Psychologie:Wir sind keine Rassisten, aber...

Lesezeit: 6 min

Am 16. September 2016 wird der unbewaffnete Schwarze Terence Crutcher von einer Polizistin in Tulsa erschossen. (Foto: AP)

...so einfach ist es nicht. Psychologen wissen, wie man differenziert mit Vorurteilen umgeht - und sie besiegt.

Von Markus C. Schulte von Drach

Neigen US-Polizisten zum Rassismus? Diese Frage spielt in den Debatten im US-Wahlkampf eine wichtige Rolle. Mehrfach gab es in jüngster Zeit Proteste, nachdem Polizisten bei Kontrollen unbewaffnete Schwarze erschossen hatten. Und Statistiken belegen, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt: Für einen unbewaffneten Schwarzen in den USA ist das Risiko, bei solch einem Zwischenfall getötet zu werden, deutlich höher als für einen unbewaffneten Weißen.

Die Debatte, die im Wahlkampf wegen der Todesfälle entbrannt ist, zeigt, wie schwer sich die Politik damit tut, Themen wie Vorurteile und Rassismus vernünftig zu diskutieren - etwas, das sich übrigens auch in anderen Ländern, auch in Deutschland - bebachten lässt. Dabei gibt es durchaus fundierte Erkenntnisse von Psychologen und Juristen, die dabei helfen könnten, die Diskussion auf eine sachliche Ebene zu stellen.

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In die breitere Debatte um diese Frage hat zwar schon der richtige Begriff seinen Weg gefunden. Mike Pence etwa, Donald Trumps Running Mate, erklärte kürzlich, es reiche jetzt, dass versucht werde, den Strafverfolgern bei jeder Gelegenheit, bei der sich eine Tragödie ereigne, einen "Implicit Bias" vorzuwerfen.

Implicit Bias ist der wissenschaftliche Begriff für unbewusste Vorbehalte gegenüber bestimmten Gruppen. Pence benutzt ihn jedoch - wie viele andere auch - als Synonym für Rassismus. "Wenn afroamerikanische Polizisten bei einer Polizeiaktion auf einen Afroamerikaner schießen, wie kann Hillary Clinton dann diesen afroamerikanischen Polizeibeamten Implicit Bias vorwerfen?", fragte Pence.

Der Implicit Bias ist eine komplexe Sache, er ist aber auch ein Schlüsselbegriff für eine sachliche Diskussion über Rassismus und Vorurteile. Es gibt Politiker, die zumindest halbwegs verstanden haben, was damit gemeint ist. Dazu gehört Hillary Clinton, gegen die sich Pences Vorwürfe richten. Während der ersten TV-Debatte mit Donald Trump hatte der Moderator Clinton gefragt, ob sie glaube, die Polizei sei "implicitly biased" gegenüber Schwarzen.

"Ich glaube, Implicit Bias ist ein Problem für jeden, nicht nur für die Polizei", antwortete Clinton. Unglücklicherweise würden zu viele Menschen vorschnelle Schlussfolgerungen über andere ziehen. Alle müssten sich der schwierigen Frage stellen: Warum fühle ich auf diese Weise?

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Ihre Antwort wurde von vielen missverstanden. "Hillary Clinton bezeichnet die ganze Nation als rassistisch", hieß es in der Washington Post. Sie behaupte, "im Herzen sind wir alle Rassisten", kommentierte das Wall Street Journal.

Tatsächlich war Clintons Wortwahl nicht glücklich. Sie zeigt, dass auch die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ihre Schwierigkeiten hat mit dem Konzept. Denn es geht gerade nicht um "vorschnelle Schlussfolgerungen" und Gefühle, derer man sich selbst bewusst ist. Wissenschaftler unterscheiden zwischen dem, was gewöhnlich als Rassismus bezeichnet wird, und unbewussten Vorbehalten.

Ein Trick deckt das Unbewusste auf

Implicit Bias gehört zu den Prozessen, über die unser Gehirn Assoziationen zwischen verschiedenen Dingen herstellt, damit wir schnelle Entscheidungen treffen können. Allerdings ohne rationale Abwägungen, nur auf der Grundlage unbewusster positiver oder negativer Bewertungen. Das kann die Wahl der Kleidung oder Nahrung genauso beeinflussen wie das Verhalten gegenüber Personen mit bestimmten Eigenschaften.

