Röttgen und der Atomkompromiss:Unerklärliche Leichtigkeit des Scheins

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Der CDU-Umweltminister wollte die AKW-Laufzeiten so kurz wie möglich verlängern. Es kommt anders - und trotzdem legt Röttgen den Atomkompromiss mit einer Verve als eigenen Erfolg aus, die selbst Kritiker staunen lassen muss.

Wolfgang Jaschensky

Nach wenigen Minuten hat Wirtschaftsminister Rainer Brüderle seinen Part zu Ende gebrummt und die wichtigsten Fakten zum Atomkompromiss verkündet. Die Energieriesen dürfen ihre Atommeiler im Schnitt zwölf Jahre länger betreiben und müssen dafür über die Brennelementesteuer und eine Sonderabgabe die Hälfte der anfallenden zusätzlichen Gewinne abgeben.

Für die Atomkraftwerke in Deutschland gilt nach dem Atomkompromiss: Die sieben ältesten Reaktoren dürfen acht Jahre länger laufen, die zehn jüngeren Meiler 14 Jahre. (Foto: SZ-Graphik: Hanna Eiden, Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz, dpa)

Dann übergibt Brüderle an Norbert Röttgen, mit dem er bis zum Vorabend über Kreuz lag, der sich im vergangenen Jahr zum Kämpfer gegen die Atomkraft aufgeschwungen und damit fast die gesamt Koalition gegen sich aufgebracht hat.

Der Umweltminister setzt sein bestes So-sehen-Sieger-aus-Lächeln auf und verkündet: "Ich bin der Auffassung, dass wir mit den Beschlüssen für die nächsten 40 Jahre ein energiepolitisches Gesamtkonzept vorgelegt haben, das in den westlichen Industrieländern noch nicht übertroffen worden ist." Röttgen legt den Kompromiss mit einer Verve als einen Röttgen-Erfolg aus, die selbst Kritiker ins Staunen bringen müsste.

Einer davon hat Röttgens Auftritt nicht bewundern können, weil er fast zeitgleich auf einem Volksfest in Bayern auf der Bühne stand: Sigmar Gabriel, Röttgens Vorgänger als Umweltminister und inzwischen SPD-Chef, findet im Bierzelt von Gillamoos deutliche Worte: "So dreist ist in Deutschland noch nie der Eindruck erweckt worden, Politik sei käuflich." Grünen-Chefin Claudia Roth hält die "lobbygeleitete Politik" von CDU und FDP für einen "Anschlag auf die Sicherheit der Menschen im Land".

Röttgen aber ruht so in sich selbst, dass er sich von solcher Kritik auch nicht beirren lassen würde, könnte er sie hören. Um sicher zu gehen, dass alle ihn richtig verstanden haben, formuliert Röttgen also noch einmal: Der Kompromiss der Regierung sei "das anspruchsvollste energiepolitische Programm", das es überhaupt je gegeben habe. Dann spricht der Umweltminister über Energieeffizienz, Windparks, Klimaschutz und Marktprämien für den erneuerbaren Strom.

Bis 2030 soll der Ökostrom-Anteil auf 50 Prozent und bis zum Jahr 2050 auf 80 Prozent steigen. Um Verbraucher und Wirtschaft beim Energiesparen zu unterstützen, plant die Koalition einen "Effizienzfonds". Über die Staatsbank KfW sollen schon von 2011 an Investitionen in den Ausbau von Windparks in der Nordsee gefördert werden. Bauminister Peter Ramsauer erhält den Auftrag, dafür zu sorgen, dass noch mehr Bürger ihre Häuser energieeffizient sanieren.

Alles durchaus Erfolge für den Umweltminister. Doch in zentralen Punkten musste sich der CDU-Mann mit dem Merkel-Gen am Ende seinen Kontrahenten beugen. Im Februar hatte Röttgen in der Süddeutschen Zeitung seine Parteifreunde gewarnt, sie sollten sich "gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal" machen wollten. Und: "Der Staat muss jeden Anschein vermeiden, er schöpfe Sondergewinne ab und mache dafür Zugeständnisse bei der Sicherheit."

Von verbindlichen Sicherheitsauflagen ist im Energiekonzept nicht mehr die Rede, dafür werden Sondergewinne abgeschöpft. Der Atomausstieg, von Rot-Grün auf das Jahr 2022 festgelegt, verzögert sich mindestens bis 2035. Röttgen kämpfte für Laufzeitverlängerungen von maximal acht Jahren. Doch durch Laufzeitübertragungen könnten auf Basis des Kompromisses in Deutschland noch im Jahr 2060 Atomkraftwerke in Betrieb sein.

Am meisten sollte sich der Umweltminister aber wohl darüber Gedanken machen, von wem er für sein Konzept gelobt wird: An den Börsen sagen Analysten, dass der Beschluss für die Versorger noch besser ausfalle als ursprünglich angenommen und der Energiekonzern Eon jubelt über die "intelligente Entscheidung". Die Aktien der Energiekonzerne sind am Montag im Aufwind.

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