Regierungserklärung im Bundestag:Merkel will keine "Rosinenpickerei" bei Brexit-Verhandlungen zulassen

  • Bei einer Sondersitzung des Bundestags hebt Kanzlerin Merkel die engen Beziehungen zum Vereinigten Königreich hervor, die auch nach einem EU-Austritt des Landes "eng und freundschaftlich" sein sollten.
  • Sie betonte jedoch, dass es einen deutlichen Unterschied geben muss, zwischen einem Staat, der Mitglied der EU ist, und einem, der dies nicht mehr ist.

Im Bundestag hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt, was aus ihrer Sicht aus dem Brexit-Votum der Briten folgt. Die Regierungschefin hob hervor, dass die Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union auch künftig "eng und freundschaftlich" gestaltet werden sollen.

Zugleich betonte sie jedoch, dass es natürlich einen Unterschied geben werde, zwischen einem Land, das Teil der EU sei, und einem, das es eben nicht mehr sei. "Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden", sagte die Kanzlerin. Niemand könne erwarten, dass mit einem EU-Austritt Pflichten entfallen, Privilegien aber bestehen bleiben.

Als Beispiel nannte Merkel den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt. Wer ihn wolle, müsse zugleich die vier EU-Grundfreiheiten akzeptieren, also Freizügigkeit für Menschen, Güter, Dienstleistungen und Kapital.

Keine Vorgespräche - weder formell noch informell

Konkrete Verhandlungen darüber, wie die Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU künftig aussehen werden, können Merkel zufolge erst dann beginnen, wenn Großbritannien seinen Austrittsantrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags einreicht und die EU-Staaten gemeinsam Leitlinien für die Gespräche festgelegt haben. Es werde bis dahin keine Vorgespräche geben, "weder formell noch informell", sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung.

Nach Abgabe des Austrittsantrags gibt es laut EU-Vertrag eine zweijährige Frist für Verhandlungen, die nur einstimmig von den EU-Staaten verlängert werden kann. "Solange die Verhandlungen laufen, bleibt Großbritannien Mitglied der Europäischen Union", sagte Merkel.

Merkel strebt an, dass die 27 Staaten bis zum März 2017, dem 60. Jahrestag des Abschlusses der Römischen Verträge, eine gemeinsame Haltung zum Brexit erarbeiten. Die römischen Verträge gelten als Grundlage der späteren Schaffung der Europäischen Union.

Entscheidend für die Zukunft der EU ist nach den Worten Merkels, dass sich nun die 27 Mitgliedsstaaten, die nach einem Austritt Großbritanniens verblieben, als willens und fähig erwiesen, gemeinsam die richtigen Entscheidungen zu treffen. "Gemeinsam, das heißt immer alle 27", sagte sie, große und kleine, alte und neue Mitglieder.

Merkel rief dazu auf, die Debatte darum, was für die EU selbst aus dem Leave-Votum der Briten folge, nicht auf die Frage nach mehr oder weniger Europa zu verengen. Vielmehr brauche es ein "erfolgreiches Europa", das das Leben der Menschen verbessere. Sie verwies auf das Wohlstandsversprechen in Lissabon im Jahr 2000. Es sei nicht eingehalten worden, deshalb aber nicht falsch.

Kanzlerin hebt historische Bedeutung der EU hervor

Alle Schlussfolgerungen aus dem Brexit-Beschluss werde sie immer mit "historischem Bewusstsein" ziehen, sagte Merkel. Man dürfe nie vergessen, dass "die Idee der europäischen Einigung eine Friedensidee war". Angesichts der Flüchtlingsbewegungen oder des internationalen Terrorismus sei klar, dass die Aufgaben nur gemeinsam zu bewältigen seien. Die EU habe schon zuvor ihre Wandlungsfähigkeit bewiesen. "Die EU ist stark genug, um den Austritt Großbritanniens zu verkraften."

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