Nahost-Konflikt:Die Waffen sollen schweigen

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Je lauter der Knall, desto länger bleibt es danach still - auf dieser schlichten Gleichung basiert die israelische Abschreckungsphilosophie. Doch diesmal soll es anders kommen: Nach Tagen der Gewalt im Süden des Landes lenkt Israel ein und will auf eine größere Militäraktion verzichten. Auch die radikalislamische Hamas, die Israel aus dem Gazastreifen bombardiert hatte, zieht sich zurück - weil ihr das Geld ausgeht.

Peter Münch

Um drei Uhr nachts fiel die Entscheidung. Zu dieser dunklen Stunde, so berichtet es der israelische Armeerundfunk, habe Premierminister Benjamin Netanjahu das Sicherheitskabinett in Jerusalem einberufen. Beschlossen wurde, auf eine breiter angelegte Militäraktion im Gaza-Streifen zu verzichten.

Einem Flüchtlingslager im nördlichen Gazastreifen: Zwei Kinder spielen vor einer Wand, auf der ein palästinensischer Kämpfer abgebildet ist. Nach Tagen der Gewalt zwischen der radikalislamischen Hamas und dem israelischen Militär, kehrt langsam Ruhe ein. (Foto: dpa)

Zuvor hatte die Hamas ihre Bereitschaft zu einem Waffenstillstand erklärt. Zwar wurden auch danach noch Raketen abgefeuert auf Israels Süden. Zwölf Geschosse wurden gezählt bis zum Montagmorgen. Aber anschließend kehrte erstmals nach vier Tagen heftigen gegenseitigen Beschusses Ruhe ein - eine Ruhe allerdings, von der jeder weiß, dass es nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm sein kann.

Der Druck war groß in Israel, nach dem Terrorangriff im Süden des Landes mit massiver militärischer Vergeltung zu antworten. Sowohl aus Militärkreisen wie auch aus der politischen Arena einschließlich der oppositionellen Kadima-Partei waren die Forderungen zu hören, den Extremisten im Gaza-Streifen eine Lektion zu erteilen, die sie nicht so schnell vergessen würden.

Die israelische Abschreckungsphilosophie basiert auf einer eher schlichten Gleichung: Je lauter der Knall, desto länger bleibt es nachher still. Als Beleg wird der Gaza-Krieg zum Jahreswechsel 2008/2009 angeführt, der auf palästinensischer Seite 1400 Menschen das Leben kostete. Danach jedoch, so heißt es in Jerusalem oft, war die Hamas zwei Jahre lang mit dem Aufräumen der Scherben beschäftigt. Doch im Moment scheinen sich, vorläufig zumindest, jene Kräfte durchgesetzt zu haben, die den Zeitpunkt für eine große Militäraktion gerade jetzt für besonders ungünstig halten.

Israel darf die Gunst Ägyptens nicht verlieren

Denn zum einen wollen die Palästinenser im September bei den Vereinten Nationen die Anerkennung ihres Staates beantragen. Israel muss darauf bedacht sein, im Vorfeld nicht durch eine blutige Militäraktion sein internationales Image weiter zu beschädigen und eine Solidaritätswelle mit den Palästinensern auszulösen. Der entscheidende Faktor aber dürfte Ägypten gewesen sein. "Wir dürfen Ägypten nicht wegen einer Terror-Attacke verlieren", zitiert die Zeitung Haaretz einen anonym bleibenden israelischen Offiziellen. Denn dies wäre "ein großer Sieg für die Terror-Organisationen".

Die Regierung in Jerusalem war in die Defensive geraten, als bei der Jagd auf palästinensische Terroristen versehentlich auch mehrere ägyptische Grenzpolizisten erschossen worden waren. Die Kairoer Militärführung hat das politisch genutzt, um Israel eine Lektion zu erteilen. Erst hat sich Verteidigungsminister Ehud Barak offiziell entschuldigen müssen. Dann haben die Generäle gezeigt, wie unverzichtbar sie immer noch für Israel sind und den Waffenstillstand mit der Hamas vermittelt.

Die im Gaza-Streifen herrschenden Islamisten feiern nun den jüngsten Schlagabtausch wie einen Sieg. Zwar wurden bei den israelischen Luftangriffen mindestens 14 Menschen getötet und einige Tunnel, Trainingseinrichtungen und Waffenfabriken der militanten Organisationen zerstört. Aber vor dem großen Schlag schreckte Israel am Ende zurück. Die Hamas selber war dabei allerdings weniger Antreiber als vielmehr Getriebener. Als kleinere Gruppierungen mit dem Raketenbeschuss auf Israel begannen, hat sie sich schließlich wieder an die Spitze der Bewegung gestellt.

An einem längeren Kräftemessen mit der israelischen Armee hat sie jedoch derzeit kein Interesse, da ganz andere Probleme in den Vordergrund drängen. Das Regime in Teheran, das die Hamas mit Geld und Waffen unterstützt, soll die Zahlungen gekürzt oder sogar vorübergehend eingestellt haben, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Grund sei die Wut darüber, dass sich die Hamas an ihrem Exilsitz in Damaskus nicht hinter den bedrängten syrischen Präsidenten Assad gestellt hat.

Nun ist das Geld knapp und die Stimmung schlecht in Gaza: Im Juli sollen 40.000 öffentliche Bedienstete - vor allem sind das Sicherheitskräfte - kein Gehalt bekommen haben.

Hamas feiert Unruhen als Erfolg

Der Raketenbeschuss auf Israel mag da auch als Ventil für innere Spannungen gedient haben. Selbst wenn die meisten Geschosse wie üblich auf leerem Wüstenboden explodierten, haben sie doch tagelang fast eine Million Menschen in den südlichen Städten Israels in Angst und Schrecken versetzt. Das neue Raketenabwehrsystem Iron Dome hat zwar recht anständig funktioniert, aber nicht verhindern können, dass es in Beerscheba und Aschkelon einen Toten und mehrere Verletzte gab.

Für die Hamas zählt das als Erfolg, für Verteidigungsminister Barak ist das ein Grund für neue vorsorgliche Drohungen. Wer Israel angreife, so erklärte er, müsse "mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass sein Kopf vom Körper getrennt wird".

© SZ vom 23.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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