Peter Müller ans Verfassungsgericht:Wie Merkel auf der Raumstation

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Warum Peter Müller nicht Verfassungsrichter und Angela Merkel nicht Astronautin werden sollte. Das oberste deutsche Gericht ist politisch - aber es darf nicht parteipolitisch sein.

Heribert Prantl

Peter Müller nach Karlsruhe? Wenn der CDU-Ministerpräsident des Saarlands Bundesverfassungsrichter werden kann, dann kann Angela Merkel auch Astronautin werden. Gut, Müller ist immerhin gelernter Jurist, also nicht ganz fremd im Gerichtssaal. Aber Angela Merkel kann auch Russisch. Das hilft ihr in der Raumstation ISS so viel wie dem Ministerpräsidenten Müller seine vor Jahrzehnten gelernten Rechtskenntnisse.

Aber man soll nicht ungerecht sein: Karlsruhe ist kein juristischer Elfenbeinturm und kein Asyl für weltvergessene Gelehrte. Das höchste Gericht ist auch mehr als nur eine Goldschmiedewerkstatt für Paragraphen.

In Karlsruhe ist also nicht nur rechtliche Theorie, sondern auch politische Praxis gefragt, nicht nur rechtliche Akribie, sondern auch diplomatisches Geschick.

Verfassungsrichter entscheiden nämlich nicht für sich allein, sondern immer im Kollegium. In den zwei Senaten sitzen je acht Mitglieder, und schon so mancher berühmte Rechtsprofessor musste dort als Richter feststellen, dass er mit wissenschaftlichem Sendungsbewusstsein und seiner reinen Lehre nicht viel weiterkommt: Er braucht eine Mehrheit, er muss in den Beratungen andere überzeugen, er muss Kompromisse schließen. Das ist eine Fähigkeit, die man in den Karlsruher Senaten durchaus brauchen kann; und diese Fähigkeit hat ein Politiker eher als ein Rechtsprofessor oder ein Justizjurist.

Aber muss es denn wirklich ein Spitzenpolitiker sein? Einer also, der in Partei- und Wahlkämpfen bekannt geworden ist? Einer, bei dem die Bürger zu allererst an Parteipolitik denken? Einer, bei dem sie zumindest den Verdacht haben müssen, dass er parteiisch ist? Sicher: Immer wieder haben in Karlsruhe Richter, die als "rot" oder "schwarz" eingestuft (und auch deswegen ausgesucht) worden waren, ihre Souveränität bewiesen: Sie haben dann als Richter gar nicht im Sinn der Partei votiert, die sie benannt hatte. In Karlsruhe haben sie nämlich den Geist der Unabhängigkeit inhaliert.

"Besorgnis der Befangenheit"

Aber ein Ex-Spitzenpolitiker muss sehr lange inhalieren und urteilen, bis die Bürger ihr naheliegendes Vorurteil gegen ihn ablegen: Es dauert wohl Jahre, bis es so weit ist. So lange schadet ein Müller dem Verfassungsgericht.

In jedem Gericht kann ein Richter wegen der "Besorgnis der Befangenheit" abgelehnt werden. Es soll so, das ist der Sinn der Vorschrift, schon der Anschein der Voreingenommenheit vermieden werden. Bei einem Spitzenpolitiker besteht dieser Anschein aber anhaltend. Die CDU/CSU hat deshalb vor Jahren die Berufung der damaligen SPD-Spitzenpolitikerin Herta Däubler-Gmelin nach Karlsruhe mit Inbrunst blockiert. Was die Union damals vorgebracht hat, muss sie nun auch auf Müller anwenden.

Sicherlich: Das Verfassungsgericht ist ein politischer Ort. Wer darüber entscheidet, was Politik machen darf und was nicht, macht Politik. Karlsruhe war und ist ein politisches Gericht. Prägnant parteipolitisch aber darf es nicht werden.

© SZ vom 18.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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