Parteitag in Dresden:Gabriel: Die SPD muss raus ins Leben

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Schwere Stunden und deutliche Worte vom designierten Parteichef: Sigmar Gabriel fordert Veränderungen, kritisiert die Hartz-Reformen und bescheinigt seiner SPD ein falsches Bild von der politischen Mitte. Dabei wollen die Delegierten vor allem eines - die Rückbesinnung auf soziale Gerechtigkeit.

Nico Fried, Dresden

In einer mehrstündigen Debatte, die bis in den späten Nachmittag anhielt, mussten sich der scheidende Parteichef Franz Müntefering, aber auch die SPD-Spitze insgesamt zum Teil schwere Vorwürfe anhören. Müntefering wurde von mehreren Delegierten insbesondere dafür gerügt, dass er zu Beginn der Aussprache in seiner Abschiedsrede als Parteichef keine Selbstkritik geübt hatte.

Appellierte an die Genossen: Sigmar Gabriel auf dem SPD-Parteitag (Foto: Foto: Getty)

Als Nachfolger Münteferings sollte möglicherweise noch am Abend der frühere niedersächsische Ministerpräsident und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel gewählt werden. Neue Generalsekretärin soll Andrea Nahles werden.

In seiner Rede erteilte Gabriel Debatten über künftige Koalitionen eine Absage. Die Partei müsse sich zunächst über ihren eigenen Kurs klar werden. Gabriel kritisierte Teile der Hartz-Reformen, weil sie Abstiegsängste hervorgerufen hätten. Auch monierte er Fehler beim Ausbau von Leiharbeit, viele müssten jetzt für Armutslöhne arbeiten.

Der 50-Jährige rief dazu auf, die SPD nach innen zu öffnen. "Eine Partei, die für Volksabstimmungen auf Bundesebene eintritt, darf sich nicht scheuen, wichtige Fragen den Mitgliedern zur Abstimmung vorzulegen." Die SPD müsse wieder "raus ins Leben", wo es laut sei. "Da wo es anstrengend wird, da ist das Leben."

Im Video: Reaktionen auf dem SPD-Parteitag in Dresden zur Rede und zur Person des scheidenden SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering.

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Die Partei habe in den vergangenen Jahren Wählerstimmen verloren, weil sie einem falschen Bild von der politischen Mitte gefolgt sei, das ursprünglich stark von Marktradikalen geprägt worden sei. "Statt die Mitte zu verändern, haben wir uns verändert", beklagte er. Die SPD müsse aber die Mitte aus eigener Kraft wieder erobern und so nach links rücken.

Müntefering hatte zwar eine Mitschuld der Parteispitze an der desaströsen Wahlniederlage am 27. September eingeräumt, als die SPD mit rund 23 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik einfuhr. Er rückte aber nicht von den Beschlüssen der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder und der großen Koalition ab.

Im Gegenteil verwies er darauf, dass die Politik immer wieder auf Parteitagen mit großen Mehrheiten beschlossen worden sei. Die SPD dürfe nicht in rivalisierende Einzelgruppen zerfallen. "Lasst diese Art von Flügelei", rief er.

In der Aussprache mit mehr als 50 Wortmeldungen setzten sich zahlreiche Delegierte vor allem vom linken Flügel kritisch mit der Sozialpolitik der SPD in den vergangenen Jahren auseinander. "Wir haben alles mitgemacht", empörte sich der ehemalige Bundestagsabgeordnete Eckart Kuhlwein.

"Es gab niemals eine Mehrheit für Hartz IV, für die Rente mit 67 und eine Bahnprivatisierung", sagte der bayerische Delegierte Harald Unfried. Wenn die SPD "diese Realität" nicht akzeptiere, werde sie "nie aus dem Tal der Tränen herauskommen".

Die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel forderte: "Die SPD muss wieder Partei der sozialen Gerechtigkeit sein." Nach Ansicht des früheren Bundestagsabgeordneten Peter Conradi ließen sich die Mitglieder in den vergangenen Jahren von der Spitze zu viel gefallen. Die Gremien hätten einfach nur abgenickt, was die Oberen beschlossen hätten. Damit müsse Schluss sein.

© SZ vom 14.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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