Streit in der Union:Spahn kritisiert deutsche Flüchtlingspolitik

Key Speakers At Banks In Transition Conference

Jens Spahn

(Foto: Martin Leissl/Bloomberg)
  • Das CDU-Präsidiumsmitglied beklagt eine "beinahe euphorische Darstellung in den Medien" über die Flüchtlingspolitik, die die Sorgen vieler Bürger ignoriere.
  • In der öffentlichen Debatte gebe es "nur noch die Extreme, die selbsternannten absolut Guten und die hetzenden Ausländerfeinde, und nichts dazwischen".
  • Die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen verschlechtere sich "gerade stündlich".

Von Robert Roßmann, Berlin

Jens Spahn ist als Präsidiumsmitglied Teil der engsten CDU-Führung und Staatssekretär von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Er kritisiert jetzt als erster führender CDU-Politiker die aktuelle Flüchtlingspolitik in Deutschland.

SZ: Horst Seehofer und seine CSU kritisieren vehement die Entscheidung der Kanzlerin, die Grenze für Flüchtlinge geöffnet zu haben. War die Grenzöffnung tatsächlich ein Fehler?

Jens Spahn: Die Öffnung der Grenzen letztes Wochenende für Flüchtlinge aus Ungarn war in dieser speziellen Situation richtig, aber die Folgen sind immens. Das muss eine Ausnahme bleiben. Auch Flucht ist mittlerweile digitalisiert. Nachrichten und Bilder verbreiten sich per Whatsapp binnen Sekunden und setzen Zehntausende Menschen Richtung Deutschland in Bewegung. Das unterschätzen manche noch.

Was beklagen Sie damit konkret? Hätten die Kanzlerin, der Innenminister oder das Bundesamt für Migration etwas anders machen müssen?

In diesem Fall bringt Besserwisserei wenig. Tatsache ist aber: Am gestrigen Samstag sind allein am Münchner Hauptbahnhof mehr als 12.000 Flüchtlinge angekommen. Das Problem ist doch, dass wir gar nicht abschätzen können, wie viele Menschen sich durch Bilder und Berichte ermutigt fühlen, sich auch auf den Weg nach Deutschland zu machen, obwohl sie eigentlich schon auf sicherem Boden sind. Und wir alle betreten da gerade ziemliches Neuland, niemand hatte einen Masterplan für die jetzige Lage in der Schublade. Das bereitet vielen Sorge.

Laut Politbarometer halten aber zwei Drittel der Deutschen die Einreiseerlaubnis für richtig.

Ich sage Ihnen, das ändert sich gerade stündlich. Die Debatte wird in wenigen Tagen ganz anders aussehen. Wir sehen gerade eine klassische Schweigespirale: Viele meinen angesichts der beinahe euphorischen Darstellung in den Medien und in der öffentlichen Debatte, dass sie mit Ihren Sorgen und Fragen immer nur in der Minderheit sind. Sie finden sich nicht wieder, in dem was gesagt und gesendet wird, und werden deshalb immer verschlossener. Dabei ist die übergroße Mehrheit im Land derzeit in Sorge. Keiner bezweifelt, dass wir den Zuzug von mehr als 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr bewältigen werden. Aber die alles bestimmenden Fragen der Bürger sind: Wie viele kommen dann nächstes Jahr? Bekommt ihr die Lage wieder in den Griff? Und wie soll Deutschland das auf Dauer aushalten?

An den meisten deutschen Bahnhöfen werden die Flüchtlinge aber mit offenen Armen empfangen.

Wer mit einem Willkommens-Luftballon am Bahnhof steht, setzt ein schönes Zeichen für die Flüchtlinge und alle Beteiligten fühlen sich sicher gut dabei. Aber die eigentliche Arbeit leisten Tausende von Helfern beim Roten Kreuz, dem THW oder den Feuerwehren. Die sind es, die zusammen mit den lokalen Verwaltungen binnen Stunden Transporte, Unterkünfte und Verpflegung sicherstellen müssen. Diese Helfer leisten gerade fast Übermenschliches. Und wir werden sie bald überfordern, wenn aus dem Ausnahmezustand ein Dauerzustand wird. Denn diese Arbeit vor Ort verlangt Körper und Geist der Helfer Enormes ab, die sind am Limit.

SPD-Chef Gabriel sagt aber, Deutschland könne eine halbe Million Flüchtlinge jährlich aufnehmen.

