paris am 7. November 1938 hervorzurufen. (Anm. d. Red.: Der 17-jährige Herschel Grynszpan schoss zwar am 7. November vom Rath nieder; dieser erlag jedoch erst am 9. November seinen Verletzungen.) Dies nutzte das NS-Regime als Vorwand für die Novemberpogrome. Die Ähnlichkeiten sind unheimlich.

"Wir müssen alle jetzt aktiv werden"

Sie haben Ende des Jahres auf Facebook eine Liste gepostet: "Zwanzig Lehren aus dem 20. Jahrhundert, um Trumps Amerika zu überleben." Hatten Studenten Sie um Rat gebeten?

Nein, das war nicht der Auslöser. Ich rechnete mit einer knappen Niederlage Trumps und hatte 2016 immer wieder darüber geschrieben, wie sehr mich Trump an die Entwicklungen in Russland erinnert. Ich habe zuvor nie über die USA geschrieben, aber hier kann ich etwas anbieten. Ich weiß, was gerade in Osteuropa passiert und kenne die Geschichte des 20. Jahrhunderts, aus der man Lehren ziehen kann. Ich wollte etwas tun, denn wir alle müssen jetzt aktiv werden.

Ihr erster Rat lautet: "Ordnet euch nicht vorzeitig unter!" Sie geben Tipps für Bücher und empfehlen, Smartphones öfter wegzulegen. Später sprechen Sie den Reichstagsbrand an, als Warnung für die Zukunft. Wie soll die Öffentlichkeit nach einem Terroranschlag reagieren?

Amerikaner benutzen sehr gern den Begriff Playbook, eine Metapher aus dem Sport. Ich beobachte momentan das Playbook der Dreißiger: Man nimmt eine ungefährliche, gesellschaftlich integrierte Minderheit heraus und macht sie verantwortlich für eine globale Bedrohung. Was damals die Juden waren, geschieht heute mit den Muslimen. Zu diesem Playbook gehört auch, Katastrophen für seinen Vorteil nutzen, um etwa einen Notstand auszurufen. Wenn wir die Geschichte kennen, fallen wir nicht auf solche billigen Tricks herein, sondern sagen: "Mister Trump, Sie haben versprochen, so etwas zu verhindern. Sie haben versagt, wir brauchen unsere Rechte umso dringender."

Noch mal zurück zu Steve Bannon. Wenn er die Pressefreiheit verspottet und Medien als "Opposition" bezeichnet, dann ist das kein Versehen.

Wer so redet, hat einen Regimewechsel im Sinn. Im heutigen System sind für einen Republikaner die Demokraten die Opposition. Wer die Regierung als Partei ansieht und die Presse als Opposition, der spricht über einen autoritären Staat.

Dazu passt, dass Trump bei Twitter Demonstranten als "bezahlte Protestierer" und "Schläger" beschimpft.

Das ist die Strategie von Russlands Präsident Wladimir Putin. Sie machen jene Leute nieder, die für wichtige Werte der Republik stehen. Trump muss den Demonstranten nicht zustimmen. Aber wenn er ihnen das Recht auf Protest abspricht, das in der Verfassung garantiert ist, oder Lügen verbreitet, signalisiert er: "Wir wollen ein System, in dem das nicht mehr möglich ist." Eine Demo ist etwas ganz Konkretes. Der neue Autoritarismus will Zweifel an der Realität wecken. Die Leute sollen Erfundenes der Wirklichkeit vorziehen. Sie sitzen auf dem Sofa, lesen die Tweets und denken: "Alle Demonstranten sind Schläger." Dabei ist es in Demokratien normal, für seine Anliegen auf die Straße zu gehen. Trump möchte ein anderes Verhalten erzwingen: "Bleibt auf dem Sofa, lest meine Tweets und nickt einfach." Das ist die Psychologie für einen Regimewechsel.

Viele Bürger fühlen sich überwältigt von der Nachrichtenflut, das geht auch Deutschen so.

Auch das ist typisch für die neuen Autoritären: Sie überschwemmen uns mit schlechten Nachrichten, damit wir sagen: "Was kann ich schon tun?" Ich rate, nur ein Mal am Tag 30 Minuten konzentriert Nachrichten zu lesen. Jeder sollte sich eine Sache aussuchen, die ihm am Herzen liegt und wo er oder sie sich auskennt: etwa Klimawandel, Pressefreiheit oder Flüchtlinge. Dafür sollte man sich engagieren und viele Leute über die Wichtigkeit von Institutionen informieren. Auch die Bundesstaaten werden extrem wichtig. Niemand kann alles tun, aber jeder seinen Beitrag leisten.

Seit der Vereidigung haben Millionen Menschen in Hunderten US-Städten demonstriert. Die Meinung der Trump-Fans ändert das nicht, laut Umfragen unterstützt eine knappe Mehrheit der Amerikaner das Einreiseverbot. Braucht es mehr Geduld oder sind Proteste wirkungslos?

Hier geht es um verschiedene Dinge. Beim Muslim Ban ist es wichtig, dass die Leute zeigen: Wir lassen nicht zu, dass eine Gruppe stigmatisiert und abgetrennt wird. Die Proteste an den Flughäfen richten sich nicht an Trump-Fans, sondern ans Weiße Haus: "Wir erkennen, was ihr vorhabt und sind gegen die Logik." Die Lehre aus 1933 ist: Es braucht eine passive Mehrheit, die sich nicht auflehnt. Die Kommunikation mit Trump-Fans ist schwieriger, das braucht Zeit. Die Wahl ist drei Monate her, sie sehen die Welt in diesem Kontext und hoffen auf ein besseres Leben. Ich werde bald nach Ohio reisen und über diese Themen reden. Wir müssen die Polarisierung abbauen, die das Internet verstärkt: Alle haben zu allem eine Meinung und sprechen nicht mehr miteinander.

Ermutigen Sie Ihre Studenten, in konservative Staaten zu reisen?

Viele tun das schon. Ein Student ist mit dem Zug an die Grenze zu Mexiko gefahren, um mit Passagieren zu reden. Die Wahrheit ist komplizierter, als man in New York meint. Wir dürfen Trumps Wähler nicht als Rassisten abtun, denn viele sind das nicht. Genauso wenig ist jeder, der gegen ihn protestiert, ein Held. Viele Männer, die nun für Trump sind, stimmten zuvor für Obama. Ohne sie hätte es keinen schwarzen Präsidenten gegeben. Es gibt eine enorme soziale Ungleichheit und Folgen der Globalisierung, die man nicht einfach wegwünschen kann. Nicht alle Trump-Wähler können das artikulieren, aber ihre Sorgen sind berechtigt und die Demokraten haben das ignoriert. Deswegen war Bernie Sanders so erfolgreich. Viele Trump-Fans hätten für Sanders gestimmt.

Auf Facebook sieht man oft Beiträge, die das Ende von Trumps Amtszeit herbeisehnen. "Nur noch drei Jahre, elf Monate, zwei Wochen." Was gibt Ihnen Hoffnung?

Wir müssen uns selbst Mut machen, denn es gibt keine positiven Signale aus dem Weißen Haus oder von den Republikanern. Die Konservativen müssten helfen, die Republik zu verteidigen, aber nur wenige scheinen dazu bereit. Die Amerikaner haben schneller reagiert als ich dachte. Wenn die Proteste anhalten, hört Trump vielleicht zu. Sie haben nach etwas Positivem gefragt, aber die Lage hat sich verschärft. Wir haben maximal ein Jahr Zeit, um Amerikas Demokratie zu verteidigen.

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