Polens Nationalheld Jan Karski:Der Mann, der den Holocaust publik machte

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Der polnische Widerstandskämpfer Jan Karski auf einem Archivbild aus dem Jahr 2000. (Foto: dpa)

Jan Karksi tarnte sich als ukranischer Handlanger der Nazis, um Juden vor ihrer Vergasung zu sehen und versuchte als Augenzeuge, die Welt vor der deutschen Mordmaschinerie zu warnen. Doch US-Präsident Roosevelt hielt seine Berichte für übertrieben. Nun gedenkt Polen seines Helden, der vor 100 Jahren geboren wurde.

Von Klaus Brill, Warschau

Eigentlich hieß er gar nicht Karski, sondern Kozielewski. Jan Kozielewski aus Łódź war 25 Jahre alt, als am 1. September 1939 die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschierte. Für die Völker Mittel- und Osteuropas begann damit eine Serie deutscher Mordexzesse, die ohne Beispiel in der Geschichte sind. Kozielewski hatte in Lemberg Jura studiert und war ein Diplomat am Beginn seiner Laufbahn. Im nun eröffneten Zweiten Weltkrieg war er zu-nächst Offizier der polnischen Armee, nach der Niederlage trat er in die Armia Krajowa, die Heimatarmee, ein - die polnische Untergrundorganisation, die den Widerstand gegen Hitler organisierte.

Aufgrund seiner Ausbildung und Talente wurde der junge Mann als Kurier eingesetzt. Er überbrachte geheime Nachrichten ans polnische Exil-Kabinett in London sowie an westliche Regierungen, und er nahm seine Aufgabe so ernst, dass er sich die Venen aufschnitt, als er in der Slowakei der Gestapo in die Hände fiel. Er fürchtete, der Folter nicht länger standzuhalten und Geheimnisse preiszugeben, doch wurde er von Wärtern gerettet und von Widerstandskämpfern in Sicherheit gebracht.

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In dieser Zeit legte er sich mehrere Tarnnamen zu, darunter Karski. Unter diesem Namen wurde er bekannt als der Mann, der 1942 und 1943 vergebens die Welt darüber aufzuklären versuchte, dass die Deutschen im besetzten Polen Hunderttausende, ja Millionen Juden ermordeten. Vergebens drängte er die Regierungen in London und Washington, dagegen einzuschreiten. Wäre er nicht im Jahr 2000 in Washington gestorben, dann könnte Jan Karski, der seinen nom de guerre auch nach dem Krieg im Exil beibehielt, an diesem Donnerstag seinen 100. Geburtstag feiern (andere Quellen nennen ein Datum im Juni).

Statt seiner tut dies nun ganz Polen. Das Parlament hat schon vor einiger Zeit das ganze Jahr 2014 zum Jan-Karski-Gedenkjahr erklärt. Es finden zahlreiche Ausstellungen, Diskussionen und Filmabende statt. Und im Zentrum Warschaus verkehrt an diesem Donnerstag eine historische Straßenbahn, in der man zum Schachspiel eingeladen ist. Schachspielen war Karskis Leidenschaft.

Roosevelt hielt Karskis Berichte für übertrieben

Im Ozean der mittlerweile vorliegenden Berichte über den Holocaust und die anderen deutschen Kriegsverbrechen ist der Fall Jan Karski ein weiteres Beispiel heldenhaften Widerstands, von dem die Deutschen bisher nur verhalten Kenntnis nehmen.

Zwar ist sein 1944 in den USA veröffentlichtes Buch "Story of a Secret State" über den Untergrundstaat der Heimatarmee inzwischen auch auf Deutsch erschienen - 2011 unter dem Titel "Mein Bericht an die Welt". Doch trifft im Allgemeinen der Vorhalt polnischer Experten durchaus zu, dass die heutigen Deutschen über den Terror ihrer Väter und Großväter in Polen, zum Beispiel über die alltäglichen Demütigungen und über den polnischen Untergrundkampf, zu wenig wüssten.

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Insofern ist gerade Karskis Buch zu empfehlen, zumal es sehr lebendig geschrieben ist. Es liefert zahllose Details und widerlegt nebenbei auch die Klischeevorstellung, die Juden hätten unter deutscher Besatzung von den Polen keine Hilfe erfahren, wie dies in dem umstrittenen ZDF-Film "Unsere Mütter, unsere Väter" sehr plakativ artikuliert wurde. Karski, ein überzeugter Katholik, hat sich als Heimatarmee-Kämpfer von jüdischen Widerstandskämpfern eigens ins Warschauer Ghetto einschleusen lassen, um aus eigener Anschauung berichten zu können. Heimlich sah er sich, getarnt als ukrainischer Miliz-Angehöriger, auch in Izbica Lubelska um, einer Transit-Station zu den Vernichtungslagern Bełżec und Sobibór.

Er erzählte davon britischen und amerikanischen Politikern, so auch dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt - doch hielt man seine Schilderungen wohl für übertrieben, jedenfalls blieb die erhoffte rasche Reaktion der Alliierten aus. Die angemessene Anerkennung des US-Präsidenten wurde Jan Karski erst 2012 zuteil: Barack Obama verlieh ihm posthum die Presidential Medal of Freedom. In Yad Vashem trägt ein Baum in der "Allee der Gerechten" seinen Namen.

© SZ vom 24.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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