Dann muss die SPD erklären, wie man sicherstellen kann, dass es bei einer halben Million Flüchtlinge jährlich bleibt. Außerdem sollten wir den Menschen auch ehrlich sagen, was wir ihnen da an Integrationsleistung abverlangen. Denn der Alltag von Millionen Deutschen in den Schulen, in der Nachbarschaft und auf der Arbeit wird sich natürlich verändern. Wenn in einer Schulklasse nun drei oder fünf Kinder sind, die kein Wort deutsch sprechen können, dann wird der Lehrer weniger Zeit für die anderen Schüler haben. Übrigens sind es meistens nicht diejenigen, die mit dem Luftballon am Bahnhof stehen, deren Alltag in Schule, Arbeit und Wohnumfeld sich durch die vielen Flüchtlinge ändern wird. Deutschland wird das schaffen. Aber es wird nicht nur gemütlich.

Ex-CSU-Chef Stoiber fordert, dass Flüchtlinge die "deutsche Leitkultur" anerkennen müssten. Teilen Sie diese Forderung?

Natürlich hat Stoiber Recht. Es werden hunderttausende Menschen dauerhaft in Deutschland bleiben, die mit einer anderen Kultur, Tradition und Religion als der unsrigen groß geworden sind. Natürlich müssen wir da vom ersten Tag an klar machen, dass die deutsche Rechts- und Werteordnung uneingeschränkt gilt. Die Trennung von Staat und Religion, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit, das alles ist nicht verhandelbar. Manch einer der Flüchtlinge ist in einer Gesellschaft groß geworden, die mit Juden oder Schwulen nicht gerade zimperlich umgeht, um es freundlich auszudrücken. Daher sollten wir für die, die wahrscheinlich auf längere Zeit in Deutschland bleiben werden, so früh als möglich verbindliche Deutschkurse und Informationen über die deutsche Kultur und Rechtsordnung anbieten. Es ist ja toll zu sehen, wie viele Freiwillige sich melden, um als Mentor, Pate oder Lehrer Flüchtlingen zu helfen, sich bei uns zurechtzufinden. Daraus kann positiv eine ganz neue bürgerschaftlich getragene Einwanderungskultur entstehen.

Die CSU hat Ungarns Ministerpräsidenten Orbán zu ihrer Klausur eingeladen. Ist das ein Fehler?

Ich wüsste echt viel, was es an Viktor Orbán und seiner Politik der letzten Jahre zu kritisieren gäbe. Aber eines weiß ich auch: Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union funktioniert nur bei sicheren Außengrenzen. Wenn die EU nicht die Kontrolle über ihre südöstliche Grenze zurückgewinnt, dann wird einer der entscheidenden Bausteine der EU, die durch das Schengen-Abkommen gesicherte Reisefreiheit, in kurzer Zeit implodieren. Und dazu brauchen wir Ungarn und die anderen Grenzstaaten. Die EU muss an diesem Montag in Brüssel bei dem Treffen der Innenminister zu einer gemeinsamem Politik zurückfinden. Übrigens sind die spanischen Gebiete in Nordafrika längst massiver gesichert als die ungarisch-serbische Grenze. Und niemand zweifelt ernsthaft daran, dass das nötig ist - auch wenn die Bilder von Menschen vor den Mauern einem manches Mal das Herz zerreißen mögen.

Was müsste Ihrer Ansicht denn getan werden, um die Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen?

Ein engagierteres Bekämpfen der Fluchtursachen und mehr Unterstützung der EU für die Flüchtlingslager rund um Syrien, damit die Millionen Menschen, die dort noch sind, dort auch gut versorgt bleiben können. Unterstützung für Ungarn und die anderen Grenzstaaten zur Sicherung der Außengrenze. Blitzverfahren und eine sehr schnelle Rückführung für aussichtslose Asylanträge vom Balkan, damit jedem dort klar ist, es lohnt sich erst gar nicht, sich auf den Weg zu machen. Eine Kommunikation in den jeweiligen Landessprachen in viele Länder, aus denen sich jetzt Menschen auf den Weg machen, die deutlich macht, dass nicht jeder in Deutschland Asyl wird finden können. Und vor allem eine offene Diskussion über die Herausforderungen und Probleme vor Ort. Es ist auf Dauer sehr gefährlich, wenn sich große Teile der Bevölkerung mit ihren Fragen in der öffentlichen Debatte nicht mehr wiederfinden, weil es wahrnehmbar nur noch die Extreme gibt, die selbsternannten absolut Guten und die hetzenden Ausländerfeinde, und nichts dazwischen.

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