Sykes-Picot-Abkommen:Warum der Nahe Osten ein Blutbrunnen ist - und bleibt

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Unterstützer des schiitischen Geistlichen Muqtada Al-sadr marschieren ins Zentrum Bagdads, um Premierminister Haidar al-Abadi dazu aufzurufen, korrupte Beamte zu entlassen. (Foto: dpa)

Vor genau 100 Jahren zogen Briten und Franzosen mit dem Sykes-Picot-Abkommen eine Trennlinie durch die arabische Welt. Aber neue Grenzen wären noch blutiger.

Kommentar von Tomas Avenarius

Im Krieg und in der Politik sind Ehrenworte und Versprechen ein flüchtiges Pfand. Dass der Emir und Scherif von Mekka dem Briten Henry McMahon glaubte, hat sich für den Araber jedenfalls nicht ausgezahlt. Der britische Hochkommissar hatte Hussein Ibn Ali mitten im Ersten Weltkrieg ein arabisches Königreich versprochen, wenn sich die Araber gegen die Türken erheben und mit den Briten und Franzosen gegen den Sultan kämpfen würden. Was sie getan haben - "Auf nach Akaba", ruft der Wahl-Beduine Lawrence von Arabien im Film.

Noch während sich die Araber von den Türken zusammenschießen ließen, zeichneten die Nahost-Experten Mark Sykes und Georges Picot bereits eine hochgeheime Landkarte. Statt ein arabisches Königreich zu schaffen, teilten der Brite und der Franzose munter die arabischen Gebiete der Osmanen in Einflusszonen der zwei europäischen Großmächte auf. Bei den späteren Friedenskonferenzen diente dieses sogenannte Sykes-Picot-Abkommen, das vor genau 100 Jahren unterzeichnet wurde, am 16. Mai 1916, als Blaupause für die Zerstückelung des geschlagenen Türkenreichs.

Der "Islamische Staat" will die von Europäern gezogenen Trennlinien niederwalzen

Eigenstaatlichkeit für die Araber, das von den USA laut propagierte "Selbstbestimmungsrecht der Völker"? Unwichtig. Was zählte, waren die Interessen der Kolonialmächte. London wollte Ölquellen und Häfen entlang des Seewegs nach Indien, Paris mehr Einfluss am Mittelmeer. Also wurden Mandate ausgerufen, Staaten gegründet, Grenzen quer durch eine Vielvölkerregion gezogen, ohne Rücksicht auf Siedlungsgebiete, Ethnien, Stämme und Religionsgruppen. Die Briten waren für den Raum um Irak, Jordanien und Palästina zuständig, die Franzosen kontrollierten das heutige Syrien und Libanon. Und weil die Briten mit der Balfour-Deklaration eine jüdische "nationale Heimstätte" versprochen hatten, wurde einen Weltkrieg später auch noch der Staat Israel in die arabische Welt hineingebeamt. Die Araber sind die historischen Verlierer.

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Das Sykes-Picot-Abkommen ist ein Schlüssel zum Verständnis dafür, warum der Nahe Osten ein Blutbrunnen ist und bleibt. Zu Beginn war es der Widerstand gegen die Mandatsherren, dann der Kampf gegen Israel. Später kam der Kalte Krieg mit nahöstlichen Stellvertreter-Konflikten, zuletzt bombte die Hypermacht USA. Heute brechen sich die durch Sykes-Picot ausgelösten Konflikte als Religionskriege oder als Kampf gegen den Terror Bahn. Die Bärtigen vom "Islamischen Staat" haben nicht zufällig das "Ende von Sykes-Picot" ausgerufen, als sie mit Planierraupen die Grenzwälle zwischen dem Irak und Syrien einebneten und ihr Terror-Kalifat begründeten.

So ist Sykes-Picot auch 100 Jahre nach der Zeichenstunde zweier Kolonialdiplomaten der Fluch der Araber. Der noch größere Fluch ist, dass das wohl noch längere Zeit so bleiben wird. Der letzte Krieg zwischen Israelis und Arabern, seien es die libanesischen Hisbollah-Kämpfer oder palästinensische Hamas-Anhänger, ist bestimmt noch nicht geführt. Auch die Kurden, das "Volk ohne Staat" sind unruhig. Und der blutige innerislamische Krieg zwischen Sunniten und Schiiten scheint gerade erst zu beginnen.

Also neue, gerechtere Grenzen ziehen? Das geht in Nahost nur nach einem ganz großen Krieg. So bleibt Sykes-Picot, was es war: eine historische Fehlleistung.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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