Sozialministerin von der Leyen:Chip, Chip, Chip

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Sozialministerin von der Leyen charmiert mit der Chipkarte - tatsächlich aber verweigert sie sich dem Auftrag des Verfassungsgerichts: Bis heute hat man zu den neuen Regelsätzen für Kinder, die das Hartz-IV-Urteil verlangt, kein Wort gehört.

Heribert Prantl

Ursula von der Leyen ist pädagogisch so wertvoll, dass man nicht mit ihr spielen mag - so hat einmal eine ihrer Kolleginnen gespottet. Das klingt sehr boshaft, ist aber eigentlich gar keine abträgliche Charakteristik für eine Frau, die einem so schwierigen Ministerium vorsteht. Wenn man in dieser schwarz-gelben Bundesregierung für den Arbeitsmarkt, für Hartz IV und die Sozialkassen zuständig ist, darf man nicht mit sich spielen lassen.

Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen plant eine Bildungs-Chipkarte für bedürftige Kinder. Über die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze hat sie indes noch kein Wort verloren. (Foto: APN)

Schlecht ist freilich, dass es die Arbeits- und Sozialministerin selbst ist, die seit Monaten spielt und herumtändelt. Sie tut das mit einem der wichtigsten Urteile des Bundesverfassungsgerichts - dem Hartz-IV-Urteil vom 9. Februar.

Karlsruhe hat in diesem Urteil die Politik verpflichtet, die Grundsicherung nach Hartz IV völlig neu zu berechnen, und zwar schleunigst, nämlich bis zum 31. Dezember. Die Ministerin aber lässt Monat um Monat verstreichen, ohne dass man von einer Neuberechnung der Sätze irgendetwas hören würde. Kein Wort darüber ist bisher mit den Landessozialministern gesprochen worden, kein Wort mit den Wohlfahrtsverbänden.

Stattdessen versucht die Ministerin, die Öffentlichkeit mit einer neuen Auszahlungsmodalität der Sozialleistungen zu charmieren. Der "Chip", mit dem von der Leyen politisch hausieren geht, ist nichts anderes als eine besondere Art der Auszahlung eines (kleinen) Teils der Hartz-IV-Leistung - von deren Höhe man aber nach wie vor nicht die geringste Ahnung hat.

Kekse statt Brot

Die Ministerin handelt wie eine Bäckerin, bei der Brotlaibe bestellt sind, die aber stattdessen Kekse liefert. Sie erfüllt den Reformauftrag des Bundesverfassungsgerichts nicht; auch beim Spitzengespräch der Sozialminister von Bund und Ländern kam sie diesem Auftrag keinen Schritt näher.

Natürlich ist es sachgemäß, wenn (wie dort besprochen) Zusatzleistungen zur Grundsicherung für Kinder - also das Mittagessen an der Schule und ein Nachhilfeunterricht - gleich als Sachleistung gewährt werden und die Eltern nicht erst mit Geld oder mit Chips herumhantieren müssen. Darüber muss nicht lang gestritten werden. Bei solchen Zusatz-Sachleistungen werden sich CDU und SPD schnell einig werden. Grundlegend sind aber zunächst einmal die Grundleistungen: Karlsruhe hat der Politik aufgegeben, das Paket der Sozialleistungen ganz neu zu packen. Da reicht es aber nicht, einen Chip hineinzulegen.

Die Verfassungsrichter hielten die bisherige Festsetzung der Regelsätze für schludrig, für undurchsichtig, unzulässig pauschaliert und anrüchig.

Die Regelsätze müssen, das ist der Arbeitsauftrag des Verfassungsgerichts, ohne Winkelzüge neu festgesetzt werden - und zwar so, dass das dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum entspricht. Die Ministerin von der Leyen tut das bisher nicht. Ein solches Grundrecht auf das Existenzminimum kann der Staat nämlich nicht nur in Chips auszahlen; er kann allenfalls Chips drauflegen.

© SZ vom 21.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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