Stuttgart 21:Ramsauer: Neue Bahnstrecke ist wirtschaftlich

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Stuttgart 21 macht - wenn überhaupt - nur zusammen mit dem Ausbau der Strecke nach Ulm Sinn. Ramsauer nennt die Trasse rentabel. "Taschenspielertricks", kommentieren die Grünen.

M. Bauchmüller und D. Kuhr

Dem Bau einer neuen Eisenbahn-Strecke zwischen Wendlingen und Ulm steht nach Auffassung des Bundesverkehrsministeriums nichts im Wege. Eine Überprüfung der Rentabilität habe ergeben, dass sich das Projekt rechnet, sagte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) am Donnerstag in Berlin. "Die Wirtschaftlichkeit ist eindeutig erwiesen." Als wirtschaftlich wird eine Strecke angesehen, wenn sie für jeden investierten Euro auch einen Euro Nutzen bringt. Zuvor hatten die Grünen gefordert, das Projekt fallenzulassen.

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Die Strecke hängt direkt mit dem geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21 zusammen. Ließe der Bund das 3,7 Milliarden Euro teure Projekt fallen, ergäbe auch der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs kaum noch Sinn: Die Zeitersparnis zwischen Stuttgart und Ulm ergibt sich vor allem aus der Umgehung der "Geislinger Steige", die auch Hochgeschwindigkeitszüge nur mit verminderter Geschwindigkeit passieren können.

Die Berechnungen ergeben nun aber ein Verhältnis von Kosten und Nutzen jenseits des kritischen Quotienten. "Mit den plausibelsten Annahmen landen wir genau bei 1,5", sagte Ramsauer. Die Schätzungen gehen dabei deutschlandweit von etwa sechs Prozent mehr Personenverkehr bis 2025 aus, der Güterverkehr auf der Schiene wächst demnach um zwei Drittel. Die Strecke rechne sich selbst dann noch, wenn die Prognose unterschritten werde und Konkurrenz von anderen Strecken kommen würde; die Berechnungen gehen dann von einem Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1,0 aus.

Die Grünen hatten zuvor kritisiert, die Annahmen für den Güterverkehr seien absichtlich so gewählt worden, dass sich die Strecke rechne. Wegen der starken Steigung können nur vergleichsweise leichte Güterzüge den Abschnitt zwischen Wendlingen und Ulm bewältigen, dies ist auf der Geislinger Steige auch jetzt schon der Fall. Für Massengüter wie Kohle oder Stahl ist sie nicht geeignet. Dem Gutachten zufolge soll die Strecke aber für Containerzüge durchaus befahrbar sein. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann warf dem Ministerium deshalb "Taschenspielertricks" vor. Würden auch die leichten Güterzüge, "die dort nicht fahren werden", herausgerechnet, komme nur ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 0,92 heraus, sagte Hermann, der auch Vorsitzender des Verkehrsausschusses ist. Diese Methodik nannte Ramsauer unzulässig. "Ich nehme die Grünen ernst, aber irgendwo hört der Spaß auf", sagte er. "Alle Lebenswirklichkeiten zeigen, dass es hier Fracht geben wird."

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Für andere Eisenbahn-Strecken sieht die Prognose schlechter aus. Von insgesamt 38 überprüften Bauvorhaben erfüllen neun nicht mehr das Kriterium der Wirtschaftlichkeit. Die überwiegend norddeutschen Projekte betrafen meist den zweigleisigen Ausbau bislang eingleisiger Verbindungen. Sie sollen nun zunächst nicht weiter verfolgt werden, bleiben aber dennoch im sogenannten Bedarfsplan enthalten. "Der Befund einer fehlenden Wirtschaftlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit fehlendem Bedarf", sagte Ramsauer.

Andere Projekte, wie etwa die Y-Trasse von Bremen und Hamburg nach Hannover, seien angepasst worden, um die Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Den höchsten Wert erhält mit 6,7 die umstrittene Fehmarnbeltquerung von Schleswig-Holstein nach Dänemark. Die Projekte des Bundes werden turnusmäßig alle fünf Jahre überprüft. Damit werden Änderungen beim Verkehrsaufkommen, vor allem aber bei den Kosten berücksichtigt.

Die seien in erster Linie bei der Bahn in den vergangenen Jahren stark gestiegen, heißt es im Verkehrsministerium. Grund seien höhere Baupreise, aber auch zusätzliche Sicherheitsvorschriften etwa beim Bau von Tunneln. Die Einführung eines europaweit einheitlichen Systems für die Zugsicherung verschlingt ebenfalls viel Geld. Schienenprojekte fielen damit "mehr und mehr unter die Schwelle der Wirtschaftlichkeit", heißt es in dem Gutachten des Ministeriums. "Damit verlieren auch verkehrlich sinnvolle Projekte die Bauwürdigkeit."

Ein Schicksal, das den Fernstraßen des Bundes offenbar erspart bleibt. Insgesamt 5500 Kilometer Bundesstraßen stehen im Bedarfsplan des Bundes, davon 850 Ortsumgehungen. Die Prognosen gehen hier von einem noch stärkeren Zuwachs aus als auf der Schiene; allein der Personenverkehr im Auto könnte zwischen 2015 und 2025 um 13 Prozent steigen.

Die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Saarland liegen dabei weit über dem Durchschnitt. Das beeinflusst auch die Berechnungen über die Wirtschaftlichkeit: Das Verhältnis von Kosten zu Nutzen liegt nach Berechnungen des Ministeriums bei 4,7. Bei vielen Autobahnen habe es sich seit der letzten Erhebung im Jahr 2004 noch erhöht.

Vorwürfe, der Bund stelle Bahnprojekte zugunsten der Straße hintan, wies Ramsauer zurück. In Hinblick auf das Fracht-Wachstum müsse die Schiene "prioritär" ausgebaut werden. Billig wird das nicht : Das Gesamtvolumen der geplanten Verkehrsprojekte beläuft sich auf 26 Milliarden Euro.

© SZ vom 12.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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