1998 machten Wissenschaftler um Anthony Greenwald von der University of Washington in Seattle die unbewussten Einstellungen mit einem Trick erstmals der empirischen Forschung zugänglich: Dazu wurden Versuchspersonen auf einem Monitor zum Beispiel Fotos von Personen unterschiedlicher Hautfarbe und negativ oder positiv besetzte Begriffe gezeigt, auf die mit Tastendruck reagiert werden muss. Da die Aufgabe ist, die Tasten schnellstmöglich zu drücken, wird Nachdenken weitgehend ausgeschlossen. Auf diese Weise kann zum Beispiel festgestellt werden, ob jemand negativ besetzte Ausdrücke eher mit dunkler Hautfarbe assoziiert als mit weißer.

Zwar ist dieser " Implizite Assoziationstest" (IAT) nicht über alle Zweifel erhaben. Etliche Studien deuten aber in eine bestimmte Richtung: Bei vielen Weißen, die zum Beispiel von sich sagen würden, dass sie keine Vorurteile gegenüber Personen mit dunkler Haut haben, ist trotzdem die Assoziation positiver Begriffe mit Bildern hellhäutiger Menschen stärker als die mit dunkelhäutigen. ( Hier können Sie den Test in deutscher Sprache selbst machen.)

Diese Diskrepanz zwischen bewusster und unbewusster Einstellung lässt sich so erklären, dass bei schnellen Entscheidungen Werte, die wir gelernt und verinnerlicht haben und zu denen wir uns aufrichtig bekennen, zwar eine wichtige Rolle spielen. Das gilt aber auch für übernommene Stereotype - also bewusste oder unbewusste Annahmen über bestimmte Gruppen.

Jemand kann deshalb etwa zutiefst überzeugt davon sein, dass alle Menschen gleich viel wert sind und niemand wegen des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Herkunft unterdrückt werden darf. Zugleich hat er oder sie vielleicht erfahren, dass Straßenkriminalität in den USA verhältnismäßig häufiger von Menschen mit dunkler Hautfarbe begangen wird als von hellhäutigen Menschen. Das kann dazu führen, dass die Betroffenen in bestimmten Situationen auf dunkelhäutige Menschen anders reagieren als auf hellhäutige - auch ohne Rassisten zu sein. Sie nehmen, wie es der FBI-Chef James Comey in Bezug auf Sicherheitsbeamte formulierte, eine "mentale Abkürzung".

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Diese Abkürzungen spielen bei jeder Gruppenidentifikation eine Rolle: Mitglieder einer Gruppe, der man sich zugehörig fühlt - sei es die Familie, der Freundeskreis, die Gemeinde oder der Fußballverein - werden auf einer bewussten Ebene von anderen Gruppen unterschieden. Und unbewusst wird die eigene Gruppe tendenziell positiver bewertet als andere Gruppen. "Wir gehen davon aus, dass derartige Bewertungsunterschiede bei jedem Menschen mehr oder weniger ausgeprägt auftreten", sagt Andreas Beelmann, Psychologe und Direktor des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Es kann sich also niemand von solchen unbewussten Vorbehalten freisprechen.

Aber: "Implicit Bias macht uns nicht zu schlechten Menschen", wie Alexis McGill Johnson vom Perception Institute, einem US-Konsortium von Wissenschaftlern und Juristen, dem Magazin Wired sagte. "Es macht uns menschlich."

Anders als Mike Pence offenbar glaubt, können sogar Afroamerikaner, die in der US-Gesellschaft sozialisiert wurden, unbewusst Vorbehalte gegen Schwarze haben. So zeigen Studien, dass schwarze Amerikaner wie Weiße tendenziell ihre eigene ethnische Gruppe bevorzugen. Aus Tausenden IA-Tests geht allerdings hervor, dass es bei vielen von ihnen im Unterbewusstsein etwas anders aussieht. "Ihre eigenen unbewussten Einstellungen zeigen den Einfluss, den die negative Einstellung der Kultur gegenüber dieser Gruppe hat", vermuteten vor einigen Jahren die Wissenschaftler um Anthony Greenwald. Vor diesem Einfluss dürften auch schwarze Streifenpolizisten nicht gefeit sein.

Die Forderung von Mike Pence, endlich damit aufzuhören, den Menschen, insbesondere den Polizisten, einen Implicit Bias zu unterstellen, weil sie dadurch als Rassisten beleidigt würden, ist deshalb falsch. Und nicht nur das.

