Terrorverdacht:Mit Kampfkleidung und Koran

Kombi

Tür mit Siegel: Die Polizei hat in Neuss Kevin T. verhaftet, er soll Besuch von einem Islamisten aus Wien (re. oben) gehabt haben. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin durch Anis Amri (unten) soll jetzt ein Moschee-Verein in Berlin aufgelöst werden. Fotos: dpa (2), Imago, Reuters

  • Ein Spezialkommando der Polizei stürmte am Wochenende die Wohnung in Neuss-Weißenberg, wo Kevin T. und die Frau lebten.
  • Er steht im Verdacht, ein Komplize eines 17-jährigen Österreichers zu sein, der angeblich für Ende Januar einen Anschlag in Wien geplant haben soll.
  • Im Haftbefehls-Antrag der Strafverfolger steht, dass Kevin T. möglicherweise einen Anschlag auf Bundeswehrsoldaten oder Polizisten geplant haben soll.

Von Hans Leyendecker

In der islamistischen Szene, die es auch am Niederrhein gibt, war der 21 Jahre alte Kevin T. keine große Nummer. Eben nur Kevin aus Neuss. Aber er tat so, als brauche man ihn. Bei Koranverteilungsaktionen der 2016 verbotenen "Stiftung Lies" machte er mit, und auf der Straße fiel er Leuten auf, weil er sich kämpferisch gab: Nato-Kleidung, Arafat-Schal, und einmal soll er sogar mit einer Fahne des sogenannten Islamischen Staates (IS) auf dem Pflaster gelaufen sein, barfuß. Das muss aber nicht stimmen.

Seit einiger Zeit trat er häufiger mit seiner neuen muslimischen Lebensgefährtin auf, die vollverschleiert war. Kevin T. tat so, als sei er gefährlich. Nachbarn, die solche Typen nur aus dem Fernsehen kennen, filmten ihn sogar bei seinen Auftritten.

Mit der Staatsmacht bekam es der 21-Jährige am Wochenende zu tun. Ein Spezialkommando der Polizei stürmte die Wohnung in Neuss-Weißenberg, wo Kevin T. und die Frau lebten. Er steht im Verdacht, ein Komplize eines 17-jährigen Österreichers zu sein, der angeblich für Ende Januar einen Anschlag in Wien geplant haben soll. Bei Vernehmungen ließ Kevin T. schon durchblicken, dass er ein radikaler Moslem sei oder sein möchte. Aber mit dem IS habe er sich nie beschäftigt.

Ein Waffenfund in einer Garage in Düsseldorf

Er hat sich, das steht fest, in einschlägigen Chats umgetan, so sind der 21-Jährige und der 17-Jährige zusammengekommen. Vom 2. bis 15. Dezember hielt sich der Wiener in der Aachener Islamisten-Szene auf. Dann fuhr er zu Kevin T. in Neuss. Knapp zwei Wochen soll er sich dort aufgehalten haben. Angeblich haben beide eine "Probesprengung" gemacht. Das klingt gefährlich. Es sieht aber so aus, als ob sie sich lediglich vor Silvester Pyro-Zeug, auch aus Polen, besorgt und dann probiert haben, mit dem Schwarzpulver was zu basteln. Nichts Großes offensichtlich.

Der Bundesnachrichtendienst hat vorige Woche die Österreicher über das Gewese der fast noch jugendlichen Islamisten informiert. Im Haftbefehls-Antrag der Strafverfolger steht, dass Kevin T. möglicherweise einen Anschlag auf Bundeswehrsoldaten oder Polizisten geplant haben soll. Das muss nicht stimmen. Die Ermittler fanden bei Kevin T. nichts Verdächtiges.

Ein Fall aus der Szene: Der 17-jährige Österreicher, der aus der albanisch-islamistischen Szene stammen soll und früh in Jugendhaft geriet, hatte offenbar auch Kontakt zu jenem zwölfjährigen Deutschen, der angeblich in Ludwigshafen einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt geplant haben soll. Kevin T. wiederum soll bei dem Prozess gegen den Salafisten-Prediger Sven Lau dabei gewesen sein.

Wie nah ist die nächste Gefahr? Diese Frage bewegt alle, seit Anis Amri im Dezember zwölf Menschen in Berlin bei einem Anschlag ermordete.

Neun Leute wurden festgenommen und wieder freigelassen

Nur ein Beispiel: In den vergangenen Monaten hatten belgische Staatsschützer gemeldet, ein belgischer Islamist wolle Waffen in Deutschland abholen. Erst passierte nichts. Etwa eine Woche nach der letzten Meldung gab es einen Waffenfund in einer Garage in Düsseldorf: Fünf Maschinenpistolen und ein Revolver. In der Garage stand auch ein gestohlener BMW.

Neun Leute wurden festgenommen und wieder freigelassen. Sie erklärten, sie hätten sich nur für den BMW interessiert, der bei einer Online-Verkauffirma zum Kauf angeboten worden war. Von den Waffen hätten sie nichts gewusst. Unter den Festgenommenen war ein Belgier, den der Staatsschutz in Belgien kennt. Was war das jetzt für eine Aktion? War der Belgier gefährlicher als Kevin oder nicht?

Auf eine Frage von Bundestagsabgeordneten hat vergangene Woche eine Berliner Staatssekretärin gesagt, weit über hundert Islamisten würden so eingeschätzt wie Amri vor dem Anschlag eingeschätzt wurde.

Die Lage ist schwierig und sie wird wohl unübersichtlich bleiben. Berlin will jetzt "zügig" den Berliner Moschee-Verein "Fussilet 33" schließen. Das erklärte der Berliner Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) am Montag bei einer Sitzung des Berliner Innenausschusses. Die Moschee ist berüchtigt. Amri sei dort, sagte Akmann, "ein- und ausgegangen". Selbst am Tag des Attentats, am 19. Dezember, sei Amri dort von 18.38 bis 19.07 Uhr gewesen. Kurz danach kaperte er einen Laster, erschoss den Fahrer und steuerte dann das Fahrzeug als Waffe in einen Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz.

Was haben die Behörden in Berlin mit dem Fall Amri zu tun? NRW steht im Mittelpunkt der Schuld-Aufrechnung. Aber Berlin hat Amri aus der Liste der "Gefährder" gestrichen. NRW hat ihn wieder drauf gesetzt. Innensenator Andreas Geisel (SPD) räumte ein, die Herausnahme sei "nach heutigem Wissen eine Fehleinschätzung" gewesen. Vieles angebliche Versagen aber würde in "weniger aufgeregten Zeiten Rechtstaatlichkeit genannt".

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