Obama unter Beschuss:Die letzte Warnung

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"Wandel oder mehr von demselben?": US-Präsident Obama verliert die Unterstützung der Linken. Führende Bürgerrechtler rücken ihn bereits in die Nähe von George W. Bush.

Christian Wernicke, Washington

Die vier Bilder wirken missraten. Sehr grau und obendrein unscharf ist die Fotoreihe geraten, mit der die ACLU, Amerikas führende Bürgerrechtsvereinigung, ihre ganzseitige Anzeige in der New York Times illustriert: Ganz links lächelt der junge Barack Obama, ehe er in drei computeranimierten Metamorphosen zu einem grinsenden George W. Bush mutiert.

Klar, ja messerscharf ist freilich die Botschaft, mit der Obamas linksliberale Kritiker ihre Fotomontage umrahmen. "Was soll's sein, Herr Präsident?," fragt die ACLU, "Wandel oder mehr von demselben?"

Drahtzieher von 9/11 doch vor ein Militärtribunal?

Gemeint ist die Anzeige als Aufschrei, als letzte linke Warnung ans Weiße Haus. Aufgeschreckt wurden Bürger- und Menschenrechtsorganisationen durch Meldungen, wonach Obama sich auf einen sehr kühnen Handel einlassen will: Der Präsident scheint bereit, nun doch auf einen spektakulären Strafprozess gegen fünf mutmaßliche Hintermänner der Terroranschläge vom 11. September 2001 vor einem ordentlichen amerikanischen Gericht zu verzichten.

Stattdessen, so flüstern Obama-Berater, solle Khalid Scheich Mohammed, der Drahtzieher von 9/11, sich vor einem Militärtribunal verantworten. Das wäre ziemlich genau das Szenario, das die republikanische Vorgängerregierung schon immer verfolgte.

Deshalb wähnt die ACLU-Annonce nun Obama an einer sehr prinzipiellen Wegscheide: Der Demokrat könne "sein feierliches Versprechen einhalten und unsere Verfassung und unsere ordentliche Gerichtsbarkeit wiederherstellen". Oder aber er werde "die Politik von Bush und Cheney fortsetzen".

Tatsächlich steckt Obama in der Klemme. 14 Monate nach seinem Schwur, binnen eines Jahres das weltweit umstrittene Gefangenenlager auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo zu schließen, braucht der Präsident dringender denn je den Beistand des Kongresses.

Erstens muss das Parlament erlauben, Guantanamo-Häftlinge künftig überhaupt auf amerikanischem Festland einzukerkern. Und zweitens kann nur der Kongress jene 237 Millionen Dollar freigeben, mit denen die Regierung ein Hochsicherheitsgefängnis im Örtchen Thompson im Bundesstaat Illinois kaufen und aufrüsten will.

Senator fordert Anti-Terror-Gesetz als Gegenleistung

Dagegen protestieren nicht nur Republikaner. Auch etliche Demokraten in Senat und Repräsentantenhaus propagieren mittlerweile, man solle das Guantanamo-Lager einfach fortführen.

Das will Obama nicht. Aber gemäß des Machtkalküls von Rahm Emanuel, dem Stabschef des Weißen Hauses, wird die Schließung des Lagers politisch nur gelingen, wenn wenigstens einige Republikaner zustimmen.

Seit Wochen verhandelt Emanuel deshalb mit Senator Lindsey Graham, einem gemäßigten Konservativen, der früher selbst einmal US-Militärrichter war. Graham scheint bereit, für eine Ende von Guantanamo zu votieren - aber nur um den Preis, dass Obama auf den symbolträchtigen 9/11-Terrorprozess vor einem zivilen Strafgericht in New York verzichtet.

Und Senator Graham verlangt noch mehr. Er will ein Anti-Terror-Gesetz, das im Ergebnis die Rechte von Verdächtigen massiv einschränken würde. Demnach sollen die Behörden suspekte Häftlinge wochenlang verhören können, ohne ihnen ihre Rechte vorzutragen.

Zumindest für Al-Qaida-Verdächtige würden Prozesse vor Militär- statt vor Zivilgerichten zur Regel. Und das Gesetz würde es ebenso erlauben, mutmaßliche Terroristen über Jahre ohne Anklage hinter Gittern zu halten: Bedingung wäre nur, dass es glaubwürdige Hinweise (nicht konkrete Beweise) für ihre Gewaltbereitschaft gibt. Letzteres zielt auf 37 der noch 184 Guantanamo-Häftlinge, die das Verteidigungsministerium als "gefährlich" einstuft, gegen die aber keine gerichtsverwertbaren Indizien vorliegen.

Aus Sicht von Bürgerrechtlern ist dies eine Liste von Horror-Forderungen. Nach dieser Methode, so sagen sie, werde Guantanamo in Illinois neu aufgebaut.

© SZ vom 10.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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