SPD in der Krise:Die Aufgabe, endlich aufzugeben

Franz Müntefering, der so viel für seine Partei geleistet hat, ist schließlich auch an sich selbst gescheitert - vor allem daran, dass er sich für unersetzlich hielt.

Nico Fried

SZ: Wie sieht aus Ihrer Sicht in der Politik ein gelungener Abgang aus?

SPD in der Krise: Ein bisschen wie Edmund Stoiber: Franz Müntefering geht.

Ein bisschen wie Edmund Stoiber: Franz Müntefering geht.

(Foto: Foto: dpa)

Franz Müntefering: Das klingt vielleicht ein bisschen arrogant jetzt, aber ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie das irgendwann sein wird.

SZ: Haben Sie nicht Angst, Ihnen könnte es ähnlich ergehen wie Edmund Stoiber?

Müntefering: Nein, weshalb sollte es mir wie ihm gehen? Versteh' ich nicht.

SZ: Ein guter Abgang scheint in der Politik besonders schwierig zu sein. Das ist wie am Reck: Da turnt einer ganz lange und ganz schön - und dann fällt er statt auf die Füße auf den Bauch.

Müntefering: Ich nehm dann die Füße- vielleicht nach 2009. Aber ich kann auch niemandem versprechen, dass ich dann weg bin. Sagen wir so: Am Reck ist 'ne feine Sache. Jetzt dreh ich erst mal noch ein paar Runden an diesem Reck.

Franz Müntefering geht. Mal wieder. Sein erster Abgang war gar keiner: Im Herbst 2005 warf Müntefering den Vorsitz der SPD hin, weil es in einer Personalfrage nicht nach seinem Willen ging. Aber er blieb Minister und Vizekanzler. Sein zweiter Abgang war schon eher einer: Im November schied Müntefering aus der Regierung aus, um seine schwer kranke Frau zu pflegen. Sie starb im Sommer 2008. Wider manches Erwarten kehrte Müntefering zurück und übernahm erneut den SPD-Vorsitz. Vielleicht hätte er das lieber bleiben lassen. Vielleicht wäre es besser gewesen für Steinmeier. Und für Müntefering. Jetzt kommt der dritte Abgang. Auf den Bauch, nicht auf die Füße.

Müntefering hat stets erzählt, er habe eigentlich nicht zurückkehren wollen. Dann aber habe der frisch gekürte Kanzlerkandidat Steinmeier ihn vom Schwielowsee aus angerufen, wo eben Kurt Beck die Brocken hingeworfen hatte, und ihn gebeten, die SPD zu führen. Er habe einige Minuten überlegt, dann zugesagt. Müntefering, der Pflichtmensch. Müntefering, der stets Diener der Partei war und das Image pflegte, ohne persönlichen Ehrgeiz zu sein. Er war Geschäftsführer für Lafontaine, Generalsekretär, Fraktionschef und schließlich Parteichef für Schröder. Er war lange Zeit der zweite Mann, aber ohne ihn ging nichts.

Irgendwann gab es keinen mehr vor Müntefering. Er stand an der Spitze. Aber er konnte damit nicht erfolgreich umgehen. Die SPD weigerte sich, als Partei das Prinzip der Gefolgschaft zu übernehmen, dem er sich als Einzelner verpflichtet fühlte. Deshalb war er nur kurz der alleinige Chef der SPD. Auf die Frage, ob er ein sturer Knochen sei, antwortete Müntefering einmal: "Eigentlich sage ich immer: Konsequent sein können nur Heilige und Verbrecher; die anderen müssen gucken, dass sie irgendwie durchkommen. Aber ich gebe zu, dass ich auch so eine Neigung zur klaren Kante habe."

Den Parteichef Kurt Beck hat Müntefering nie akzeptiert. Obwohl Beck und Müntefering ähnlich sozialisiert wurden, können sie sich nicht leiden. Müntefering verübelt dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, dass der 2005 als einer der Ersten den Anspruch der SPD auf die Kanzlerschaft öffentlich in Frage stellte. Müntefering verübelt Beck, dass der Andrea Nahles 2005 nicht von ihrer Kandidatur als Generalsekretärin abbrachte. Beck verübelt Müntefering, dass der 2006 im Landtagswahlkampf die Rente mit 67 durchsetzte. Müntefering verübelt Beck, dass der gegen seinen Widerstand das Arbeitslosengeld verlängern wollte. Beck verübelt Müntefering, dass der ihn als Kanzlerkandidat in Frage stellte und schließlich daran beteiligt war, seine Autorität als Parteichef zu untergraben.

Müntefering war nicht mehr Müntefering

Beck gegen Müntefering - das ist eine für die Not der Sozialdemokraten exemplarische Beziehungsgeschichte. Beide gehören eindeutig zum Flügel der Regierungs-SPD, beide folgen einem Prinzip, das Müntefering einmal so beschrieben hat: "Die eigentliche Verantwortung beginnt bei der Handlungsbereitschaft. Nicht beim Besserwissen, sondern beim Bessermachen." Aber nach dem Ende der rot-grünen Regierung und in der großen Koalition konnten sich Beck und Müntefering über das Bessermachen nicht verständigen. Stellvertretend für die ganze SPD trugen diese beiden ihren Streit über den Umgang mit dem Erbe der Agenda 2010 von Gerhard Schröder aus. Nicht nur in der Sache, sondern auch im Stil, ein Machtkampf mit Intrigen und Verletzungen, der die ganze Partei ansteckte wie eine Influenza und bis heute nicht abgeklungen ist.

Man trifft sich immer zweimal im Leben, lautet eine Weisheit, mit der Sieger davor gewarnt werden, Verlierer zu demütigen. Beck und Müntefering sind sich nicht zweimal, sondern immer wieder begegnet, obwohl jedes Mal ein endgültiger Sieger festzustehen schien. Erst besiegte Beck Müntefering 2007 auf dem Hamburger Parteitag, dann besiegte Müntefering Beck am Schwielowsee. Jetzt ist Beck wieder in der Bundespolitik und muss gar nicht mehr viel tun, um den Fall Münteferings zu beobachten.

Franz Müntefering, der so unbestreitbar viel für die SPD geleistet hat, ist letztlich nicht nur, aber auch an sich selbst gescheitert. Eben doch ein bisschen wie Edmund Stoiber. Beide hielten es nicht für möglich, dass ihren Job auch andere können. Und wie bei Stoiber ist auch bei Müntefering sogar denkbar, dass tatsächlich lange Zeit niemand kommt, der es so gut kann. Jedenfalls nicht so gut wie Müntefering in seinen besten Zeiten.

Müntefering aber wollte in seinen letzten Runden am Reck nicht wahrhaben, dass seine besten Zeiten vorbei waren, dass ihm der Schwung fehlte. Natürlich litt nicht nur er, sondern die ganze SPD an dieser Kraftlosigkeit und viel zu lange auch der Kandidat. Müntefering aber wollte die Defizite kompensieren und schoss übers Ziel hinaus. Er brüskierte Steinmeier und machte sich selbst lächerlich mit seiner andauernden Polemik gegen die Kanzlerin. Er wollte den Wahlkampf mit den alten Mitteln führen. Aber 2009 war nicht 2005, Steinmeier war nicht Schröder. Und Müntefering war nicht mehr Müntefering.

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