Sozialdemokratie:Die SPD gibt vor allem Sigmar Gabriel die Schuld an ihrem Absturz

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Martin Schulz und Sigmar Gabriel: alles andere als ein Dream Team für die SPD. (Foto: dpa)
  • Die SPD steckt in einem historischen Tief, Umfragen sehen sie bei unter 20 Prozent.
  • Um die Fehler zu analysieren, haben sie einen ausführlichen Bericht in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse nun veröffentlicht werden sollen.
  • Geradezu vernichtend fällt das Urteil über den langjährigen Parteichef Sigmar Gabriel aus. Die Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses seien zum "Spielball undurchsichtiger Machtkämpfe" geworden.

Von Mike Szymanski, Berlin

In ihrer Analyse zum schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl 2017 wirft die SPD ihren früheren Vorsitzenden schwere Versäumnisse vor. Dem Spitzenkandidaten Martin Schulz und dessen Vorgänger an der Parteispitze, Sigmar Gabriel, sei es nicht gelungen, die SPD in eine erfolgreiche Kampagne zu führen.

Geradezu vernichtend fällt das Urteil über Sigmar Gabriel aus. Gabriel führte die Partei von 2009 bis 2017 und hatte damit auch die missglückte Kampagne mit dem Kandidaten Peer Steinbrück im Jahr 2013 mitzuverantworten. In beiden Wahlkämpfen hätte es der SPD an Strategien gefehlt, und wo es welche gab, hätte sich Gabriel darüber hinweggesetzt. "Seine Stärke sah er in kurzfristiger Taktik", heißt es in der 108 Seiten umfassenden Analyse, mit der sich der Parteivorstand am Montag in Berlin befasste.

"Gravierende handwerkliche Fehler"

Beauftragt wurde das Dokument von Martin Schulz als Parteichef, erstellt hat es ein fünfköpfiges, externes Team um den früheren Spiegel-Journalisten Horand Knaup. Die Autoren zeichnen von Gabriel das Bild eines Chefs, der nicht zu Teamarbeit in der Lage gewesen sei, vieles habe selbst kontrollieren wollen und nur die eigene Zukunft im Auge gehabt habe. "Zu keinem Zeitpunkt der Ära Gabriel gab es ein belastbares Vertrauensverhältnis zwischen dem Parteivorsitz und dem Generalsekretariat."

Die Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses seien zum "Spielball undurchsichtiger Machtkämpfe" geworden. Gabriel habe das Amt des Außenministers "als Pfand für seinen Verzicht" auf die Kanzlerkandidatur gefordert. Wie schon im vorausgegangenen Wahlkampf habe er die gesamte Partei zur "Geisel seiner Launen, Selbstzweifel und taktischen Manöver" gemacht. Die übrige Parteiführung habe ihn "unkontrolliert gewähren" lassen, sie habe nicht den Mut gehabt, "dem Parteivorsitzenden Einhalt zu gebieten".

Aber auch Schulz - 2017 mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt - kommt in der Analyse über das zu erwartende Maß hinaus schlecht weg. Seit Ende 2015 sei Schulz als möglicher Kanzlerkandidat im Gespräch gewesen. "Es wäre also auch für ihn Zeit zur inhaltlichen und personellen Vorbereitung vorhanden gewesen. Sie wurde nicht genutzt." Schulz' Wahlkampf habe "keine Strategie, keine frischen Themen, kein eingespieltes Team, keine Kampagne und keine Idee" gehabt. "Wie schon Steinbrück 2013 ging auch Schulz diese Aufgabe ohne den nötigen Respekt vor der Herausforderung an." Beide seien offenbar der Meinung gewesen, "dass die Welt nur auf sie gewartet hatte, und der Wahlkampf ein Spaziergang sei."

Hinzu kämen gravierende handwerkliche Fehler, angefangen bei Plakaten, etwa zur Familienpolitik: "In der Bildsprache dominierten schreiende oder schmollende Kinder." Überhaupt sei es der Partei nicht gelungen, ihre Positionen klar zu machen: "Die SPD ist für den Frieden und genehmigt Rüstungsexporte. Die SPD ist für sichere Arbeitsverträge und schränkt die Leiharbeit nicht ein. (. . .) Solche Politik überzeugt nicht, weil dahinter keine Haltung erkennbar wird", heißt es weiter.

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Was die SPD von der Union unterscheide, sei völlig unter die Räder gekommen. Zu Beginn der heißen Wahlkampfphase konnten in Umfragen nur 23 Prozent der Befragten deutliche Unterschiede identifizieren, in der SPD-Zielgruppe sogar noch weniger. "Es war daher für diese WählerInnen eine durchaus sinnvolle Option, der erfahreneren und bereits vertrauten Kanzlerin ihre Stimme zu geben."

Parteichefin Andrea Nahles versuchte dem Eindruck entgegenzutreten, die Verantwortung solle bei Einzelnen abgeladen werden. "In Wahrheit geht es in dieser Analyse Gott sei Dank nicht um Schuldzuweisung. Es geht um systemische Probleme." Die könnten nur durchs Zusammenspiel aller gelöst werden. Sie mache sich die Analyse auch nicht komplett zu eigen. Dennoch müsse ein "Ruck durch die Reihen" der Partei gehen. Als Konsequenz soll vor der Sommerpause das Willy-Brandt-Haus umstrukturiert werden. Die Parteizentrale müsse wieder kampagnenfähig werden. Angesichts des schlechten Wahlergebnisses und Sonderausgaben in Millionenhöhe steht die Zentrale zudem vor einem Personalabbau - sie muss nicht nur besser, sondern auch kleiner werden.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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