Schuldenhaushalte:Europas Krise kommt zurück

Seit drei Jahren quält sich Europa mit einer Lösung für die Krise, unter dem ökonomischen Druck bröselt die Politik. Wenn die Börsenhändler auf das italienische Wahlergebnis reagieren und die Defizitzahlen in Anleihenkurse umrechnen, geht die Krise in die nächste Runde. Die Deutschen werden dann nicht so tun können, als gehe sie das alles nichts an.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Es gibt in Europa gerade die grobe Ironie und die feine Ironie zu bewundern. Grob kommt sie daher in Bulgarien, wo der Ministerpräsident Bojko Borissow gleich nach seinem Amtsantritt 2009 inkognito über die Grenze nach Griechenland fuhr, um entsetzt festzustellen, dass es dort ja "gar keinen Staat" gebe. Jetzt musste der Ministerpräsident zurücktreten, weil sein Volk zu viel bulgarischen Staat zu spüren bekam und im Wirbel ums Sparen, Streichen und Bezahlen keinen anderen Ausweg mehr sah, als die Regierung davonzujagen.

Die feine Ironie wird sich bis Montag an der Person des feinen italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti entladen, von dem sich das Volk ebenfalls verabschiedet. Monti hat nur eine geringe Chance auf Wiederwahl, obwohl er anders als Borissow wahrlich nicht zu viel reformiert und gespart hat. Die Italiener sehen das freilich in ihrer Mehrheit anders, weshalb nun Politiker an die Macht kommen könnten, die entweder gleich den Euro zum Teufel jagen wollen oder zumindest die wenigen Reformen von Monti. Beides ist nicht gut für Italien.

Italien, Bulgarien, Frankreich: Die Stimmung ist trostlos

Während Italien und Bulgarien also auf neue Regierungen und bessere Zeiten warten, ist die Stimmung in vielen anderen Ländern der EU nicht minder trostlos. An diesem Freitag veröffentlicht die EU-Kommission ihre Defizit-Vorausschau, die unangenehme Nachrichten vor allem für Frankreich beinhalten wird: Das Land wird mehr Schulden machen müssen, als die EU erlaubt. Vielleicht predigt Präsident François Hollande deswegen seit Wochen, dass nun endlich Schluss sein müsse mit dem Sparen; der Staat müsse stattdessen die Wirtschaft mit frischem Geld stimulieren. Die Griechen, die Hollande am Dienstag besuchte, werden die Botschaft mit Freude vernommen haben.

Drei Jahre wird die Schulden- und Strukturkrise in diesem März alt, seit drei Jahren quält sich der Kontinent hin zur richtigen Politik, seit drei Jahren wechseln Phasen höchster politischer Anspannung mit Momenten vermeintlicher Entspannung. Und deswegen liegt keine Kunst in der Prognose, dass die lange, jüngste Phase der Entspannung mit diesem Wochenende, mit der Defizitprognose aus Brüssel und den italienischen Wahlen, enden wird. In Italien wird es keine Mehrheit für Reformen geben, mit Glück bleibt es bei einer politischen Stagnation.

In Frankreich wird Hollande mehr und mehr von seinen innenpolitischen Problemen aufgefressen, zumal wenn etwa Deutschland auf einer Reduzierung des Defizits auf die erlaubten drei Prozent beharrt. Spaniens konservative Regierung reibt sich unterdessen im Schwarzgeldskandal auf und verliert alle Kraft für die anderen Aufgaben.

Hätte die Not mit Steinbrück ein Ende?

Über allem aber liegt der große Schatten in diesem europäischen Krisenjahr: die Bundestagswahl in Deutschland im September. Wenn Peer Steinbrück, wie nun im Bundestag, vor "Verarmung" und "Kaputtsparen" warnt, dann lautet die Übersetzung für Italiener und Franzosen: Sie können mit all ihren Entscheidungen abwarten bis September. Denn wenn der Mann Bundeskanzler wird, dann hat die Not ein Ende.

Hätte sie das wirklich? Ist es nur Angela Merkels Spardiktat, das Europa ins Jammertal verbannt? Plötzlich ist da wieder eine alte Bekannte aus den Krisenjahren, die Frage nach der Alternative: Soll man sparen oder stimulieren, Haushalte kürzen oder Wachstumsprogramme auflegen? In Wahrheit sind die Alternativen viel komplizierter: Da geht es um den angemessenen Anteil des Staates in einem Wirtschaftssystem, um Dirigismus oder Liberalität, um die Bedeutung von Souveränität und die Handlungskraft einer Nation in der globalisierten Welt, um Wettbewerbsfähigkeit und Modernisierung.

Austerität und Stimulanz führen ein wildes Tänzchen auf

Das aber ist zu kompliziert, und deswegen führen seit drei Jahren Austerität und Stimulanz ein wildes Tänzchen auf. Seit drei Jahren wird beharrlich die Nachricht ignoriert, dass neue Saat nur auf einem frisch gepflügten Acker aufgehen kann. Übersetzung: Alles Zentralbank-Geld wird nicht helfen, jedes staatliche Konjunkturprogramm wird scheitern, wenn die Arbeitsmärkte nicht reformiert sind, wenn die Euro-Staaten eine Wirtschaftspolitik nach Wetterlage und nationalem Bedarf betreiben können.

Allein: Der Schmerz sticht, die Krise tut weh, unter dem ökonomischen Druck bröselt die Politik. Es dauert eben schon alles viel zu lange. Wenn am Dienstag die Börsenhändler auf das italienische Wahlergebnis reagieren und die EU-Defizitzahlen in Anleihenkurse umrechnen, dann ist die Krise zurück. Die Deutschen werden dann nicht so tun können, als gehe sie das alles nichts an. Denn diese Runde wird auch in Deutschland entschieden - in der Wahl im September.

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