Wenn sich der Eindruck verfestigt, implizite Assoziationen seien mit Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit oder Islamophobie gleichzusetzen, dann wird es schwierig, sich ernsthaft mit dem Problem zu befassen. Eine Diskussion wird unmöglich, wenn weißen Polizisten, Männern, Einheimischen oder Nichtmuslimen pauschal Scheinheiligkeit vorgeworfen wird, nur weil sie beteuern: "Ich habe keine Vorurteile, aber ..."

Das hat sich zuletzt auch in Deutschland im Umgang mit Anhängern von Pegida und der AfD gezeigt. Beide Gruppierungen heizen die Fremdenfeindlichkeit an und greifen auf Vorurteile zurück, viele Anhänger stehen deutlich rechts der Mitte. Es gibt jedoch auch Menschen, die sich selbst nicht für fremdenfeindlich halten, die aber die relativ große Zahl von muslimischen Flüchtlingen mit Angst erfüllt, und die zumindest Verständnis für die Forderungen der Rechten zeigen. Macht sich möglicherweise auch hier ein Implicit Bias bemerkbar?

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"Das kann durchaus sein", sagt Beelmann. Ihm zufolge ist es aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt schwierig zu bestimmen, wo Rassismus anfängt. "In Extrembereichen sind wir uns einig, etwa wenn bestimmte Gruppen als minderwertig betrachtet und behandelt werden. Aber was ist, wenn jemand der Kontakt zu Ausländern nur irgendwie unangenehm ist, ohne weitere Konsequenzen - ist das schon ein Rassist?"

Zudem gibt es auch bei Kritikern von Pegida und der AfD neben der rational begründeten Ablehnung natürlich auch vorbewusste oder unbewusste Vorurteile. "Wenn jemand bereit ist, auf Pegida-Demonstrationen mitzumachen und unter deren Fahnen aufzutreten, dann schreiben wir dieser Person automatisch bestimmte Merkmale zu", sagt Beelmann. "Erst einmal ohne nachzufragen, ohne sie kennenzulernen."

Das vereinfacht unsere sozialen Interaktionen in der Regel enorm. Aber es führt eben auch zu Problemen. Fühlen sich die Betroffenen etwa von Medien als fremdenfeindlich diffamiert, erschwert dies das Nachdenken über mögliche eigene unbewusste Vorbehalte. Und das ist so schon für alle Seiten schwierig genug.

Das Spiel der Schuldzuweisungen hinter sich lassen

Dabei gibt es bereits große Fortschritte darin, "das Spiel der Schuldzuweisungen hinter sich zu lassen", wie Jack Glaser von der University of California in Berkeley kürzlich in Wired sagte. So gehen Experten davon aus, dass sich gegen die unbewussten Vorurteile etwas tun lässt. Hoffnung setzen sie etwa in besondere Trainingsmethoden zum Beispiel für Polizisten. Die Maßnahmen gehen dabei von einer Auseinandersetzung mit der Existenz möglicher eigener unbewusster Vorurteile bis hin zu gezielten Interaktionen mit Mitgliedern jener Gruppe, denen gegenüber Vorbehalte bestehen.

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Das Ziel ist weniger, unbewusste Vorbehalte zu löschen, was vielleicht gar nicht möglich ist. Vielmehr soll gelernt werden, sich dem Implicit Bias zum Trotz an den Werten zu orientieren, die man eigentlich für richtig hält - und danach zu handeln. So konnten Psychologen zeigen, dass Polizisten in den USA in einer Computersimulation häufiger auf virtuelle schwarze Verdächtige schießen als auf weiße. Mit fortdauerndem Training aber sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie versehentlich Schwarze töten. Entsprechende Programme finden in den USA bereits in etlichen Polizeibehörden statt - Hillary Clinton will sie weiter fördern.

Das hält auch Andreas Beelmann für sinnvoll. Für die Bevölkerung insgesamt - auch in Deutschland - wäre es seiner Ansicht nach ebenfalls wichtig, dem sozialen Lernen wieder größere Bedeutung beizumessen. "Welche unbewussten oder bewussten Vorurteile entstehen, hat im Kern mit den Erfahrungen im sozialen Kontext zu tun, in dem Kinder sich entwickeln, und mit den Kategorien und Bewertungen, die ihnen angeboten werden." Je vielfältiger und positiver diese sozialen Erfahrungen sind, so Beelmann, desto geringer ist die Neigung zu Vorurteilen. Bewusst oder unbewusst.

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