Saudi-Arabien nach Massenhinrichtung:Graffiti-Diplomatie

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Deutscher Kultur-Vertreter in Riad: der Sprayer Jens Besser (rechts) auf einem Brachgelände in Dresden, das von Graffitisprayern genutzt wird. Stadtrat Torsten Schulze (links) setzt sich für die Nutzung solcher innerstädtischen Gelände ein. (Foto: Sven Ellger/Imago)

Das Goethe-Institut ist entsetzt über die kürzlichen Hinrichtungen in Saudi-Arabien - und schickt trotzdem Sprayer und Hip-Hopper nach Riad.

Von Philipp Nowotny

Durch ein kaputtes Autofenster klettert Jens Besser im Februar 2015 in das Innere des Betonwürfels. Es ist ein bizarres Kunstwerk in der saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda: mehrere Autokarosserien ragen aus dem Kubus heraus.

Stundenlang arbeitet Besser, ein Dresdner Graffiti-Künstler, in dem Hohlraum. Draußen passt ein Freund auf, ob Polizei auftaucht. "Genehmigte Kunst ist langweilig und regt niemanden auf", sagt Besser. "Wer nirgendwo anstößt, verändert nichts."

Eigentlich ist Jens Besser - künstlerisch sozialisiert in den sächsischen Abrisshäusern der Nachwendezeit und später an der Dresdner Kunsthochschule - vor einem Jahr nach Saudi-Arabien gekommen, um auf Einladung des Goethe-Instituts zwei Graffiti-Workshops für Grafikdesigner und Straßenkinder abzuhalten.

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Doch in dem Betonwürfel, mit Atemmaske und Farbe ausgerüstet, setzt Besser ein Statement. Er zeichnet ein assoziatives Netz an die Wände: hier ein Espressokocher, dort eine Skizze der Kaaba, das islamische Heiligtum; dann noch eine Wasserflasche, weil Besser durstig ist.

Anarchie und Freiheit: Die Leute aus der kleinen lokalen Graffiti-Szene von Dschidda sind begeistert. Ärger mit der Ordnungsmacht? Bleibt aus.

In ein paar Wochen, Mitte Februar, wird Besser nun erneut nach Saudi-Arabien fliegen, zum Janadriyah-Festival bei Riad, wo das wahhabitische Königreich zwei Wochen lang seine Traditionen feiert, mit Kamelreiten und alten Tänzen. In Saudi-Arabien, wo nicht einmal öffentliche Kinos existieren, ist das Janadriyah-Festival seit der Gründung 1985 die wichtigste Kulturveranstaltung des Landes.

Auch Frauen treten im deutschen Pavillon auf

Deutschland ist in diesem Jahr als Gastland dabei. Der "Sprayer" Jens Besser wird in Riad die deutsche Kulturnation vertreten, neben Hip-Hoppern und Bläserquartett. Koordiniert wird das Programm vom Regionalinstitut des Goethe-Instituts in Kairo.

Zurzeit werde die Planung aber noch einmal überprüft, heißt es, "vor dem Hintergrund der aktuellen Situation". Saudi-Arabien hatte Anfang Januar 47 angebliche Terroristen hinrichten lassen, darunter den oppositionellen schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr. Die Folge waren weltweite Kritik und enorme Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran. Politiker aus der Union und den Oppositionsparteien forderten Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf, seinen angekündigten Besuch abzusagen. Steinmeier wies dies zurück: Er verstehe zwar die Skepsis, doch wer in der Region etwas bewegen wolle, müsse mit den Konfliktparteien reden.

Ähnlich argumentiert auch das Goethe-Institut, das seit 2014 ein Büro für Sprachkurse in Riad unterhält: Man sei bestürzt über die aktuellen Hinrichtungen in Saudi-Arabien und verurteile diese klar. Doch gleichzeitig sei man der Grundüberzeugung, dass ein Ansatz für gesellschaftlichen Wandel nur im direkten Austausch mit der Bevölkerung, im Gespräch oder in gemeinsamen kulturellen Begegnungen bestehe. Bei einem Boykott bestehe indes die Gefahr, die Falschen zu treffen: Personen und Szenen, die ohnehin offen gegenüber anderen Kulturen sind.

Das Goethe-Institut wird im deutschen Pavillon des Janadriyah-Festivals Literatur, Musik, Kleinkunst und Artistik präsentieren. Auch Frauen treten auf. "Für Saudi-Arabien ist schon das eine kleine Sensation", sagt Sprecher Jörg Schumacher. Den Schwerpunkt setzt das deutsche Konzept auf interaktive Elemente wie Improvisationstheater, Fußball-Freestyle und einen Hip-Hop-Jam.

© SZ vom 19.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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